5 ~ Flucht

921 135 236
                                    

Entschlossen drücke ich mich von ihm weg, wobei seine Hände von meinen Hüften gleiten. »Wenn du denkst ich wäre jetzt so weit, dass du mich abschleppen kannst, dann hast du dich geschnitten«, fauche ich ihn an.

Sein Blick ist abwesend auf einen bestimmten Punkt im Raum gerichtet. Im nächsten Moment hebt er eine Hand seitlich an sein Gesicht. »Sorry, was hast du gesagt?« Er sieht mich flüchtig an, greift dabei nach meiner Hand, ohne die andere von seiner Wange zu nehmen, und schlängelt sich dann mit mir im Schlepptau durch die tanzende Menge.

»Trace!«, protestiere ich, doch er zieht mich weiterhin unbarmherzig mit sich, bis wir schließlich im Freien sind. Unbeirrt läuft er mit schnellen Schritten den Gehsteig entlang, während ich hinter ihm her stolpere. »Trace! Was soll das? Ich hab' dir gesagt, ich komm nicht mit in dein Hotelzimmer.«

Seine Augen weiten sich staunend, während er stehenbleibt, sich zu mir dreht und mich ansieht. Dann grinst er. »Liv, ich will dich nicht ins ...« Seine Stimme erstirbt, als er über meine Schulter blickt, und er verzieht gequält das Gesicht. »Ich erklär es dir später. Vertrau mir, okay? Denk ans Universum.«

Er setzt sich wieder in Bewegung und schleift mich an seiner Hand hinter sich her in den finsteren, zurückversetzten Eingangsbereich eines Friseurgeschäfts, wo er mich gegen die seitliche Wand schiebt und sich dann neben mir dicht an die Mauer presst.

Vermutlich sollte ich Angst haben, denn ein dunkler Typ, den ich nicht besonders gut kenne, hat mich gerade in eine schummerige Nische verschleppt, doch ich fürchte mich keine Sekunde lang. Stattdessen bin ich einfach nur verwirrt. Und vielleicht auch ein bisschen ärgerlich.

»Trace, was zur ...«

»Schhhhht...« Er legt seinen Zeigefinger an die Lippen und einen derart flehenden Ausdruck in seine Augen, dass ich nur unwillig die Brauen zusammenziehe und meine Klappe halte. Gleich darauf höre ich Schritte, die sich in schnellem Takt nähern. Klackernde Geräusche von mehreren Schuhen mit hohen Absätzen, vermischt mit Gesprächsfetzen, hallen durch die Stille der Nacht. Erst als unsere Verfolger auf dem Gehsteig direkt an uns vorbeilaufen, kann ich ihre Worte verstehen.

»Mist, wo ist er hin?«, zischt eine weibliche Stimme.

»Er kann noch nicht weit sein«, antwortet eine andere.

»Meint ihr, das war seine Freundin?«, fragt eine Dritte.

»Wohl kaum. Es steht überall, er wäre Single. Bestimmt nur ein One Night Stand.«

»Ich hab' von den beiden beim Tanzen ein paar Fotos gemacht. Hier, schau mal. Das sah schon ...«

Die Stimmen entfernen sich, vermischen sich mit den Schritten zu einer unverständlichen Geräuschkulisse und verwehen schließlich im leichten Wind.

»Puh, das war knapp.« Trace pustet sich eine Haarsträhne aus der Stirn und die Anspannung weicht aus seinem Köper. Dann dreht er sich zu mir und grinst mich an. »Herzlichen Glückwunsch, das war unsere zweite erfolgreiche Flucht heute Abend.«

»Okay, Mr. Rockstar. Wie berühmt bist du wirklich?« Fragend ziehe ich eine Braue nach oben. »Waren das gerade so was wie wildgewordene Groupies?«

Er legt den Kopf schief und verengt nachdenklich seine Augen. »Zu deiner ersten Frage: Nicht sehr. Und zur zweiten: Könnte man vielleicht so sagen.«

