Liv zog ihren Säbel und horchte in die Stille. Als das Geräusch wiederkehrte, machte sie die ungefähre Richtung aus und bedeutete den anderen, ihr zu folgen. Der Nebel war undurchdringlich und die Bäume wirkten hinderlich beim Vorankommen. Das Wimmern wurde lauter.
Darauf bedacht, keine Laute zu machen, deutete Liv nach links und rechts. Rey und Conec verschwanden in je eine Richtung und beugten einem Angriff aus dem Hinterhalt somit vor. Kurze Zeit später kam ein leiser Ausruf von Rey. „Ich hab sie.“
Liv eilte zu ihm. Er kniete neben zwei Gestalten, die an einem Baumstamm kauerten und versuchte, eine davon ruhig zu stellen. Als Liv näher kam, erkannte sie Rubie, ein Mädchen ihres Alters mit langen, dunklen Haaren, die mit den Tränen kämpfte. Ihr linkes Bein war blutverschmiert und Liv konnte nicht erkennen, wo die Wunde anfing und wo sie endete. Es sah wirklich schmerzhaft aus.
Deutlich schlimmer als das Mädchen hatte es jedoch den Jungen erwischt, der neben ihnen im feuchten Gras lag und sich nicht rührte. An ihm schien es keine heile Stelle mehr zu geben. Rey gab mit einer knappen Geste zu verstehen, dass er tot sei.
Liv biss die Zähne aufeinander. Tot. Ein toter Novize unter ihrer Führung. Sie war verantwortlich für das grausame Ableben eines anderen Menschen. Dieser Gedanke breitete sich in ihrem Geist aus wie das ungute Gefühl in ihrem Magen. Das schlechte Gewissen nagte an ihr. Am liebsten hätte sie sich neben Rubie gesetzt und das Gesicht in den Händen vergraben.
Doch das ging nicht. Sie war die Anführerin, auf die alle vertrauten. Sie musste jetzt Stärke zeigen.
Mit einem knappen Nicken hockte sie sich zu dem Mädchen hinunter. Die Wunde sah gefährlich aus und sie hatten kein Verbandszeug dabei. Am besten trugen sie sie zu den anderen zurück und ließen sie dort versorgen. Die Leiche des Jungen mussten sie wohl oder übel so zurücklassen, wie sie war. Sie hatten keine Zeit, ihn zu begraben oder eine andere Beerdigungsmethode zu suchen.
Sanft berührte Liv Rubie an der Schulter. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf sie. „Ich wollte ihm nur helfen… Er… Jonathan ist von hinten angefallen worden und ich wollte dazwischen gehen…“, schluchzte sie und brach ab, nicht mehr dazu fähig, die richtigen Worte zu finden. Liv ging es genauso wie ihr.
Die Anführerin versuchte sich an einem leicht verzerrten Lächeln. „Das hast du gut gemacht. Du bist jetzt in Sicherheit. Wir kümmern uns um dich.“
In diesem Moment stieß Conec zu ihnen. Als er die Leiche des Jungen sah, schloss er ihr eilig die Augen und zog sie zwischen die Büsche. Damit war das Problem notdürftig beseitigt und sie konnten sich den anstehenden Aufgaben widmen.
Gemeinsam legten sie sich das Mädchen über die Schultern und traten den Rückweg an. Liv warf noch einen langen, bedauernden Blick zurück, obwohl der Nebel den Ort des Geschehens schon nach kurzer Zeit verschluckt hatte. Sie fragte sich, ob sie hätte verhindern können, was passiert war. Vielleicht, wenn sie andere Entscheidungen getroffen hätte, schneller reagiert hätte…
Sie schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Nein. Sie durfte sich jetzt keine Schuldgefühle einreden. Das würde weder sie noch die Gruppe weiterbringen.
Als sie aufblickte, um sich wieder auf das gegenwärtige Geschehen zu konzentrieren, fing sie Conecs Blick auf, der sie schon seit geraumer Zeit zu beobachten schien. Er versuchte zu lächeln, was ihm kläglich misslang. Seine Miene zeigte eher Mitleid. Ein Ausdruck, den Liv ganz und gar nicht leiden konnte.
