5. Neuigkeiten

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Das Lazarett, das eher Notdürftig in der Nähe des Caraunts seinen Platz gefunden hatte, war wie immer kein schöner Anblick. Aufgewühlte Pflegekräfte eilten von einer Pritsche zur nächsten, schleppten Verbände und Medikamente in großen Massen hin und her und kümmerten sich um die Patienten. Deren Aussehen war zum Großteil wenig erquickend. Jede dieser Personen besaß an irgendeinem Körperteil eine Bandage oder einen dicken Gipsverband. Manchen fehlten diverse Körperteile, was es ihnen unmöglich machte, sich von ihrem Lager zu erheben.

Ihr Zustand ließ Liv ganz beklommen werden. Sie empfand großes Mitgefühl für die Menschen, die in der Wildnis zu Schaden gekommen waren und nun für den Rest ihres Lebens nicht verheilende Wunden mit sich tragen würden. Wann würde dieses Elend ein Ende nehmen!

Nachdem sie am Anfang noch in jedes Bett einzeln geschaut und den Verletzten aufmunternd zugelächelt hatte, war ihre Laune auf einem derartigen Tiefpunkt angelangt, dass sie es nicht mehr schaffte, jemandem von ihnen in die Augen zu blicken. Ihr Lächeln erstarb und ihr Blick richtete sich konstant auf den monotonen, grauen Hallenboden.

Der Bote führte sie durch die stickige Luft zu dem Mann, den sie am Nachmittag durch das Tor hatte stolpern sehen. Das Ende seines Armstumpfes war sauber einbandagiert worden. Mit der linken Hand umklammerte er ein Glas Wasser. Aufrecht sitzend erwartete er sie auf seinem Lager, auch wenn sein Blick etwas unruhig durch die Gegend flackerte und sein Gesichtsausdruck alles andere als gute Neuigkeiten ausdrückte.

Obwohl Liv lieber Abstand von dem Verkrüppelten gehalten hätte, wie es im Unterbewusstsein eines jeden Menschen veranlagt ist, zwang sie sich dazu, auf den Mann zuzugehen. Sie blendete das fehlende Körperteil aus und setzte sich mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es nicht allzu gezwungen wirkte, auf die Bettkante. Ihre Stimme war überraschend gefasst, wie sie erfreut feststellte.

„Willkommen in Nurvia, Herr Wendel.“ Der Bote hatte ihr den Namen den Ankömmlings verraten. „Ich bin Liv Ferring und vertrete meinen Vater, der im Moment leider verhindert ist…“

Der Angesprochene nickte. Liv bemerkte ein flüchtiges Zucken, dann einen säuerlichen Ausdruck, der sich auf seinem Gesicht breit machte, als er bemerkte, dass er ihr nicht die rechte Hand geben konnte. Er reichte ihr auch die andere nicht, deshalb fuhr sie fort, hoffte, die Situation überspielen zu können.

„Die Regierung dankt Ihnen für Ihre große Opferbereitschaft zum Wohle der Gesellschaft. Ich möchte Ihnen meinen aufrichtigen Respekt entgegen bringen.“ Sie sagte die Worte so, wie ihr Vater es getan hätte. Der Sinn dahinter wurde ihr erst während des Sprechens richtig bewusst. Es war wahr. Sie respektierte diesen Mann wirklich für alles, was er getan hatte – was auch immer da draußen geschehen war.

Gerade dies galt es nun, herauszufinden. „Man sagte mir, Sie hätten Neuigkeiten für uns.“

Der Mann atmete tief durch und nickte dann. Zum ersten Mal vernahm Liv seine tiefe, raue Stimme. „Wir waren die Expeditionsgruppe C25. Wir sollten uns ein wenig weiter hinaus wagen, die Umgebung erkunden und Koordinaten aufschreiben…dabei allerdings in einem Radius von 30 Kilometern Entfernung bleiben.“ Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. „ Erst gab es überhaupt nichts Neues. Dieselben Pflanzen, dieselbe Landschaft, dieselben Monster wie immer… Wir wollten es schon aufgeben und wieder zurückkehren.

Doch dann entdeckte einer unserer Späher etwas Ungewöhnliches, von dem wir zunächst gar nicht wussten, ob es wahr sein konnte. Erst als wir es mit eigenen Augen sahen, wurde uns klar, dass wir dieser Spur weiter folgen mussten.

Es war ein einzelner Mensch.“

Liv schnappte nach Luft. „Ein Mensch? Nicht etwa ein ganzer Trupp, sondern ein Einzelner – wie konnte er überlebt haben?“

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt