2. Rückkehr

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Die Straßen von Nurvia waren überfüllt von Menschen, die fleißig ihrem Tageswerk nachgingen. In der nachmittäglichen Hitze wurden Marktstände abgebaut und noch schnell die letzten Einkäufe erledigt. Ein schmächtiger Junge fuhr einen Karren durch die Straßen, auf dem die spärliche Anzahl erlegter Beute ausgelegt war, die der Versorgungstrupp an diesem Tag gemacht hatte. Eine Gruppe Handwerker arbeitete an einer Wasserleitung, die geplatzt war. Den Riss konnten sie aufgrund der Materialknappheit in der Stadt nur notdürftig verschließen. Kinder spielten zwischen den Trümmerhaufen, die sich Häuser nannten und die ohne ausreichend Material niemand vollenden konnte.

Liv quetschte sich durch die Menschenmenge bis zu der Stadtmauer vor. Hier war immer am wenigsten Betrieb und somit der raschste Weg nachhause. Nicht viele Hunter konnten es sich in ihrem vorgegebenen Zeitplan erlauben, der eigenen Familie einen Besuch abzustatten, doch für die Tochter des Präsidenten gab es eine Ausnahme – mal wieder.

Für gewöhnlich nahm Liv die Möglichkeiten, die der Präsident für sie einräumte, nicht wahr. Sie wollte nicht bevorzugt werden und somit noch mehr Missgunst von den anderen Novizen entgegen gebracht bekommen.

Doch in diesem Fall war es wichtig. Sie musste dringend mit ihrem Vater sprechen.

Die Sonne, die kurz davor stand, hinter der westlichen Seite der Mauer abzutauchen, ließ ihr gleißendes Licht auf das Mädchen herabprallen. Livs Schritte beschleunigten sich ein wenig. Sie mochte es nicht, allzu viel Zeit außerhalb des Caraunts zu verbringen, während die anderen Hunter drinnen hocken und lernen mussten.

Vor ihr tat sich nun das große Eingangstor auf, das sie auf ihrer bekannten Route schon kaum mehr wahrnahm. Ihre Finger knackten aufgebracht. Ein wenig ärgerlich war sie schon darüber, dass sie zu wiederholten Mal in dieser Woche zu ihrem Vater musste. Oft schien es ihr, als erfände er immer neue Gründe, um sie zu sich zitieren zu können. Seien es Botengänge, die sie für ihn erledigen sollte, oder eine bloße Informationseinholung. Mittlerweile war sie beinahe zu seiner Vertretung im Caraunt geworden, das er selbst nur sehr selten besuchte, und Dauergast in dem Büro des Verteidigungsministers.

Dieses Mal kam sie aus eigenen Stücken zu ihrem Vater, doch indirekt hatte er wieder seine Finger im Spiel gehabt.

Unerwarteter Lärm holte das Mädchen aus ihren Gedanken. Am Haupttor riefen Leute etwas. Sie schienen ziemlich aufgeregt. Neugierig trat sie näher und bekam mit, wie ein Hunter auf dem Aussichtsturm den Befehl gab, das Tor zu öffnen. Natürlich dauerte es eine Weile, die riesigen, hölzernen Flügel auseinander zu biegen. Liv ging auf einen Hunter zu, um nach dem Grund zu fragen. Falkum, ein dreißigjähriger Hunter, der eine Menge Erfahrung an den Außenposten hatte, regelte das Öffnen der Torflügel.

„Wer oder was ist da draußen?“

Falkum war zu beschäftigt und schaute sie nicht einmal an, als er ihr antwortete. „Ein Hunter. Der vermutlich letzte Überlebende eines Expeditionstrupps, der angefallen wurde… Sie sind einen knappen Monat da draußen gewesen und wir haben sie schon als Vermisst gemeldet…“

Liv nickte und wandte sich dem hölzernen Tor zu, das in diesen Augenblick langsam begann, sich zu öffnen. Es war nicht selten, dass letzte Überlebende einer Gruppe Hunter wie aus dem Nichts zurückkehrten. Die Armen waren oft für ihr Leben gezeichnet und nicht selten unfähig, weiterhin als Hunter zu fungieren.