Zu ihrer Überraschung versuchte der junge Mann nicht, sie aufzubauen, sondern legte die Fakten offen auf den Tisch. „Das war ein ziemlich fieser Hinterhalt. Die Hunters waren überrascht. Viele wussten gar nicht, was sie tun sollten… Es hätte noch viel Schlimmeres passieren können.“
Liv nickte. Vermutlich hatte er Recht und sie sollte froh darüber sein, nur einen Mann verloren zu haben. Trotzdem verzog sie die Miene. „Es ist nur, dass ich nach dem allen hier irgendwie erklären muss, dass ein Mitmensch, der Familie und Freunde in Nurvia gehabt hat, nicht mehr lebt…“ Sie holte einmal tief Luft. „Es muss furchtbar sein, einen geliebten Menschen in die Wildnis zu schicken und ihn dann für immer zu verlieren.“
Erst nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, fiel ihr ein, dass Conec genau dasselbe passiert war. Wieder wallte das schlechte Gewissen in ihr auf, doch sie drückte es nieder. Es verstrich eine ganze Zeit, in der sie stumm durch den Nebel stapften und Liv über ihre nächsten Worte nachdachte. Sie waren nicht ganz so vorsichtig gewählt, wie sie es gerne gehabt hätte, doch sie gab sich alle Mühe. „Wer… war Jule für dich?“
Sie musste schlucken und bemerkte gleichzeitig, dass Conec dasselbe tat. Die Antwort fiel leise und knapp aus. Liv musste sich anstrengen, um sie überhaupt zu verstehen. „Sie war meine beste Freundin.“
Danach redeten sie kein Wort mehr miteinander. Der Nebel schien sogar noch dichter zu werden und die einsame Stille wurde nur unterbrochen von raschelndem Laub unter ihren Sohlen und gelegentlichen Schluchzern, die Rubie von sich gab.
Schließlich erreichten sie die Lichtung und konnten das Mädchen bei den anderen Novizen abgeben. Sie kümmerten sich um sie und versorgten die tiefe Wunde.
Liv überprüfte die Umgebung. Es war kein besonders geeigneter Ort, um ein Lager zu errichten, doch eine viel bessere Möglichkeit gab es nicht und selbst wenn, würden sie sie bei dem Nebel nicht finden. Heute noch weiter zu gehen war keine gute Idee. Nach dem Kampf mit den Baumkatzen hatte sich die Gruppe erst einmal eine Pause verdient. Morgen früh würde noch genügend Zeit bleiben, ihren Kameraden zu erklären, was bei dem Kampf schief gelaufen war und wie man ein weiteres Spektakel dieser Art vermeiden konnte. Sie war mit der Leistung der Gruppe nicht besonders zufrieden, doch was hatte sie erwartet? Kaum zwei Jahre im theoretischen Bereich ausgebildet und schon perfekt auf die Wildnis vorbereitet? Wohl kaum. Die Novizen, die man ihr mitgegeben hatte, besaßen allenfalls die Grundlagen und einen überdurchschnittlich hohen Grad an Loyalität. Den Rest würde sie ihnen während der Reise so gut es ging vermitteln müssen.
Doch für heute reichte es. Ohne ein zusammenfassendes Abschlusswort verkündete sie, dass sie für heute genug gelaufen wären und das Lager aufschlagen sollten. So ließ jeder Novize den Tag für sich ausklingen – entweder während eines Gesprächs mit dem Zeltmitbewohner oder dem Verbinden eines letzten Kratzers. Liv selber drehte eine letzte Runde um den Rastplatz und überprüfte die Anwesenheit der anderen. Das Zelt, das Zitra aufbaute, muffelte zwar ziemlich und war eklig feucht, doch sobald sich Liv in ihre Decke eingehüllt hatte und die Erschöpfung des Tages sie übermannte, bemerkte sie davon nichts mehr. Sie fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem sie erst am nächsten Morgen erwachen sollte.
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Hallihallo, meine Lieben! :) Sorry für das späte Update... :**
Jetzt mal eine Frage an alle Leser, die den ersten Teil von "Hunters" nicht glesen haben (Ich weiß, ihr seid nicht viele, aber so ein paar gibt es von euch doch^^). Mich würde mal interessieren, ob ihr eher mit Julia, die ihr ja jetzt auch schon ein wenig kennen gelernt habt, oder mit Liv sympatisiert? :) Und warum? Nur mal rein aus Interesse^^ :D
LG Sonnenschein :D :****
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Hunters 2 - der Pfad des Jägers
Fantasy*** WICHTIG: Da der erste Teil von "Hunters" überarbeitet wurde, passen einige Dinge nicht mehr zusammen. Wenn Zeit ist, wird dieser Teil deshalb ebenfalls überarbeitet.*** Die Schwerter schlugen aufeinander - schwer und hart. Die Atmosphäre schien...