8 ~ Faszinierende Stimme

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Meine Knie sind mit einem Mal weich wie Gummi und ich bin mir sicher, dass ich ohne die Mauer hinter mir einfach zusammensacken würde. Als sein Mund sich meinem Ohr nähert, ziehe ich scharf die Luft ein.

»Einverstanden«, raunt er leise. »Und falls du dich damit besser fühlst, Liv: Möglicherweise finde ich dich ja auch ziemlich heiß.«

So etwas sollte er lieber nicht sagen. Besonders dann nicht, wenn er so dicht vor mir steht. Mein Herz schlägt bereits unnormal schnell, ganz sicher verkraftet es keine weitere Tempoverschärfung. Ich atme tief ein und ganz langsam wieder aus, um mir nicht allzu sehr anmerken zu lassen, was seine Bemerkung in mir auslöst. Meine Hormone tanzen Tango und einen Moment lang verliere ich mich in meinen Fantasien. Sein warmer Atem, der auf meinen Hals trifft, jagt einen wohligen Schauer über meine Haut, doch anstatt mir noch näher zu kommen, richtet er sich langsam wieder auf und tritt einen Schritt zurück.

Weshalb ich darüber grenzenlos enttäuscht bin, reihe ich ohne weiter darüber nachzudenken in die Liste der Fragen ein, die ich mir lieber gar nicht erst stelle.

Gleichzeitig schrillen wieder alle meine Alarmglocken, denn mir wird gerade glasklar bewusst, dass Trace kein Typ ist, für den man einfach nur schwärmt. Er ist einer von denen, in die man sich rettungslos verliebt. Und da es für uns keine Zukunft gibt, ist das ein erschreckender Gedanke.

Seine dunklen Augen lassen mich nicht los, aber seine Stimme klingt ruhig und gelassen, als er wieder spricht. »Du gehst regelmäßig joggen. Eines deiner zwei Paar Schuhe sind Laufschuhe und du hast ein paar Pokale von Laufwettbewerben im Regal stehen.«

Beeindruckt von seiner Lässigkeit, die im krassen Gegensatz zu meiner inneren Aufgewühltheit steht, blinzle ich mehrmals. Ich brauche eine ganze Weile, um mich zu sammeln, damit ich die Bedeutung seiner Worte überhaupt erfassen kann. »Das stimmt. Nummer ...« 

Meine Stimme, die gerade leider eher nach Krähe als nach sexy Vamp klingt, verstummt. Mein Gehirn ist gründlich leergefegt und ich habe keinen Schimmer, die wievielte richtige Behauptung von ihm das war.

»Fünf. Wir sind in deinem Elternhaus und du wohnst hier schon immer.«

Stumm sehe ich ihn an und nicke. »Das stimmt auch. Aber woher ...« Ich bringe kein weiteres Wort über die Lippen, doch er hat bereits verstanden, was ich wissen will.

»Wegen des Fotos von der Frau, die ein Baby auf dem Arm hat. Sie sieht dir ähnlich und ich denke, das ist deine Mom. Sie steht vor diesem Haus.«

Ich nicke erneut. Jede einzelne seiner Vermutungen trifft ganz genau ins Schwarze und in meinem Kopf beginnt es zu schwirren. »Nummer sechs«, bestätige ich leise.

Er räuspert sich. »Du hast keine Geschwister. Auf den Fotos sind immer nur du und deine Mom.«

»Richtig. Nummer sieben.«

»Dein Dad ...« Anstatt den Satz zu beenden, wendet er den Blick ab und fährt mit dem Zeigefinger mehrmals über den Rand der Bierflasche auf dem Tisch, die Brauen gedankenversunken zusammengezogen. »Okay, alles andere, was ich vermute, ist sehr persönlich. Ich bin nicht sicher, ob ...«

»Sprich weiter«, platzt es aus mir heraus. Ich bin vollkommen perplex darüber, was er bisher über mich herausgefunden hat, nur indem er ein paar Stunden mit mir verbracht und sich ein Zimmer meines Häuschens angesehen hat. Anscheinend kann er mich lesen wie ein offenes Buch.

Vielleicht hat ihn wirklich das Universum zu mir geschickt? Vielleicht ist er eine Art Seelenverwandter?

»Du bist sicher, dass du auch wissen willst, was ich wegen deiner Eltern denke?« Seine dunkle, faszinierende Stimme hat nun einen sanften Tonfall. Sie schmiegt sich schützend um meine Seele wie weicher, warmer, schwarzer Samt. Es fühlt sich an, als könne sie in dieser Hülle nicht zerbrechen.

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