Liv bereitete sich auf den schlimmsten Anblick vor. Als Tochter des Präsidenten und vermutlich auch seiner Nachfolgerin – die Regierungswechsel in Nurvia waren noch nicht ganz geklärt – sollte sie Stärke und Verantwortung zeigen und – was ihr besonders wichtig war – Teilnahme am Leid der Betroffenen. Dieser Mann, der nun durch den Eingang gestolpert kam, dem der Schmerz und das Entsetzen ins Gesicht geschrieben waren und dem dort, wo sein rechter Arm sein sollte, ein notdürftiger Verband um die Schulter gewickelt war, hatte eine Familie. Irgendwo hier in Nurvia gab es eine Frau und Kinder, die auf seine Rückkehr warteten und die dieses Leid mitansehen mussten. Natürlich würden sie soziale Gelder von der Regierung erhalten, um weiterhin über die Runden zu kommen, doch eine verlorene Gliedmaße ließ sich nicht so leicht ersetzen.

Obwohl der Ekel begann, in ihr aufzusteigen, eilte Liv auf den Mann zu, begrüßte ihn zurück in Nurvia und erklärte, dass er nun in Sicherheit war und dass man sich um ihn kümmern würde. Sie wahrte die Miene, auch wenn es ihr schwer fiel. Der Mann und seine Familie taten ihr wirklich unglaublich Leid.

Währenddessen wurde das Tor geschlossen und Falkum rief den Sanitätsdienst. Er war einer der wenigen Menschen in Nurvia, die ein Funkgerät für solche Fälle besaßen. Ein weiteres hatte Livs Vater, eines der Verteidigungsminister und eben der Sanitätsdienst. Die Geräte waren von schlechter Qualität und hatten eine Reichweite, die gerade noch die Mauern Nurvias mit einschloss.

Es war eine Errungenschaft, die sie erst seit wenigen Wochen nutzen konnten und die sie den Wissenschaftlern zu verdanken hatten. Nun arbeiteten diese daran, einen Anschluss an das Internet zu schaffen, der sie mit möglichen anderen Festungen dieser Art kommunizieren ließe.

Doch die Forschung ging quälend langsam voran und die Physiker schafften es einfach nicht, einen Durchbruch zu landen, der ihnen endlich Gewissheit verschaffte, dass es überhaupt noch andere Menschen außer ihnen gab.

An Vorwissen mangelte es den Forschern, die im Auftrag der Regierung arbeiteten, nicht, doch sie besaßen kaum die nötigen Materialien, Werkzeuge und Maschinen, um etwas so Komplexes wie das Internet herzustellen.

Noch dazu kamen die Anfeindungen, die ihnen aus dem Volk entgegengebracht wurden. Verständlich – immerhin hatten die Menschen es der Wissenschaft zu verdanken, dass sie nun in einer solchen Situation waren. Doch die Wissenschaftler, die damals Experimente mit Tieren durchführten, gab es überhaupt nicht mehr und die Nachfolger mussten jetzt die Fehler ausbaden. Die Regierung versuchte, sie so gut es ging zu schützen und die Wut des Volkes zu dämpfen. In einer solchen Situation – am Abgrund und vom Aussterben bedroht – konnten die Menschen es sich nicht leisten, sich untereinander zu streiten. Sie mussten zusammen halten, sonst hatte das alles keinen Sinn.

Der Rettungsdienst kam und nahm den verkrüppelten Mann in seine Obhut. Der Arme würde später noch stundenlang verhört werden. Das war sehr wichtig für Livs Vater – immerhin musste der Präsident wissen, was um Nurvia herum vor sich ging. Erst dann konnte der ehemalige Hunter zurück zu seiner Familie.

Liv setzte ihren Weg fort. Ihre Wut war verraucht und Mitleid machte sich in ihr breit.

Trotzdem war sie fest entschlossen, ihrem Vater die Meinung zu sagen. Eilig stapfte sie durch die Gassen davon.

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Sooo :)

Also: In den letzten Kommentaren habt ihr vor allem bemängelt, dass ihr es schwierig findet, euch mit einer neuen Hauptperson anzufreunden - vor allem mit einer, die diese Welt wieder aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet, als Julia…

Gut. Kritik zur Kenntnis genommen - und ich kann euch versichern, dass Julia nicht auf der Strecke bleiben wird! :) Liv ist ein Charakter, der für dieses Buch sehr wichtig ist und zumindest ich habe mich bereits mit ihr angefreundet ;) Ich habe nicht erwartet, dass sie euch richtig gefällt und bin deshalb im Großen und Ganzen mit der Reaktion zufrieden :) Ich hoffe trotzdem, dass ihr euch auf ihre Geschichte einlassen könnt und Liv zumindest eine Chance gebt! :D

Wenn ihr noch weitere Vorschläge und Verbesserungstipps habt, bin ich natürlich jeder Zeit bereit, sie umzusetzen - immerhin schreibe ich das hier für euch und gebe mein Bestes, dass es euch gefällt! :D :***

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt