»Hast du denn schon eine Vorstellung? Was die Jahreszeit angeht, gibt es ein wenig Auswahl«, antwortet Len ganz ruhig.
»Ich weiß nicht genau. Damals mochte er es gerne mit Oma im Garten zu sein und mit ihr die Beete zu pflegen. Ich glaube, sie haben Primeln – heißen die so? – gepflanzt.«
»Zumindest gibt es Blumen, die so heißen, ja und die können auch jetzt gepflanzt werden. Das würde also passen.« Lenara zückt ihr Handy hervor und tippt irgendetwas darauf herum. Kurz darauf hält sie es mir vor die Nase. »Sind es die gewesen?«
»Kann sein? Welche genau meinst du davon?«, frage ich unsicher nach. Alle davon sehen gleich aus.
»Das sind alles dieselben«, lacht sie.
»Ach so. Ja, dann schon.« Oh Gott, fühle ich mich dumm. »Dann haben sie vielleicht auch nur die eine Sorte eingepflanzt.« Nun muss ich auch lachen. »Ich habe gerade schon fieberhaft überlegt, ob mir noch ein weiterer Blumenname einfällt.«
»Soll ich einfach auch eine bunte Auswahl besorgen?« Len stoppt sich. »Oh tut mir leid. Soll ich überhaupt losdüsen und welche ...« Ich unterbreche sie.
»Ja. Vielen Dank, Len.«
»Aber natürlich. Das ist doch klar. Und es ist eine wirklich wunderschöne Idee.«
»Bitte, iss jetzt erst einmal dein hervorragendes und gelungenes Essen.« Die Antwort war ich ihr ja – bis jetzt – noch schuldig.
Len ist zu gut, sie macht das alles, obwohl sie noch nicht mal die ganze Geschichte kennt, schießt es mir durch den Kopf, als wir uns eine halbe Stunde später an der Tür verabschieden. Seltsamerweise fühlt es sich an, als würden wir hier schon wohnen, dabei steht das so überhaupt gar nicht fest. Und bevor wir hier zum Ausmisten waren, war es auch eigentlich ein Nein. Wisst ihr eigentlich, wie schnell sich so ein ›eigentlich‹ wandeln kann? Die Tage sind wirklich wirr.
Na, dann gehe ich mich mal weiter verwirren. Über mich selbst lachend steige ich wieder die Stufen empor.
~~~~~
Dezember 1972
›Weil ich noch ein paar Extrascheine absolvieren möchte, studiere ich ein Jahr länger.‹
In Ordnung. Ich habe es verstanden. Nicht einmal ich selbst kaufe mir diese Lüge ab. Wie sollte es dann jemand anders glauben? Ist das überhaupt relevant? Ich raufe mir die Haare und tigere in meinem Appartement auf und ab. Warum fühle ich mich dazu verpflichtet, das zu rechtfertigen und andere – Männer vor allen Dingen – machen es einfach? Zum Haareraufen ...
Die Wahrheit ist, dass ich gerade im letzten Jahr – okay, nicht nur im letzten – vieles verpasst habe und dies nun nachholen möchte, insbesondere das, was für mich wichtig erscheint und das, was ich brauche. Die zweite Wahrheit ist, dass ich mich in den letzten Monaten – also schon zu Beginn meines zusätzlichen Studienjahres – wieder nicht so gut abgrenzen konnte von dem Politischen. Einiges findet zwar auf dem Campus statt, aber bei Weitem nicht alles. Gerade die Mobilisierung von Frauen, sich bei der Wahl zu positionieren und auch selbst wählen zu gehen – All so was findet eben auf der Straße statt. Und wieder rechtfertige ich mich. Vor wem?
Unwillkürlich muss ich bei den Gedanken an die Aktion schmunzeln. Es war zu witzig, wie manche reagiert haben, als wir »Die Frauen sollen ihre eigene Meinung und nicht mehr die ihres Mannes zur Wahlurne tragen« gerufen haben. Teilweise ist es wahrlich köstlich, die Veränderungen in der Mimik zu beobachten sowohl bei Frauen als auch Männern, vor allem, wenn Hetero-Paare gemeinsam unterwegs sind und ihre Körper unabhängig voneinander auf unsere Sprüche reagieren. Gleichzeitig ist es traurig, wenn die Frau sich nicht traut, ein lautes Ja zu äußern, obwohl wir es in ihrem Gesicht ablesen können. Die Wahlkampagne Frauen entscheidet die Wahl! hat es gebracht, auch wenn wir das Ziel mehr weibliche Kandidaten auf den vorderen Listenplätzen verfehlt haben. Doch durch verschiedene Flugblätter haben wir auf die Situation der Frau, wie sie nun einmal ist, aufmerksam gemacht. Schlecht bezahlte und vorbestimmte Tätigkeiten plus Verpflichtung für Haushalt und Erziehung der Kinder, keine Selbstbestimmung über das eigene Leben und vieles mehr. Außerdem wurde die Politik der SPD nicht beschönigt, aber deutlich dargestellt, dass es mehr Handlungsspielraum für uns gibt, wenn sie gewählt werden statt CDU/CSU. Das liegt ja wohl klar auf der Hand. Und das Ergebnis lässt sich sehen. Die SPD hat die Bundestagswahl für sich entscheiden können. Laut den Wahlanalysen, die erst gestern erschienen, sind unsere Stimmen ausschlaggebend für dieses Ergebnis.
DU LIEST GERADE
wir sind hier
Historical Fiction◦𝗛𝗶𝘀𝘁𝗼𝗿𝗶𝘀𝗰𝗵𝗲-𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿 & 𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸◦ Schnieke und vornehm auf der einen - hip und inmitten der Szene auf der anderen Seite. Zwischen alldem findet sich Elja wieder, die diese zwei Seiten ihrer Großmutter i...