November 1973
»Guten Tag Fräulein Ranke, wir wollten nur einmal nachfragen, ob Sie Hilfe benötigen.«
»Nein, danke.« Jetzt wollen sie mir helfen? Im Ernst? Jetzt, wo ich einen Mann an meiner Seite habe? Ja, das klingt etwas merkwürdig, aber in diesem Fall trifft es leider irgendwie zu. Anton ist muskulös, auch wenn mir das schnurzpiepegal ist, und ich sehe schmächtig aus, obgleich ich mehr Kraft habe, als Menschen mir zutrauen. Also na ja, es muss natürlich kein Mann sein, aber ... In Ordnung anders gefragt: Nur, weil ich jetzt jemanden an meiner Seite habe?
»Ich komme zu Ihnen runter, wenn ich fertig bin.« Mit diesen Worten schlage ich die Tür vor ihren Nasen zu. Oder würden sie mir nun helfen, weil ich zu einer dieser Gebärmaschinen geworden bin? Passe ich jetzt so in das Bild einer Frau nach ihrem Sinn?
Oh je. Ich drehe jetzt schon durch.
Und was ist eigentlich bei denen verkehrt? Warum sieht man die nur im Doppelpack? Darf die arme Frau Beier nicht mal alleine hier hoch zu mir und mich etwas fragen? Wovor hat er Angst? Weiß er von meinen Neigungen und denkt er, ich könnte sie infizieren?
Ich drehe echt durch. Das kann mir doch echt egal sein, was bei den beiden los ist. Vielleicht sollte ich ihnen Aufklärungsmaterial liegen lassen ... Jetzt bin ich nicht mehr auf sie angewiesen.
Zum Glück bin ich zum richtigen Zeitpunkt schwanger geworden. Das Studium habe ich erfolgreich abgeschlossen und sobald das Kind aus mir heraus und die Stillzeit vorüber ist, werde ich mir eine Beschäftigung suchen. Anton wird sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen können. Lächelnd erinnere ich mich, wie ich tadelnd vor ihm stand, obgleich er noch gar nichts gesagt hatte. Nein. Nein. Und noch mal nein. Das habe ich ihm klar gemacht. Doch das war ihm sowieso bewusst. ›Deswegen liebe ich dich, weil du so bist, wie du bist, Patrizia‹, erwiderte er und ließ mich damit strahlen.
Allein der Gedanke an ihn beruhigt mich schon wieder. Er ist definitiv einer der Guten und passt zu mir. Wie ich einmal meinte, es gibt auch andere. Schon fünf Jahre ist es her, als mich die Frauengruppe dafür auslachte. Schmunzelnd darüber schüttle ich mit dem Kopf. Schon lange verstehe ich natürlich, warum sie lachten. Aber ... es gibt andere und Anton ist der beste Beweis.
Obwohl ich noch nicht weiß, wo ich arbeiten werde, nicht weiß, wo ich eine Anstellung finden kann, hat er mir versprochen, mich dabei zu unterstützen. Wir wollen es gerecht versuchen. Ich bin gespannt. Puh, es ist ganz schön anstrengend, mit so einem Bauch vor einem Kisten einzuräumen.
Eine Pause. Ja, die sollte mir gönnen. Sonst kommt mir das Kind noch viel zu früh. Nein, danke. Darauf kann ich verzichten. Für meine Verschnaufpause setze ich mich an den Küchentisch. Um mich lockerer zu machen, versuche ich ein paar Dehnungs- und Entspannungsübungen zu absolvieren. Halb über meinen Kugelbauch hängend, sticht mir etwas Gelbes ins Auge. Es liegt unter dem Bett.
Ich rapple mich von dem Küchenstuhl auf. Nicht mal eine Pause kann ich durchziehen. Umständlich gelingt es mir, das Ding hervorzuholen. Dieser Bauch bietet dem Baby vielleicht seinen Platz, aber mir nimmt er eine Menge weg. Und dann soll der auch noch größer werden. Wie soll das nur noch werden? Schwerfällig erhebe ich mich wieder und setze mich erschöpft auf das Bett.
Nein, das kann nicht sein!, sage ich mir wie ein Mantra mehrmals in Gedanken auf. Obgleich ich es in meinen Händen halte.
Als wäre eine Blase geplatzt, brechen sämtliche Erinnerungen an die Zeit mit Soph auf mich herein. Es ist eben dieses Heft ... Das gelbliche Handbuch. Das Wunderwerk von ›Brot und Rosen‹.
DU LIEST GERADE
wir sind hier
Historical Fiction◦𝗛𝗶𝘀𝘁𝗼𝗿𝗶𝘀𝗰𝗵𝗲-𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿 & 𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸◦ Schnieke und vornehm auf der einen - hip und inmitten der Szene auf der anderen Seite. Zwischen alldem findet sich Elja wieder, die diese zwei Seiten ihrer Großmutter i...