9. Julia

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Ein Geräusch.

Noch bevor ich herumfahren und mein Schwert ziehen konnte, hatte sich eine Klinge an meinen Hals gelegt und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Vor Anspannung hielt ich die Luft an. Das Metall lag kalt auf meiner Haut, doch der Druck war nicht stark genug, um mich zu verletzen. Ein fester Griff schloss sich um meinen linken Oberarm und machte ein Entkommen unmöglich.

„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“ dröhnte eine Stimme dicht hinter mir. Ich konnte erkennen, dass sie männlich war, doch ich tat mich schwer damit, den Sinn der Worte zu erfassen. Wie lange hatte ich schon nicht mehr mit einem Menschen gesprochen? Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Ob man das Verstehen einer Sprache verlernen konnte...?

Oder hatte sich meine eigene Ausdrucksweise inzwischen so sehr verändert? Thunder und ich benutzten immer häufiger ausgedachte Abkürzungen und Laute zur Kommunikation. Schließlich war ‚Da kommen Angreifer!‘ etwas zu lang, um es in einer entsprechenden Situation zu rufen. Wir hatten uns im Laufe der Zeit auf die Silbe ‚Ann‘ geeinigt. Das war praktisch, wesentlich einfacher auszusprechen und Thunder konnte auf Anhieb verstehen, was ich meinte.

Weil ich nicht sofort antwortete, drückte der Fremde die Waffe noch etwas fester gegen meinen Hals. Ich spürte, dass nur noch wenig fehlte, um mir eine Schnittwunde zuzufügen. Er wiederholte seine Frage und dieses Mal verstand ich.

„Ich bin Jule… und das ist Thunder.“ Der Tigerbär hatte sich in der Mitte des Raumes postiert und spannte jeden Muskel im Körper an. Obwohl er – außer zu mir – zu keinem Menschen je Kontakt gehabt hatte, verstand er, dass mein Angreifer mich verletzen würde, wenn er näher käme. Er versuchte nicht, mich zu befreien, sondern begnügte sich damit, die Zähne zu fletschen und bedrohlich zu knurren.

„Warum seid ihr hier?“, erklang die Stimme wieder. Ich erhaschte aus dem Augenwinkel einen Blick auf die Hand des Sprechers. Die Haut war sonnengebräunt und ein wenig schwielig von harter Arbeit und dem Führen einer Waffe. Der Unterarm, der teilweise aus meinem Blickfeld verschwand, war muskulös und trainiert. Eine lange Narbe zog sich vom Handgelenk bis zur Mitte des Unterarms. Der Rest entzog sich meinem Blick.

„Wir brauchen einen Ort, um uns vor den Tieren zu verstecken… aber wir suchen uns auch gerne einen anderen.“ Ich hatte nicht so viel Angst, dass ich vor dem Fremden weglaufen wollte, doch dieser Ort war offensichtlich schon belegt und ich wollte niemandem sein Territorium streitig machen. Außerdem sah es nicht danach aus, als wolle er es gerne teilen.

Der Druck der Klinge ließ ein wenig nach, sodass ich wieder vernünftig atmen konnte. Der Griff um meinen Arm blieb jedoch fest. „Ihr kommt also aus keiner Stadt? Nicht aus Nurvia?“

„Nein.“ Ich antwortete ohne nachzudenken und merkte erst hinterher, dass ich eigentlich gelogen hatte. Genaugenommen stammte ich aus Nurvia, doch ich brachte mich nicht mehr mit der Stadt in Verbindung. Mit diesem Kapitel meines Lebens hatte ich schon lange abgeschlossen.

Der unsichtbare Sprecher schien einen Moment nachzudenken. „Stimmt. Sonst hättest du ihn nicht dabei.“ Mit der Messerspitze deutete er auf Thunder. Diesen kurzen Moment nutzte ich gnadenlos aus, riss mich los und tauchte unter der Waffe hinweg. Ich wirbelte herum und nahm sofort eine verteidigende Haltung ein. Meine Hand tastete nach meinem Schwert, doch zu meinem Entsetzen war es nicht mehr vorhanden. Ich fluchte. Der Mann hatte es mir so flink abgenommen, dass ich es nicht einmal bemerkt hatte.

Thunder sprang vor, um sich auf ihn zu stürzen, doch ich hielt ihn mit einem knappen „Warte.“ zurück.

Eingehend musterte ich den Mann, der vor uns stand. Er war jünger, als ich gedacht hatte. Vielleicht Mitte zwanzig. Und er war ziemlich groß. Schwarze Locken umrahmten das Gesicht, sowie zahlreiche Bartstoppeln. Der dunkle Blick hatte mich und Thunder fest im Griff, so als könne das allein uns daran hindern, uns auf der Stelle auf ihn zu stürzen.

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt