Zusatzkapitel - Rostwinds Sicht

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Der rote Kater floh. Wohin wusste er nicht. Er wollte nur gehen, weit weit gehen, die Verfolgung beenden. Er wollte nicht gebrochen werden, er musste stark bleiben. Das sind deine letzten Atemzüge, Rostwind, machte ihm seine eigene Stimme bewusst. 

Aber war er bereit zu sterben? So sehr er in Gedanken versunken rannte stolperte er und kam unsanft auf dem erdigen Boden auf. Die Schatten direkt hinter ihm. 

"Du bist ganz allein", flüsterte das dunkle Wesen. Aber Rostwind hörte nicht zu. Er realisierte alles nicht mehr. Er wusste, dass dies sein Ende war. 

Die Stimme sprach weiter, redete, versuchte dem Roten Angst zu machen. Doch Rostwind blendete die Bedrohung aus. Er dachte nach, versuchte Ruhe zu finden und seinen Herzschlag wieder zu verlangsamen. 

"Was hast du vor?", fragte er. Seine Stimme klang brüchig, beinahe schon hol, obwohl sie nicht so klingen sollte. Tapfer oder bescheiden, so hätten die Worte seinen Mund verlassen wollen. Aber nicht matt. 

"Das wirst du gleich sehen", schnurrte die Kätzin, er war sich sicher, dass es eine Kätzin war. 

Sie spannte die von Dunkelheit übersäten Muskeln an, duckte sich in wenigen Herzschlägen und sprang auf den wehrlosen Kater zu. Erschrocken jaulte Rostwind auf. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass sie ihn töten würde. Das war ihm von Anfang an bewusst gewesen. 

Aber so brutal? 

Er spürte, wie das Blut zu fließen begann, er öffnete den Mund, doch erinnerte sich wage an ihre Worte. Niemand hört dich schreien. Und so war es. Er konnte nicht schreien, nicht seinen Mund öffnen, obwohl die Schmerzen wie eine Flut auf ihn zukamen. 

Sein Augenlicht erlosch - er kniff beide Augen zusammen, rollte sich zu einer wimmernden Kugel zusammen, wie ein Junges, das getadelt wurde. Doch es beschützte ihn niemand. Als er die Augen wieder öffnete, fand er sich blutüberströmt, gekrümmt vor Schmerzen auf dem Erdboden wieder. Sein eines Auge war schwarz, er konnte nichts mehr erkennen. Die Kätzin war weg. 

Rostwind hörte seinen Atem röcheln, außer Puste, ohne Kraft. Es war sein Ende. Er biss die Zähne zusammen, wollte das erschöpfte Auge offenhalten, doch die Müdigkeit war stärker. Er schloss die Augen, zu müde, um zu gehen. 

_ _ _  

Doch als er sie wieder öffnete fand er sich nicht bei seinen Ahnen wieder, sondern unter einem Baum. Seine Blutungen waren gestillt, sein Herz schlug ruhig, doch die Schmerzen waren nicht gegangen. Vor ihm saß die Gestalt aus Schatten, blickte amüsiert zu ihm hinunter, als erfreute sie sein schwächlicher Zustand. 

"Sind alle Clankatzen so große Kämpfer wie du?", fragte sie höhnisch, schien jedoch keine Antwort abzuwarten. Sie erhob sich und stolzierte um ihn herum. Rostwind wollte den Kopf anheben, doch er schaffte es nicht. 

Er wollte den Mund öffnen, fragen, was mit ihm geschehen war, doch sein Mund blieb stumm. "Du willst wissen, was passierte?", fragte die Gestalt aus Schatten, "ich erzähle es dir. Doch zuvor möchte ich dir jemanden vorstellen. Jemanden, der dich hätte retten können. Und es doch nicht getan hat." Sie schnippte mit dem Schweif und hinter dem Baum tauchte eine silberne Gestalt auf. 

Silberschrei!, wollte er rufen, doch seinen Mund verließ nach wie vor kein Ton. "Vielleicht solltet ihr euch kurz etwas unterhalten", miaute die Kätzin, deren Körper unter Schichten aus Schatten verdeckt war. 

Sie nickte in Rostwinds Richtung und ein Gefühl der Freiheit machte sich in ihm breit. Vor Aufregung zuckten seine Ohren und als er erneut den Mund öffnete wandte er sich an Silberschrei: "Du...Du hast zugelassen, dass sie mich tötet!", knurrte er, wurde jedoch sofort von einem Hustenanfall begleitet. 

"Wer sagt denn, dass du tot bist?", fragte sie zurück. Nachdem Rostwinds husten verklungen war, stemmte er sich auf die Pfoten. 

"Ich bin nicht dumm. Vielleicht ist mein Körper noch am Leben, aber meine Seele hat ihn in dem Moment verlassen, in dem sie", er deutete mit dem Kopf auf die Schattengestalt, "mich zerfetzt hat." 

"Gut kombiniert", lobte sie und verzog das schwarze Maul zu einem argwöhnischen Lächeln. "Du bist tot, aber die Schatten kontrollieren nun deinen Körper. Deswegen konntest du dich vorhin nicht bewegen. Deine Seele ist hier, weil sie noch nicht bereit war loszulassen. Alles wie geplant" 

"Was hast du vor?", knurrte Rostwind, dieses mal ohne Husten. "Du müsstest doch inzwischen verstanden habe, dass ich dir nichts sagen werde. Eines kann ich dir versichern: Du wirst es noch bereuen, nicht losgelassen zu haben"

_ _ _ 

Die Tage verstrichen, in denen Rostwinds Körper im Heilerbau festsaß. Er hörte alles, er sah alles. Die Jungen, die im Heilerbau herumwuselten, auch jene von Silberschrei, die er am liebsten in den Fluss werfen würde, damit sie darin ertranken. Silberschrei war eine Mörderin.

Doch er durfte seinen Gefühlen keine freie Bahn lassen. Die Schatten, die seinen Körper kontrollierten, nahmen seine Gefühle war, vor Allem die negativen und verstärkten diese zusätzlich. Zwei mal schon, als Silberschrei in den Heilerbau gekommen war, war seine Wut und sein Hass verstärkt wurden und sein Körper hatte sich auf die Kätzin gestürzt. 

Wenn er wollte, dass ihn nicht alle für verrückt erklärten, dann durfte das nicht geschehen. Außerdem musste er noch herausfinden, wie er die Gefühle für sich nutzen konnte, um irgendwann zu entfliehen und zu seinen Ahnen zu gelangen. 

Doch es schien nicht, als würden die Clankatzen irgendetwas tun, um die Bedrohung aufzuhalten. Es kam ihn niemand besuchen, nicht einmal sein Schüler, Flusspfote. Er mied seinen ehemaligen Mentoren wohl am meisten. 

_ _ _ 

"Rostwind", murrte eine Stimme. Es war Silberschrei. Was hatte diese Verräterin so spät in der Nacht bei ihm verloren? 

"Die Zeit wird knapp. Und ich frage mich ernsthaft, wann du hinter unsere Pläne kommst. So dumm warst du doch wahrlich nie. Aber das ist ja nicht mein Problem. Jetzt muss dein Körper seinen Aufgaben nachgehen.  Du weißt schon. Informationen verraten, Schwachstellen preisgeben. Denn der eigentliche Verräter bist du. 
Aber ich schätze, ein Tipp zu unseren Plänen wird dir nicht schaden. Du wirst dich nur noch mehr ärgern, weil du es niemandem verraten darfst.
Die Schattengestalt, Schattenkatze - wie auch immer du sie innerlich genannt hast wird bald kommen. Und dann bist du tot. Aber nicht so, wie du denkst. Denn deine Seele ist mit den Schatten verbunden. Sie finden dich überall. Du kannst nicht fliehen. Im Gegenteil, du tust was auch immer dir die Schatten befehlen. 
Frag dich also nicht, wann alles endet, frag dich lieber, wann es wirklich beginnt"










Gefährliche Blicke | Warrior Cats FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt