31. Flug

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 „Nie im Leben steige ich da drauf!“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und funkele Faryd böse an.

Als Antwort erhielt ich das amüsierte Schmunzeln, das er in letzter Zeit häufiger zur Schau stellte. „Anders schaffen wir es nicht.“

Er ging noch einige Schritte weiter und winkte mich zu sich heran. Seine dunklen Augen schauten auffordernd. Eine kalte Abendbrise umwehte uns.

Zu meinem großen Missfallen hatte er Recht. So sehr es mir widerstrebte, mich auf den Rücken des riesigen Klippendrachens zu setzen – anders würden wir nicht rechtzeitig bei den Hunters ankommen. Meine Entscheidung war schon lange getroffen – ich musste mich nur noch überwinden…

Vorsichtig näherte ich mich Virno, die ein wenig nervös wirkte – wie bei unserer ersten Begegnung. Sie wurde ruhig, sobald ich eine Hand auf ihre Schnauze legte, wie ich es schon einmal getan hatte.

Die Klippendrachen-Dame wusste, dass ich Angst hatte. Sie drehte sich so zu mir hin, dass es mir leichter war, aufzusteigen. Faryd half mir ein wenig. Danach schwang er sich hinter mir auf den Rücken. Mit geübten Bewegungen schnürte er die Lederriemen, die uns sichern sollten. Sie waren so um Virnos Körper gebunden, dass sie sie nicht beim Fliegen behindern konnten. Die Bänder gaben mir ein wenig Sicherheit. Dennoch wünschte ich, Virno hätte ein so langes Fell gehabt wie Thunder, in dem sich meine Hände hätten festkrallen können.

„Bereit?“, fragte Faryd dicht hinter mir.

Ich nickte nervös. Noch nie in meinem Leben war ich geflogen. Ich konnte mir nicht vorstellen, so weit entfernt vom Boden zu sein und nicht herunter zu fallen. Was, wenn wir zu schwer waren und abstürzten?

Bevor ich meine Bedenken vorbringen konnte, kam plötzlich Bewegung in den Körper unter uns und Virno richtete sich auf. Ein gellender Schrei hallte durch die Nacht und das Tier fing mit einem Mal an, über den Hof zu laufen. Virno machte größere, unregelmäßigere Schritte als Thunder und nahm schneller an Fahrt auf.

Als sie ihr Maximum an Geschwindigkeit erreicht hatte, breitete sie die Flügel aus und hob vom Boden ab. Ich stieß einen leisen Schrei des Erschreckens aus. Meine Hände tasteten fahrig nach etwas, woran sie sich festhalten konnten. Sie fanden die von Faryd. Froh, etwas Halt zu haben, drückte ich seine Hände ganz fest.

Wir stießen beinahe an das Dach des Klosters. Es fehlten nur noch wenige Zentimeter, dann hätten wir eine brutale Bruchlandung hingelegt. Ich hielt die Luft an und kniff die Augen zusammen. Faryd schien das besorgniserregende Hindernis überhaupt nicht aufgefallen zu sein, doch ich war mir ganz sicher, dass es unwahrscheinlich knapp gewesen war.

Die Flügelschläge des riesigen Ungeheuers wurden regelmäßiger. Die kühle Abendluft ließ meine Haare flattern und drang in meine Kleidung ein. Ganz langsam ließ ich die Luft wieder ausströmen und konzentrierte mich darauf, ruhig zu atmen.

Das ging einige Minuten so.

Einatmen und Ausatmen.

Ein und Aus.

Bloß nicht daran denken, wie hoch ich über dem Boden schwebte.

Meine Augen waren noch immer geschlossen und ich hatte nicht vor, sie zu öffnen. Nicht, dass ich ausversehen in die Tiefe schaute und mir schwindelig wurde. Wenn ich hier oben eine Panikattacke bekäme, würde uns allen dreien das nicht gut tun.

Irgendwann wurde mir kälter. Der dauerhafte Wind brauchte meine Körperwärme auf. Ich begann zu zittern.

„Alles in Ordnung?“, fragte Faryd von hinten. Ich gab zur Antwort ein knappes Nicken. Der Mann seufzte, hob seine Arme – deren Hände noch immer fest mit meinen verkettet waren – und legte sie um mich. „Es ist in Ordnung, wenn du Angst hast. Mir ging es nicht besser, als ich zum ersten Mal geflogen bin.“

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt