10 ~ Kartenservice

864 127 294
                                    

»Hey«, sage ich, weil sich in meinem Gehirn nur noch rosa Zuckerwatte befindet und mir nichts anderes einfällt. Und selbst wenn mir etwas einfallen würde, könnte ich es nicht aussprechen. Ich befürchte, dass meine Stimme dabei viel zu auffällig zittern würde.

Er steht auf dem Haustritt, hat irgendwelche schwarzen Plaketten in der Hand und ein unwiderstehliches Lächeln im Gesicht, mit dem er so umwerfend aussieht, dass ich mich mit der Hand am Türrahmen festklammere, um nicht aus meinen Kuschelsocken zu kippen.

»Hey. Sorry, dass ich dich so überfalle. Ich hätte ja vorher angerufen, aber du hast gestern irgendwie vergessen, mir deine Handynummer zu geben.«

»Das könnte daran liegen, dass du gestern irgendwie vergessen hast, mich danach zu fragen«, plappert mein Mund völlig perplex und reflexartig das aus, was mir gerade durch den Kopf schießt. Meine Stimme war viel zu dünn und leise, doch wenigstens hat sie nicht vor Aufregung gebebt. Eine Tatsache, die mich stolz und ein kleines bisschen sicherer macht.

Ein weiteres, diesmal verlegenes, Lächeln huscht über seine Lippen. Dann senkt er den Blick auf seine Schuhe und wirkt plötzlich ebenfalls nervös. »Ja, stimmt. Nochmal sorry für meinen überstürzten Abgang. Jix macht gerade eine harte Zeit durch und ich kenne ihn am besten, also hatte ich quasi keine Wahl. Tut mir leid. Dir ging es auch nicht gut und ich hab dich einfach alleingelassen.«

Stumm betrachtet er mich mit seinen hypnotisierenden dunklen Augen und zieht mich damit komplett in seinen Bann. In irgendeine seltsame Trace-Trance, die mein Gehirn vollkommen außer Betrieb setzt. Als keine Reaktion von mir kommt, räuspert er sich.

»Okay, ich störe dich wahrscheinlich gerade bei etwas. Eigentlich wollte ich dir nur die hier vorbeibringen.« Er streckt mir die beiden schwarzen Karten mit weißem Aufdruck entgegen, die in eine Plastikhülle eingeschweißt sind und an einer Kordel hängen. »Die hab ich dir doch gestern versprochen. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich dich überhaupt gefragt habe, ob du Zeit hast.«

Blinzelnd und mit der Situation eindeutig mehr als überfordert richte ich meinen Blick auf die beiden Backstage-Pässe, die er mir hinhält. Zögerlich greife ich danach und nehme sie ihm aus der Hand.

Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, ihn nochmal wiederzusehen. Ich dachte eher, er hätte die Sache mit den Karten gar nicht ernst gemeint, oder schon längst wieder vergessen. Stattdessen bringt er sie mir sogar persönlich vorbei.

»Ähm ... danke«, bringe ich endlich über meine Lippen und betrachte einen Moment lang den Barcodestreifen, als wäre er das Faszinierendste, was ich seit langer Zeit gesehen habe.

»Okay. Das war's eigentlich schon.« Er schiebt die Hände in die Taschen seiner löchrigen schwarzen Jeans und schaut zur Seite. »Also, ich schätze, ich geh' dann mal wieder. Wir sehen uns ja. Vielleicht.«

Er dreht sich um und will gerade auf dem schmalen Fußweg zurück zur Straße laufen, als ich es endlich schaffe, mich aus meiner verblüfften Starre zu lösen.

»Trace!«, kreische ich ihm viel zu laut hinterher und krümme mich innerlich verschämt zusammen, dem Drang widerstehend, mir gleichzeitig die Hände aufs Gesicht zu pressen.

Gott, war das mal wieder peinlich!

Aber wenigstens wirksam, denn er dreht sich um und legt fragend den Kopf schief.

»Ich weiß nicht, ob du Zeit hast, aber falls du welche hast ... also, würdest du reinkommen wollen? Im Moment ist meine Freundin da. Wir frühstücken noch, obwohl es ja schon fast Mittag ist, aber ...«

»Nein, Livy, ich bin nicht mehr da. Ich hab nämlich gerade erfahren, dass ich heute Abend auf dem angesagtesten Konzert des Jahres bin, und ich muss mir unbedingt noch ein Outfit dafür besorgen.« Rose quetscht sich an mir vorbei durch die Tür, geht mit einem breiten Grinsen auf den Rockstar zu, der da in meinem Vorgarten steht, und streckt ihm die Hand hin. »Hi, ich bin Rose. Und wer du bist, weiß ich schon.«

Mit einem Mal, als hätte er irgendeinen Schalter umgelegt, strahlt Trace wieder die gewohnte Gelassenheit und Selbstsicherheit aus. Das unwiderstehliche Lächeln kehrt auf sein Gesicht zurück. »Hi, Rose. Cool, dass ihr dabei seid.«

»Ja!«, quietscht Rose und macht den Eindruck, als würde sie vor Begeisterung jeden Moment damit beginnen, wie ein Flummi herumzuhopsen. »Niemals würden wir uns dieses in unserer Stadt wirklich einmalige Event entgehen lassen. Das wollte Liv dir vorher eigentlich auch sagen, aber für manche Dinge braucht sie hin und wieder etwas länger. Liv, wir telefonieren später. Bye, Trace.«

Mit beschwingt federnden Schritten geht meine Freundin zur Straße, doch bevor sie hinter einer Hecke verschwindet, dreht sie sich nochmal um. »Ach, und Livy, vergiss nicht, was du mir vorher versprochen hast. Genau die Situation ist soeben eingetreten. Ich nehm' dich beim Wort!« Das Letzte, was ich von ihr sehe, ist ihr extrabreites Grinsen, während mir die Röte heiß in die Wangen schießt.

Dieses verflixte Kuss-Versprechen! Oh Mann, das werde ich niemals hinkriegen.

»Also falls du nicht auch losmusst, um dir ein Outfit zu besorgen, dann würde ich wirklich gerne eine Tasse Kaffee mit dir trinken. Nur, wenn das Angebot noch steht.«

»Äh, ja. Komm rein.« Ich trete einen Schritt zur Seite und öffne die Tür etwas weiter, um Trace in mein Haus zu lassen. »Sollte ich mir denn auch noch was besorgen? Ich meine, denkst du, ich sollte heute Abend was Spezielles anziehen?«, murmle ich nachdenklich, während ich die Türe wieder hinter uns zuziehe.

Als ich den Kopf hebe, stehen wir uns in dem engen Flur unglaublich dicht gegenüber und er sieht auf mich herunter. »Klar. Wusstest du das nicht? Du musst komplett in Schwarz kommen, sonst lassen sie dich nicht rein. Die sind da echt streng. Noch nie auf einem Rockkonzert gewesen?«

Er hebt eine Braue und macht ein derart ernstes Gesicht, dass ich beinahe versucht bin, ihm zu glauben. Aber nur beinahe.

Vielleicht wirkt seine Coolness ja ansteckend auf mich?

Denn während seine Nähe und sein verflixt gut duftendes Aftershave dafür sorgen, dass mein Herz in meinem Inneren ein paar Purzelbäume schlägt, schaffe ich es irgendwie, nach außen hin erstaunlich lässig mit den Schultern zu zucken. Mir fällt sogar eine einigermaßen passable Antwort ein.

»Denkst du, das wusste ich nicht? Ich bin komplett ausgestattet. Lederhose, Lederjacke, Ledercorsage. Das volle Programm. Okay, vielleicht mal abgesehen von hohen Lederstiefeln. Du hast ja gesehen, ich hab nur zwei paar Schuhe.«

Er schluckt deutlich sichtbar. Seine Augen verengen sich und bohren sich in meine. »Verdammt, Liv. Dir ist hoffentlich klar, was ich jetzt für Bilder im Kopf habe. Obwohl mir ehrlich gesagt schon bei dem Anblick direkt vor mir heiß genug ist.«

Oh Gott, und mir erst.

Sein Gesicht ist meinem ganz nah, er sucht meinen Blick und in seinen dunklen Augen blitzt etwas auf, das mein Herz erneut zum Stolpern bringt. Mein Atem beschleunigt sich, ich beiße mir auf die Unterlippe und bin ganz kurz davor, ihn einfach am T-Shirt zu mir zu ziehen, und auf der Stelle mein Versprechen einzulösen.

»Ich wünschte, ich hätte dich gestern geküsst. Weißt du, dass ich mir die ganze restliche Nacht über vorgestellt habe, wie es gewesen wäre?«, fragt er rau. Ohne den Blick von mir zu lassen hebt er seine Hand und streicht mit seinem Daumen ganz sacht über meine Unterlippe. Ich schließe die Augen, während sich gleichzeitig eine prickelnde Gänsehaut wie ein Lauffeuer über meinen ganzen Körper ausbreitet. »Also, wenn du nicht willst, dass ich dich jetzt küsse, dann solltest du besser ein paar Schritte von mir weggehen.«

«

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.


Mehr als ein Traum ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt