16 ~ Pechsträhne

829 115 233
                                    

»Eigentlich hat die Sache mit Deacon und dem Abschlussball nicht direkt etwas mit Edwards zu tun. Aber sie war irgendwie der Beginn meiner bis heute andauernden Pechsträhne, in der Edwards noch eine ziemlich große Rolle spielen wird.«

Trace sieht mich an und zwischen seinen Augenbrauen entsteht eine tiefe Falte. »Erzähl weiter, Liv.«

»Na ja, nach der Sache mit Deacon ging es mir eine ganze Weile schlecht. Ich hab mich in meinem Zimmer verschanzt und mich im Selbstmitleid gesuhlt. Immerhin hatte ich ihn für die Liebe meines Lebens gehalten.«

»Tust du das immer noch?«

»Natürlich nicht!«, rufe ich entrüstet aus und bedenke ihn mit einem fassungslosen Blick, bevor ich energisch meinen Kopf schüttle. »Ich hasse ihn, Trace! Er hat mein Vertrauen in die Liebe zerstört. Er hätte nie im Leben mehr eine Chance bei mir, und wenn er es noch so sehr bereuen würde!«

Für einen Moment presst er seine Lippen zu einem schmalen, weißen Strich zusammen. Dann nickt er langsam. »Das kann ich verstehen.«

»Gut.« Nach ein paar tiefen Atemzügen hat sich mein innerer Aufruhr soweit beruhigt, dass ich wieder klar denken kann. »Tut mir leid. Es ist ewig her und sollte mich nicht mehr so aufwühlen.«

»Schon okay.« Er lächelt ein schiefes Lächeln, das etwas Gequältes hat. »Ich mag temperamentvolle Frauen. Und ich habe ja genauso meine Leichen im Keller.«

Vermutlich spielt er damit auf seine Jugendliebe an. Sie scheint ihm mindestens noch genauso nachzuhängen, wie Deacon das bei mir tut.

Ich seufze leise. »Vielleicht ist es ja an der Zeit, sie ordentlich zu begraben.«

»Und sich den Lebenden zuzuwenden?«

»Ja.«

»Ja, vielleicht. Erzählst du weiter?«

»Okay.« Nachdenklich starre ich die Kerze an, während ich mich daran zu erinnern versuche, wo ich stehengeblieben war. »Als ich mich wieder halbwegs aufgerappelt hatte fand mein Dad, es wäre ein günstiger Zeitpunkt, um zu verkünden, dass er uns verlassen würde. Rücksichtsvoll wie er war, hat er damit gewartet, bis ich meinen Abschluss in der Tasche hatte. Und das, obwohl seine Affäre zu dem Zeitpunkt bereits schwanger war. Großzügig von ihm, oder? Tja, kurz darauf ist er ausgezogen. Ich weiß nicht einmal, wo er mit seiner neuen Familie inzwischen wohnt. Am Anfang hat er immer mal wieder angerufen, aber ich habe ihm gesagt, ich würde keinen Kontakt mit ihm wollen. Das hat er offenbar sehr ernst genommen und sich seit acht Jahren nicht mehr gemeldet. Er weiß nicht mal, dass Mom tot ist.«

»Verdammt.«

»Ja. Leider ging es noch schlimmer weiter. Ich war gerade im dritten Semester an der Uni, da bekam meine Mom die Diagnose Knochenkrebs. Sie brauchte mich, also hab ich das Studium abgebrochen und bin nach Hause gekommen. Mom hatte eine Krankenversicherung, aber es gab viele Behandlungen, die die Kasse nicht übernommen hat. Die Krankheit hat ihr so zu schaffen gemacht, dass sie nicht mehr arbeiten konnte, also hab ich mir einen Job gesucht. Ich hatte in der Schule immer sehr gute Noten, aber ohne Collegeabschluss oder Ausbildung wollte mich trotzdem niemand einstellen. Niemand, bis auf Mr. Edwards.«

»Edwards, der barmherzige Samariter«, wirft Trace ironisch ein und lacht ein freudloses Lachen. Seine schönen Gesichtszüge verfinstern sich. »Ich bin mir sicher, dass er schon damals bestimmte Absichten hatte.«

Meine Schultern zucken. »Ich weiß es nicht, aber bis am Freitag hat er nie etwas versucht. Er hat mir einen Job als Bürohilfskraft gegeben und ich habe mich wohl ganz gut angestellt. Jedenfalls bin ich immer weiter befördert worden. Dann ging es meiner Mom plötzlich schlechter. Ich musste meine Arbeitszeit reduzieren, um für sie da zu sein, und wir brauchten noch mehr Geld für die Behandlungen. Da hat Edwards mir welches geliehen.«

