24 ~ Versprechen

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Als ich am Dienstagmorgen in dunkelblauer Jeans, weißer Bluse und grauem Blazer mein Haus verlasse, um wieder zur Arbeit zu gehen, steht unter einem Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mann.

Ich ziehe den Atem ein und reiße die Augen auf. Trotz Basecap und dunkler Jacke mit hochgeschlagenem Kragen muss ich gar nicht lange hinsehen, um zu wissen, wer das ist. Zielstrebig kommt er auf mich zu, während ich fluchtartig mein Grundstück verlasse und auf die Straße einbiege. Mein Atem und meine Schritte beschleunigen sich im Einklang miteinander. Ich darf ihn nur nicht ansehen, dann kann ich es vielleicht schaffen, wenigstens ein Stückchen meines zerschmetterten Herzens zu retten.

»Via«, sagt er leise, als er mich eingeholt hat. Der Klang seiner Stimme trifft mich bis ins Mark. Wir gehen weiter, aber die Welt um mich herum bleibt stehen.

»Was willst du, Deacon?« Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie er zusammenzuckt, als ich ihn bei seinem richtigen Namen nenne. Doch er sagt kein Wort dazu.

Ihn damit zu treffen verschafft mir nicht annähernd die Genugtuung, die ich mir erhofft habe. Ihn zu verletzen, weil er mich verletzt hat, trägt kein bisschen dazu bei, dass ich mich besser fühle. Ich werde es bleiben lassen.

»Sag mir, weshalb du hier bist. Ich will dich nicht mehr sehen, das sollte dir eigentlich klar sein.«

»Wir müssen reden, Vi.«

»Das sehe ich anders.«

Er hält mein Handgelenk fest, bringt mich damit zum Stehen, und obwohl ich es nicht will, fängt er dabei meinen Blick auf. In seine Augen zu sehen weckt den Schmerz in einer neuen Heftigkeit, bohrt ihn wie ein heißes Messer in meine Brust, trotzdem muss ich ihn ununterbrochen anstarren. Das scheint wohl eine neue masochistische Ader an mir zu sein. Nach wie vor sehnt sich ein viel zu großer Teil von mir nach seinem Anblick, seiner Stimme, seinen Berührungen.

Nein! Diesen dämlichen Rockstar mit seiner fantastischen Stimme, den hypnotischen Augen und den unglaublichen Küssen - wer braucht den schon? Ich jedenfalls nicht.

Trace sieht genauso müde aus, wie ich mich fühle. Unter seinen Augen zeichnen sich tiefe Schatten ab und er ist blasser als sonst. Der Blick, mit dem er mich ansieht, ist beinahe sehnsüchtig.

Nicht, dass mich das interessieren würde.

»Wir müssen reden, Vi«, wiederholt er eindringlich und brennt seine dunklen Augen in meine.

»Ich kann nicht.«

»Da sind Dinge, die ich dir unbedingt sagen muss.«

»Dafür ist es zehn Jahre zu spät.«

Er starrt mich an. Sein Blick ist so durchdringend, als wollte er mich damit von der Wahrheit seiner nächsten Worte überzeugen. »Ich werde nicht wieder abhauen. Das war vor zehn Jahren falsch, und das wäre es jetzt wieder. Ich mache nicht nochmal denselben Fehler. Ich bleibe so lange hier, bis wir uns ausgesprochen haben. Das ist ein Versprechen, Via.«

»Hört sich für mich eher nach einer Drohung an.«

Er atmet tief durch. »Gib's mir ruhig. Das hab ich verdient.«

»Ja, das hast du.« Ich schüttle langsam den Kopf. »Du kannst gar nicht hierbleiben. Du musst morgen wieder weiter. Ihr seid auf einer Tour und habt feste Konzerttermine.«

»Mir egal.«

»Du hast einen Vertrag unterschrieben. Du wirst Probleme bekommen.«

Er zuckt mit den Schultern. »Du bist mir wichtiger. Rede mit mir, mehr will ich nicht. Und wenn du mich danach wegschickst, dann gehe ich, Vi.«

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