27 ~ Hass und Liebe

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»Ich hasse dich nicht, Trace«, flüstere ich belegt.

»Nein?«

»Nein.«

Ein zaghaftes Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln. »Und denkst du ... Denkst du, du kannst mir wieder vertrauen? Irgendwann?«, fragt er und ist plötzlich sehr ernst.

Das ist eine weitaus schwierigere Frage. Ich runzle die Stirn und verknote nervös die Finger in meinem Schoß. »Ich weiß es nicht. Es ist wirklich viel für mich, gerade.«

»Das verstehe ich.«

»Erzählst du mir, was passiert ist, nachdem du weggerannt bist?«

»Klar. Ich ging nach Boston zu Tom, dem Bruder meiner Mom. Er wollte sie immer dazu überreden, meinen Vater zu verlassen, aber er hat es nie geschafft. Es gab keinen anderen Ort, wo ich hätte hingehen können. Als ich bei ihm ankam, noch im Anzug und ohne Gepäck, hat er gar nicht lange nachgefragt, sondern mich einfach bei sich aufgenommen. Ich hab zwei Jahre lang bei ihm gelebt und er hat mich dazu überredet, eine Therapie zu machen. In dieser Zeit hab ich mit Jix und Lonny die Band gegründet, das hat mir auch geholfen. Zuerst hab ich mich eine ganze Weile von Job zu Job gehangelt, aber wir hatten riesiges Glück und mit der Band ging es ziemlich schnell aufwärts. Irgendwann konnte ich Deacons dunkle Seite hinter mir lassen. Das hoffe ich jedenfalls.«

»Du hast sogar deinen Namen geändert. Und du hast überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit Deacon.«

»Du hast mir erzählt, dass du nach meinem Verschwinden bei meinem Vater warst. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich ihm damals sehr ähnlich gesehen habe?«

Ich nicke. »Stimmt. Das war ... Das hat damals wirklich weh getan. Er sah aus wie eine ältere Version von dir und er hat mich einfach weggeschickt.« 

»Das tut mir leid, Vi«, sagt er leise. Ich blicke geradewegs in seine Augen.

»Schon gut, dafür kannst du nun wirklich nichts. Du wolltest ihm also nicht mehr ähnlich sehen. Das kann ich sogar verstehen.«

Er lächelt leicht, aber es ist ein trauriges Lächeln. »Tom hat als Tätowierer in einem Tattoostudio gearbeitet, und so bin ich zu meinen ersten Tattoos gekommen. Es hat mir gefallen, das, was mir etwas bedeutet, auf meinem Körper zu verewigen, und außerdem hat es mir gefallen, mich zu verändern. Vielleicht sogar zu gut, ich konnte kaum wieder damit aufhören. Ich wollte ihn nicht jedes Mal sehen, wenn ich in den Spiegel schaue. Deshalb habe ich alles dafür getan, damit es nicht mehr so ist. Ich hatte schon so ziemlich jede Haarfarbe und Frisur, die du dir vorstellen kannst. Und ich habe trainiert wie ein Irrer, weil ich nie wieder schwach sein wollte.«

»Also deshalb ... Sogar deine Augen sind anders.«

»Ich hatte seine Augen, Vi. Es gibt eine Methode, beim Augenarzt mit einer Laserbehandlung die Iris tätowieren zu lassen und damit dauerhaft ihre Farbe zu ändern. Es war riskant und heute würde ich es nicht mehr machen. Ich hatte riesengroßes Glück, dass bei mir alles gut gegangen ist. Aber zur der Zeit hab ich mein ganzes Geld dafür ausgegeben und wäre jedes Risiko eingegangen, nur um seine Augen nicht mehr sehen zu müssen.«

Ich nicke. Was er mir erzählt, hilft mir, endlich zu verstehen, was damals passiert ist. Zu begreifen, dass es nicht an mir lag, und auch nicht daran, dass er mich nicht geliebt hat. Aber eine Sache weiß ich noch immer nicht.

»Wieso bist du zurückgekommen, Trace?«

Sein Blick gleitet über mein Gesicht, als müsse er sich jedes Detail davon für immer einprägen. »Die Frau, die ich liebe, wohnt hier.«

Die Schlichtheit und Aufrichtigkeit seiner Worte lassen mein Herz aus dem Takt geraten. Seine Worte verwandeln meinen Kopf in eine Wüste. Ein leeres, heißes Nichts.

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