»Du schuldest ihm Geld?«

»Ja. Sogar eine ganze Menge. Die Bank hat mir nichts mehr gegeben, Edwards schon. Im Grunde gehört mein Haus der Bank und Edwards.«

»Verstehe. Deshalb glaubst du, von ihm abhängig zu sein.«

»Das glaube ich nicht nur, Trace. Ich kann den Job nicht einfach hinschmeißen. Ich brauche das Geld um meine Schulden zu bezahlen und ich glaube kaum, dass jemand anders mich einstellen würde. So ohne jede Qualifikation. Ich würde mit nichts auf der Straße sitzen, wenn Edwards mir kündigt.«

Er reibt sich über den Nacken und seufzt. »Was ist mit deinen Freunden Liv? Gibt es niemanden außer Rose? Konnte dir keiner helfen?«

»Nein. Dabei hatte ich während meiner Schulzeit viele Freunde. Aber die meisten sind auf die Uni gegangen oder weggezogen und die restlichen habe ich während der Jahre, in denen Mom krank war, einen nach dem anderen verloren. Für sie blieb einfach keine Zeit. Entweder habe ich gearbeitet oder mich um Mom gekümmert. Sie hatte ständig Arzttermine, Krankenhausaufenthalte, Bestrahlungen. Rose habe ich kennengelernt, während wir im Bestrahlungscenter auf unsere Mütter gewartet haben. Immerhin ist sie mir noch geblieben.«

Trace springt von seinem Stuhl auf und geht rastlos ihm Zimmer hin und her. »Verdammt Liv! Du hast das alles nicht verdient! Und du hast es nicht verdient, jahrelang an Edwards gekettet zu sein. Ich weiß noch nicht genau wie, aber ich werde dafür sorgen, dass deine Pechsträhne bald ein Ende hat.« Er stützt seine Hände auf der Tischplatte auf, beugt sich zu mir und senkt seinen dunklen, eindringlichen Blick in meine Augen. »Was würdest du tun wollen, Liv? Wenn du die Wahl hättest und frei wärest? Wie stellst du dir deine Zukunft vor?«

Mir wird das Herz ganz schwer, denn plötzlich stelle ich fest, dass ich nicht den blassesten Schimmer habe. Es steht schlechter um mich, als ich dachte. Ich habe überhaupt keine Träume und Ziele mehr. Ich habe mich einfach tatenlos in mein tristes Schicksal als verschuldete Assistentin von Mr. Edwards ergeben.

»Ich hab mir nie erlaubt, darüber nachzudenken«, wispere ich schließlich geknickt. »Das hätte mich nur frustriert und alles schlimmer gemacht, weil meine Lage total aussichtslos ist. Ich habe keine Ahnung, was ich will.«

»Dann schlage ich vor, dass du schnellstens darüber nachdenkst.«

Mit einem schwachen Lächeln nicke ich. Er nimmt einen Schluck von seinem Wasser, dabei bemerke ich die Schatten unter seinen schönen, dunklen Augen.

»Du siehst müde aus. Hättest du Lust ... Ich meine, willst du heute Nacht vielleicht bei mir schlafen? Ohne mit mir zu schlafen?«

»Das würde ich wirklich gerne.«

Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, dessen Anblick mein Herz zum Schmelzen bringt. Vielleicht gibt es da ja doch ein paar Träume? Ein paar Träume, in denen ein gewisser Rocksänger eine ziemlich große Rolle spielt.

›Genau! Ein Traum! Nicht mehr als ein Traum!‹, ruft die warnende Stimme meines Verstandes mir eindringlich zu.

Er streckt mir die Hand hin, zieht mich vom Stuhl hoch und bringt mit seiner Berührung glücklicherweise alle Gefahrenhinweise meines Gehirns schlagartig zum Schweigen, bevor wir Hand in Hand die Treppe hinauf und zu meinem Schlafzimmer gehen.

Er streckt mir die Hand hin, zieht mich vom Stuhl hoch und bringt mit seiner Berührung glücklicherweise alle Gefahrenhinweise meines Gehirns schlagartig zum Schweigen, bevor wir Hand in Hand die Treppe hinauf und zu meinem Schlafzimmer gehen

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Mehr als ein Traum ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt