Würde Oma mir gegenüberstehen, dann würde ich ihr zum Letzten sagen: Ja! Ja! Ja!
Zumindest glaube ich das. Meine Augen wandern zu Flecki und mir scheint es, als würde er mir auch zustimmen. Vielleicht sind es auch meine Finger, die seinen Kopf wackeln lassen. Nur eventuell ... Hat das schon mal jemand von euch gemacht, nur um eine Bestätigung zu bekommen? Oder ... tue so etwas mal wieder nur ich?
Meine Hand gleitet von Flecki weg und ruht nun wieder auf dem Buch. Zu lange kann ich mich ihm noch nicht zuwenden. Noch nicht. Eventuell irgendwann. Vielleicht schon bald.
Das Geschriebene von ihr unter mir. Meiner Oma. Dieser unfassbar starken Frau, was ich nie gewürdigt habe, nicht konnte. Es gibt mir so viel ... zurück. Nein, das ist es nicht ganz. Nicht nur zurück. Es füllt ebenso wesentliche Löcher in mir ... Gleichsam tun sich Neue auf. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist alles zusammen. Wissen kann so viel sein und mit einem machen. Genauso wie Erinnerungen. Ich hoffe, dass Oma recht behält und es sich in mir fügen wird.
Je länger meine Hand darauf verweilt, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass sich die Buchstaben erheben und mir etwas aufzeigen wollen. Doch mein Verstand begreift nicht was. Vermutlich ist es auch nur ein Gefühl.
Gefühle ... Sie haben sich innig geliebt und dennoch getrennt. Oma hat scheinbar sehr gelitten, ihre Vorsätze betreffend der Uni erneut über Bord geworfen – vielleicht war sie deswegen eher liebevoll streng gegenüber ihrer Tochter? – und brauchte enorm viel Zeit und Kraft, um sich wieder aus dieser Zeit herausholen zu können. Es muss schmerzhaft für beide – Oma und Soph – gewesen sein. Es ist tragisch, wenn ehrliche, aufrichtige Liebe nicht ausreicht. Wenn die Beziehung dennoch nur in eine Richtung gehen kann. Dieses Gefühl hatte Oma offensichtlich begleitet. Das allein muss schon schwierig genug sein.
Wenn ich mir vorstelle, dass Len und ich ... einmal an einem solchen Punkt stehen sollten ... Meine Atmung wird flacher, hektischer und ... und ... ich höre mich selbst quietschend ein- und ausatmen. Hoffentlich nicht! Mit Tränen in den Augen versuche ich im Hier zu bleiben und so ruhig, wie es mir möglich ist, die Luft in meine Lungen vordringen zu lassen.
Ein und aus. Ruhig. Ganz langsam ein und aus. Zunehmend entspannt sich mein Körper wieder. Len und mir wird das nicht passieren! Daran glaube ich fest.
Ich hoffe, dass auch Oma ihr neues Glück finden konnte. Nicht nur eine neue Person an ihrer Seite, sondern einen Menschen, den sie verdient hat. Anton scheint auf jeden Fall ein guter Mensch zu sein und kein Pimmel – vielleicht auch beides. Wieder muss ich lachen. Dieses Wort!
Und wenn nicht, hat sie wenigstens noch Val als gute Freundin ... Obwohl ... Ich ziehe die Luft zischend ein. Ist sie überhaupt noch weiter in den Club gegangen? Oder hat sie womöglich Val auch noch verloren? Ich hoffe, Oma hatte den Arsch in der Hose, sich bei Val zu melden! Ich glaube nicht, dass Val sie im Stich gelassen hätte.
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Juli 1973
»Wie findest du es, dass wir jetzt ein richtiges Frauenzentrum in Berlin haben?«
Ich glotze Val an. Sie hat mich noch nicht einmal auf das mit Soph und mir angesprochen. Das ist ... Ich habe kein passendes Wort parat. Sie hat mir auch noch nicht in den Hintern getreten, obwohl ich Monate gebraucht habe, mich bei ihr zu melden. Aus Scham habe ich mich erst nicht getraut, zum Club zu gehen und, weil ich Soph den Freiraum lassen wollte. Außer das eine Mal, als ich ihre Sachen hingebracht habe. Da war Soph zum Glück nicht da. Ich habe mich als Störfaktor gesehen, der sich von ihr fernhalten sollte. Immerhin habe ich ihr großen Kummer bereitet. Irgendwann habe ich es aber nicht mehr ausgehalten und sehnte mich wieder nach anderem. Vielmehr nach meiner Freundin. Nach Val. Oder auch den Frauenraum. Ich konnte nicht anders und bin hin. Val hat mich sofort, als sie mich sah, abgefangen und fast zerdrückt vor Erleichterung und Freude.
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Narrativa Storica◦𝗛𝗶𝘀𝘁𝗼𝗿𝗶𝘀𝗰𝗵𝗲-𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿 & 𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸◦ Schnieke und vornehm auf der einen - hip und inmitten der Szene auf der anderen Seite. Zwischen alldem findet sich Elja wieder, die diese zwei Seiten ihrer Großmutter i...