43. Liv

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Dunkelheit umfing Liv wie ein dichter Schleier. Die Feuchtigkeit des Gewölbes hatte etwas Erdrückendes an sich, das sie nicht erklären konnte. Ihre ausgestreckten Hände stießen auf rauen Fels zu beiden Seiten. Liv wurde mulmig angesichts der Enge, in der sie sich befanden.

Ein rascher Rückzug wäre bei Gefahr so gut wie unmöglich. Bevor sie sich umgedreht und zu dritt durch die schmalen Gänge geschlängelt hätten, hätten die möglichen Angreifer sie längst eingeholt.Hinter ihr entzündete Rey eine Öllampe und reichte sie zu ihr durch. Das schwache Licht schien fünf Mal so hell in der vollständigen Schwärze, dennoch endete der Lichtkegel keine zwei Meter vor ihren Füßen.

Liv schritt vorsichtig aber eilig voran. Dadurch, dass sich der Tunnel gelegentlich bog, konnte sie nur selten bis ans Ende ihres Lichtscheins sehen. Meist starrte sie auf eine Felswand in ungewisser Erwartung, was sich dahinter befinden mochte. Würde ihnen jemand in diesen Gängen auflauern, würde er sie dank der Lampe eher bemerken, als sie ihn. Das konnte den Gang zu einer tödlichen Sackgasse machen. Doch es war besser als die Alternative: Den Wachen am Hauptzugang direkt in die Arme zu laufen.

Liv zwängte sich durch die engen Gänge. Ihre Schuhe hinterließen ein leichtes Patsch, wenn sie in eine Pfütze trat. Bald bemerkte sie, dass der Tunnel unscheinbar eine leichte Senke machte. Die Wände wurden fortlaufend feuchter, je tiefer sie kamen. Wie weit sie bisher gelaufen waren, konnte sie nicht ausmachen. Genauso wenig, wie sie sagen konnte, wie weit es noch war.

Sie versuchte, ihren inneren Orientierungssinn anzuschalten. Zwar wusste sie, wo der Zugang zum Gewölbe lag, jedoch war sie nie hinein gegangen. Vielleicht gab es einen ebenso langen Tunnel zum Aufbewahrungsort der Geheimwaffe, wie es ihn vom Gefängnis aus gab. Das würde die Ortung ihres Ziels schwierig machen.

Der Gang machte eine leichte Rechtskurve. Liv versuchte, sich auszumalen, wo sie sich gerade befanden. Vielleicht unter den Wohnkomplexen. Etwa in Richtung der Bibliothek. Oder bereits weiter nördlich?

Wäre sie die Strecke oberirdisch abgegangen, wäre sie nach ihrem Gefühl bereits angekommen. Jedoch kannte sie eine Menge Abkürzungen und der Tunnel nahm möglicherweise nicht den direkten Weg. Außerdem war das Vorankommen hier schwieriger und die Zeit ungenauer zu berechnen.

„Wie lange sind wir schon unterwegs?", fragte sie ihre Kameraden.

„Eine viertel Stunde.", schätzte Conec. „Vielleicht zwanzig Minuten."

„Die Menschen müssen längst aus der Stadt heraus sein.", fügte Rey hinzu. „Sie werden aber noch lange nicht außer Reichweite sein. Der Verteidigungsminister wird mit der Sprengung warten müssen."

Liv hätte ihm gerne Recht gegeben, doch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend hielt sie davon ab. Irgendetwas sagte ihr, dass die Sache nicht mit rechten Dingen zuging. Der Verteidigungsminister kämpfte mit unfairen Mitteln. Warum sollte er in dieser Hinsicht berechenbar sein? Sollte es wirklich so einfach sein, dass er brav in einer Höhle darauf wartete, dass sein Zeitpunkt gekommen war?

So, wie Liv den Minister kennengelernt hatte, war er ein Mann der Tat und seinen Feinden immer einen Schritt voraus. Seien es die animalischen oder politischen Gegner. Sie war sich sicher, dass es nicht so einfach werden würde, wie es sich für die kleine Gruppe darstellte.

Wenige Meter später stellte sich heraus, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Die drei Hunter bemerkten, wie sich die Klangatmosphäre des Ganges veränderte und hallender wurde. Kurz darauf spürten sie einen leichten Luftzug.

Rasch löschten sie das Licht, um sich im Dunkeln näher an das Ende des Tunnels heranzutasten. Liv gab sich große Mühe, geräuschlos zu sein. Sie konzentrierte sich so sehr auf ihre Schritte, dass sie beinahe erschrocken aufkeuchte, als links und rechts von ihr keine Wand mehr war.

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt