24 | Letzter Versuch

116 25 241
                                    

Jetzt oder später? Ich schaue sie wahrscheinlich an wie ein Auto – das sagen Menschen doch so oder? –, denn ich denke, sie spiegelt mir gerade meine Gesichtsmimik wieder. Was jetzt oder später? Ich fühle mich gerade ordentlich dumm. Mir fallen nur eindeutig zweideutige beziehungsweise eher eindeutige eindeutige Dinge ein, die meistens – aber durchaus nicht immer – in einem Bett stattfinden ... Aber das wird sie doch jetzt nicht meinen. Oder doch? Wir sind hier gerade im Dachboden meiner verstorbenen Oma und haben darüber geredet und ...

»Elja? Alles klar? Du entfernst dich irgendwie immer weiter«, holt sie mich glücklicherweise aus meinen Gedankenkonstrukten.

»Würde ich Ja sagen, wäre es nicht unbedingt die Wahrheit«, mogle ich mich gekonnt – wie ich finde – aus der Antwortfindung heraus.

»Na, dann scheint es ja nicht ganz so dramatisch. Sicherlich warst du in abstrusen Gedankenfäden hängen geblieben und kanntest keinen Ausweg?!« Was soll ich sagen? Len kennt mich. Ich muss, denke ich, keine Geschichte aufschreiben, sie kann sie einfach erzählen. Mein Schmunzeln ist ihr wohl Antwort genug.

»Was deine Frage angeht ...«

»Die du nicht einordnen kannst?«

»Richtig ...«

»Der Einkauf. Blumen und Garten.« Unwillkürlich muss ich wieder grinsen, denn auch wenn es sich um ein ernstes, trauriges Thema handelt – also ja, nun habe ich es begriffen, was sie meint –, muss ich an die Erklärgeschichten denken, die Kindern erzählt wird bezüglich Sex und lande wieder bei meinen vorherigen Gedanken. »Erde an Elja.« Ups. Ja.

»Ähm. Später. Anscheinend.«

»Das denke ich auch.« Mit einem Schmunzeln begibt sie sich zur Tür, dreht sich noch einmal um und schaut mich zuckersüß an. Ich gehe zu ihr hin und gebe ihr einen Kuss. Auch ich weiß natürlich, was bei ihr im Kopf los ist. Bei Weitem aber nicht so gut, wie sie es bei mir erkennen kann. Nachdem sie mir ein Lächeln schenkt, was ich nur zu gerne erwidere, huscht sie die Treppen hinunter. Am Türrahmen angelehnt blicke ich ihr hinterher. Oh Himmel, wie sehr ich sie liebe. Was würde ich nur ohne sie machen?!

Nachdem ich mich von dem Rahmen lösen kann, schließe ich die Tür und gehe schnurstracks auf das Regal zu. Das bin ich eben, als Len ihren Rundgang vollführt hat, mehrmals in Gedanken durchgegangen. Eins nach dem anderen. Ich muss ja nicht gleich hineinschauen. Nur erst einmal das Album hervorholen. Das schaffe ich! Ich weiß zum Glück, in welchem dieser Fotoalben definitiv Bilder mit ihm sind. Ängstlich stehe ich nun davor. Meine Gliedmaßen sind bis zum Maximum angespannt und jeden Augenblick könnten sie vor lauter Anstrengung anfangen zu zucken. Doch es ist vielmehr die Panik vor dem, was mit mir passiert, wenn ich den Blick hinein riskiere, die meinen Körper zum Zittern animiert. Ist es noch ängstlich oder bin ich schon panisch? Wo verlaufen die Grenzen? Kann ich das als Betroffene immer so genau unterscheiden? Elja! Nicht drücken. Nicht jetzt. Mach einfach. So wie in deinen Gedanken. Aber das kann ich so gut ...? Okay. Wie ich es in meinem Kopf durchgegangen bin. Vor dem Regal stehe ich nun schon. Jetzt nur – nur – das Album rausziehen. Und vielleicht vorher die Augen wieder öffnen. Ganz langsam, als könnte mich gleich etwas anspringen – aber natürlich nicht, wenn meine Augen zubleiben –, öffne ich sie. Ich stehe vor dem Regal, welch ein Wunder. Es hat einen roten Einband. Das Album, welches ich hervorholen möchte. Langsam mit zittrigen Fingern greife ich danach. Ohne es weiter anzusehen, gehe ich mit diesem zum Schreibtisch und lege es neben das aufgeschlagene Buch meiner Oma. Doch erst einmal Daniels Bild suchen oder mich weiter in Omas Geschichte stürzen? Auseinandersetzung oder flüchten?

Ist es wirklich eine Flucht? Oder auch eine Art von Auseinandersetzung? Unbewusst habe ich mich bereits entschieden. Das Album mit dem roten Einband schiebe ich ein wenig weiter weg.

wir sind hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt