Nachdem Nuh von seinem Bruder eine heftige Standpauke und zweimonatigen Hausarrest erhalten hatte, beschlossen wir gemeinsam, den Heimweg anzutreten. Der Junge schlurfte mit gesengtem Kopf und verdrießlicher Miene hinter uns her und sagte kein Wort. Ich erwischte mich manchmal dabei, wie ich zurückschaute, um mich zu vergewissern, dass er überhaupt noch da war.
Faryd ging an der Spitze, Thunder und ich direkt dahinter. Virno hatte sich in den Himmel aufgeschwungen und kreiste irgendwo über unseren Köpfen, so weit entfernt, dass man sie nicht sehen konnte. Der dichte Nebel drang mir in die Kleider und ließ sie klamm werden. Das Gefühl war unangenehm auf der Haut. Ich wünschte mich so rasch wie möglich nach Gollar zurück – ins trockene, wettergeschützte Kloster. Die Kartoffeln mussten inzwischen längst fertig sein. Hoffentlich hatte Rashid daran gedacht, sie von der Feuerstelle zu nehmen. Vielleicht hatte er sogar ein leckeres Gericht daraus gezaubert…
Wieder wanderte mein Blick zu Nuh zurück. Er sah wirklich niedergeschlagen aus. Im Nachhinein tat er mir richtig Leid. Eigentlich hatte er nur zeigen wollen, dass er genau dasselbe konnte wie sein großer Bruder auch. Es musste deprimierend sein, monatelang in ein und demselben Gemäuer zu verbringen, ohne sich in irgendeiner Weise nützlich machen zu können. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Ich würde es genauso wenig aushalten wie er, herum zu sitzen und Däumchen zu drehen. Vor allem, wenn ich wüsste, dass draußen etwas vor sich ging, das spannend, abenteuerlich – und auch noch überlebenswichtig war. Die Gruppe, mit der ich aus Nurvia geflohen war, hatte aus genau denselben Gründen gehandelt. Kein Versteckspiel mehr. Sie wollten etwas bewegen.
Mit wenigen, schnellen Schritten schloss ich zu Faryd auf. „Denkst du nicht, dass du ein wenig hart zu ihm gewesen bist?“, fragte ich mit gesenkter Stimme.
Faryd schüttelte knapp den Kopf. „Der Junge muss endlich lernen, auf das zu hören, was man ihm sagt. Disziplin ist hier draußen überlebensnotwendig. Besser, ich sage es ihm so, als dass er es irgendwann selber heraus findet... wobei ihm dieser Zwischenfall eigentlich die Folgen seines unüberlegten Handelns aufgezeigt haben sollte.“ Er seufzte und fuhr mit den Fingern durch seine schwarzen Haare. „Aber der Junge ist einfach unbelehrbar.“
Ich nickte. Disziplin war das A und O. Das war auch das, was die Hunters uns immer gelehrt hatten. Ohne Gehorsam war es so gut wie unmöglich, in der Wildnis zu überleben. Hatte man einen Anführer, musste seinen Befehlen Folge geleistet werden. Ansonsten endete alles in einem ungeordneten Durcheinander, in dem der eine den anderen behinderte und keine Zusammenarbeit entstehen konnte.
Doch ich hatte es ein ganzes Jahr lang ohne Gehorsam ausgehalten. Ich hatte keinen Anführer gehabt, hatte selbstbestimmt entschieden, was ich für sinnvoll hielt und was nicht. Thunder war die gesamte Zeit über bei mir gewesen, doch nie hatte er versucht, mir etwas vorzuschreiben. Umgekehrt genauso wenig.
Trotzdem waren wir in gewisser Weise gehorsam gewesen. Wir hatten aufeinander geachtet, die Schritte des anderen wahrgenommen und entsprechend reagiert. Wir hatten zusammengearbeitet. An den meisten Tagen liefen wir wie eine gut geölte Maschine. Thunders Handlungen und Gedanken waren mir so vertraut, dass ich blind darauf zählen konnte, zu wissen, was er tat und was er von mir erwartete.
Wir waren diszipliniert – auf unsere eigene Art und Weise.
Auf wen mussten die Familienmitglieder in Gollar hören? Auf Faryd?
Wohl eher auf Rashid. Vermutlich gab es so etwas wie eine Hierarchie, die dem Alter nach festgelegt war und in diesem Moment Faryd bemächtigte, da Rashid nicht zugegen war.
Wenn die Strafe von Faryd schon derart hart war, dass Nuh zwei Monate lang überhaupt nicht aus dem Kloster durfte, wie würde erst der griesgrämige Alte reagieren, wenn er dem ungezogenen Sprössling begegnete?
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Hunters 2 - der Pfad des Jägers
Fantasía*** WICHTIG: Da der erste Teil von "Hunters" überarbeitet wurde, passen einige Dinge nicht mehr zusammen. Wenn Zeit ist, wird dieser Teil deshalb ebenfalls überarbeitet.*** Die Schwerter schlugen aufeinander - schwer und hart. Die Atmosphäre schien...