Mir entwischt ein Kichern. »Und du versteckst dich vor denen? Solltest du mit deinen Fans nicht freundlicher umgehen?«

»Glaub mir, ich hab's versucht. Leider verstehen manche es nicht, egal wie deutlich man wird. Ich weiß, was ich meinen Fans verdanke, und ich nehme mir Zeit für sie. Wirklich. Aber manchmal gehen sie einfach zu weit. Du willst nicht wissen, was sich diese vier Mädels schon alles geleistet haben.« Er schüttelt den Kopf, bevor sich sein intensiver Blick in meinen Augen versenkt. »Tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe. Sie haben irgendwelche Bilder gemacht. Könnte sein, dass die bei Tiktok auftauchen. Oder bei Insta. Oder weiß der Geier wo.«

»Ist nicht so schlimm«, erwidere ich schulterzuckend.

Er lächelt mich an, einen Ausdruck von Erstaunen im Gesicht. »Nicht?«

»Nein. Und ich glaube auch kaum, dass man auf dem Bild viel von mir erkennt, so eng wie ich an dich gekuschelt war.«

Er lacht ein leises, warmes Lachen und ich tue mein Bestes, um zu verdrängen, dass irgendetwas in mir darauf anspricht und wie verrückt zu kribbeln beginnt. Er fasst sanft meinen Arm und dreht mich zu sich herum. Sein großer, athletischer Körper lehnt sich in meine Richtung und mir ist viel zu bewusst, wie nahe wir uns auf einmal sind.

Verflixt, er hat wirklich schöne Augen. Und ich habe wirklich ein Problem.

»Das hat sich verdammt gut angefühlt.« Seine dunkle Stimme fließt über meine Haut wie warmer Honig, hinterlässt eine prickelnde Spur auf meinem ganzen Körper. Seine Augen blicken mich an. Blicken in mich. Tiefer, als je ein Fremder in mein Innerstes geblickt hat. Es beflügelt und beunruhigt mich zur gleichen Zeit. Mein Herz macht einen Satz, in meinem Kopf dreht sich alles und die Luft zwischen uns heizt sich auf und beginnt zu vibrieren.

›Du spielst mit dem Feuer, Liv! Willst du dich wirklich verbrennen?‹, ruft mein Bauchgefühl eine Warnung aus. Aber ich wurde bereits verbrannt. Kann es überhaupt noch schlimmer werden?

Unsere Gesichter sind sich unglaublich nah. Jedes einzelne Härchen auf meinem Körper richtet sich auf. »Hast du Angst, Liv?«

Warum fragt er das? Was meint er damit? Erkennt er die Unsicherheit in meinen Augen?

Mit gespielter Gelassenheit, die ich sicherlich dem Alkohol verdanke, hebe ich meine Brauen. »Vor wem? Vor dir?«

»Möglicherweise?«

»Wieso sollte ich? Vielleicht überschätzt du dich, Rockstar?«, antworte ich schnell. Zu schnell.

Gelogen.

Denn ich habe Angst. Und wie. Ich kenne ihn erst seit wenigen Stunden und schon erkenne ich mich selbst nicht wieder. Ich weiß nicht mehr wo vorne und hinten ist. Und meine Gedanken schlagen gerade eine Richtung ein, die sie noch nie genommen haben, wenn ich jemanden erst so kurze Zeit kannte.

»Na ja, vielleicht doch ein bisschen«, rudere ich deshalb wieder zurück. Nach wie vor kursiert jede Menge Alkohol in meinem Blut und treibt mich dazu an, ihm schamlos die peinliche Wahrheit zu verkünden. »Du bringst mich auf dumme Gedanken.«

Eigentlich rechne ich damit, dass er grinsend einen frechen Spruch bringt oder mich vielleicht sogar auslacht. Stattdessen hebt er langsam seine Hand und legt sie auf meine Wange. Sein Daumen streicht vorsichtig darüber und unwillkürlich schmiege ich mich in seine Handfläche. »Vielleicht sind sie ja auch gar nicht so dumm.«

«

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Mehr als ein Traum ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt