25 | Eines Tages

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März 2023

Liebe Elja,

Ich habe gehofft, dass du dich hierher traust und sei es erst, wenn ich tot bin. Zumindest nehme ich an, dass ich nicht mehr unter u̶n̶s̶   euch weile.
Wenn doch, dann sei so lieb und ruf mich bitte, damit ich Bescheid weiß.

Wenn nicht, nun gut. Wirklich, es ist gut. Es ist, wie es ist. Und wenn du genau hinschaust, wirst du es spüren. Die Schattenseiten haben ebenso ihre Lichtquellen.

Du hast noch Zeit. Du musst nicht gleich meine ganze Geschichte lesen. Wie du siehst, folgen noch fünfzig Jahre. Jetzt, während ich das schreibe, fällt mir auf, wie viel das ist. Du bist gerade halb so alt wie die Anzahl der Jahre, die du noch über mich lesen kannst. Wahnsinn oder?

Meine ›Art‹ hat dich teilweise verschreckt, das musste ich schmerzlich feststellen. Eines Tages wirst du es verstehen und meine hippe Art – sofern du sie bereits entdeckt hast – mit meiner vornehmen in Einklang bringen können. In mir sind stets beide gewesen. Keine davon ist eine Maske, sondern beide gehören zu mir. Sowie die Liebe zu den einzelnen Menschen.

Eins möchte ich dir jedoch schon einmal verraten. Von Anton hatte ich einst den Tipp erhalten, mich als Patrizia, die Vornehme zu sehen. Natürlich nicht nur. Es war an einem dieser Tage nach dem Umzug im November 1973. Ich wollte mich unbedingt von der Patti lösen. Ich wollte mich lossagen. Doch ich bin ja Patti. Aber eben nicht nur. Ich bin auch Patrizia. 

»Weißt du um die Bedeutung deines Namens Bescheid?«, fragte Anton mich, ich verneinte. Daraufhin erläuterte er sie mir. Mit den Patriziern habe ich nichts am Hut. Aber eine vornehme Art gefiel mir. Und so kam eins zum anderen. Vornehm habe ich nie als negativ empfunden, im Gegenteil. Im Inneren war ich immer dieselbe Person mit den gleichen Einstellungen, doch ich wollte nicht nur als Frauenrechtlerin gesehen werden, sondern als Patrizia. Mich als Patrizia, die Vornehme anzusehen, hat mir einen Gegenpol geschaffen zur exzentrischen Patti. Es hat mir geholfen, dass ich zu mir selbst stehen sowie meine innere Balance finden kann. Und irgendwann, das muss ich gestehen, hat es mir Spaß gemacht, mich so vorzustellen.

Du musst nicht alles von meinem Weg nachvollziehen können. Viele Dinge kommen unvorhergesehen, auf manches haben wir keinen Einfluss, anderes machen wir wiederum, weil wir in dem Augenblick glauben, es tun zu müssen.

Ich glaube, manchmal schickt uns das Leben auf Wege mit all seinen Irrungen und Abzweigungen, von denen wir vorher nicht ahnten, wie wundervoll sie werden können. Und wenn wir sie dann bestaunen und genießen, passiert es leicht, dass wir meinen, noch genügend Zeit für die anderen Dinge zu haben.

All das ist vollkommen in Ordnung. Wichtig ist, dass du mit deinem Lebensweg zufrieden bist. Dass du deine Herausforderungen in deinem Tempo meisterst (und daran glaube ich ganz fest). Dass du dein Leben gestaltest und dass du deinen eigenen Pfad bestreitest.

Versprich mir, dass du nicht darauf achten wirst, was andere zu deinem Weg sagen (könnten), sondern du deinen eigenen Pfad suchst und gehst. Die Hauptsache ist, dass du glücklich bist. Ich wünsche mir auch, dass du die unvorhergesehenen, nicht beeinflussbaren Dinge des Lebens annehmen und akzeptieren kannst. Dass du dem Leben immer eine Chance gibst und stets den Blick für das Positive wahrst.

Ich weiß, dass zwischen uns nicht alles gut verlief. Gib dir bitte nicht die Schuld daran, mein Engel. In meinen Gedanken warst du immer ein Teil von mir und ich habe mich liebend gerne an unsere Stunden erinnert. Und auch aus der Ferne dich bewacht.

Sei dir über eins im Klaren: Ich liebe dich, habe dich immer geliebt. Genauso wie deine Eltern dich abgöttisch geliebt haben und es sicherlich von dort oben weiterhin tun. Die beiden sowie deinen Opa wiederzusehen, wird eine Freude sein. Anton in meine Arme zu schließen, darauf warte ich schon zu lange. Wir alle werden gemeinsam über dich und Lenara wachen.

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