10 | Für sie

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Stocksteif verharre ich in meiner Position und warte ab. Meine Ohren ... Nicht nur die, wie ich gerade bemerke ... Meine Sinne sind ... wie benebelt ... Was geschieht hier? Aushalten. Einfach aushalten. 

Gleich wird es vorbei sein. Ganz sicher. Da! Irgendetwas ist doch da. Schon wieder. Ich verliere noch meinen Verstand!

Jetzt beruhig dich mal. Das sagst du so leicht. Meine Augen zucken umher, als würden sie die Stimmen verfolgen wollen. Doch sie sind nur in meinem Kopf. Es sind meine eigenen. Sonst nichts!

Mir läuft der kalte Schweiß auf der Stirn und am Rücken herunter. Widerlich. Augenblicklich beginne ich zu frieren.

Schon wieder erklingt etwas. Ich lausche in diese erstickende Stille. Nichts. Doch dann ...

Mein Handy. Es ist nur mein Handy.

Langsam kann ich mich aus der Haltung befreien und nach dem Gerät schauen. Meine Glieder lösen sich allmählich aus ihrer Starre. Lenara hat geschrieben. Tief auspustend, aber noch mit wildem Herzschlag lese ich ihre Nachricht. 


Lenara   
Hey meine Süße. Wollte nur 
schreiben, dass ich an dich 
denke. Hoffe, alles ist gut. 
14:46 


Was? So spät ist es schon? War ich länger geistesabwesend, als ich dachte? Nicht weiter darüber nachdenken ... Einfach weitermachen. 


   Elja
 Ja, klar. Alles gut. Aber viel
 wichtiger: Bei dir auch?
 14:53


Mit einem tiefen Seufzer stehe ich endlich mal auf. Müde und erschöpft fühle ich mich. Aber gleichsam auch nicht. Ergibt das irgendeinen Sinn?

Lenara hat reagiert, mit einem Daumen und einem Herzen. Unmittelbar durchflutet mich ein klein wenig Wärme. Sie bekommt von mir ein Herz zurückgeschickt. Ich bin verdammt dankbar für sie.

Der Blick hinter mir ist sehr verlockend. Jedoch meine ich, dass es gut wäre, wenigstens ein paar Stunden aus dem Bett herauszukommen. Daher setze ich mich, nachdem ich die Flasche aufgehoben habe, mit allem Wichtigen an Patrizias alias Pattis Schreibtisch und lasse mich eingehüllt in der Fleecedecke in ihren Thron sowie in ihre Geschichte erneut sinken.

Ganz eventuell wollte ich dem Bett auch nur entkommen?, huscht mir dann doch noch der Gedanke durch den Kopf.

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Januar 1970

Mehr als drei – bald bereits vier – Monate ist es her. Ganze hundertacht Tage. Gestern brach das neue Jahr an. Was ist das schon wert?

Über hundert Tage vegetiere ich hier nun bereits. Weit weg von ihr. Soph. Von der niemand etwas wissen darf. Hier an einem Ort, den ich bewusst verlassen habe. Der zu klein für meine Themen ist. Das ist nicht meine Heimat und doch ist es schon komisch, wie schnell ein Mensch sich wieder einfügen kann. Bereits nach kurzer Zeit wurde ich wieder die Patrizia vom Dorf, die ihre Aufgaben zu erfüllen hat. Von einem auf den anderen Moment reihte ich mich ein und übernahm ungefragt meine Pflichten. Sind es wirklich meine Pflichten? Wo sind meine Rechte? Wir hinken hier auf jeden Fall hinterher. Ich weiß genau, was passieren wird, wenn ich einen unserer Sprüche – und sei es der harmloseste –, die wir auf Plakate oder Transpis schreiben oder auch laut ausrufen, hier anbringen würde. Sie würden mich anstarren, als wäre ich verrückt. Sie würden Patti nicht verstehen. Niemals.

wir sind hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt