9 ~ Frühstück zu zweit

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»Tja, und dann klingelte sein Handy, weil sein Bruder in der Hotelbar Ärger gemacht hat. In so einem Fall ist er anscheinend der Einzige, der ihn noch zur Vernunft bringen kann. Zehn Minuten später hat ihn jemand abgeholt«, beende ich meinen Bericht und schicke ein leises Seufzen hinterher. Den Ausgang des gestrigen Abends habe ich mir etwas anders vorgestellt.

Ich nehme einen tiefen Atemzug und bin froh, dass das Gefühl, jemand würde mit regelmäßigen, gezielten Hammerschlägen auf meine Stirn eindreschen, so langsam nachlässt. Meine zweite Kopfschmerztablette hat während des Erzählens endlich ihre Wirkung getan. Sogar der übelkeitserregende Schwindel hat inzwischen aufgehört.

In der letzten halben Stunde habe ich Rose meine Erlebnisse des Vorabends geschildert. Begonnen bei dem furchtbaren Moment, in dem ich Mr. Edwards im Nebenzimmer des Restaurants gegenüberstand, bis hin zu dem Anruf, nach dem Trace ganz plötzlich verschwinden musste.

Okay, vielleicht habe ich zwischendurch ein paar winzige Details übersprungen. Zum Beispiel unser Spiel, meinen Einsatz und dass ich ihm nach seinem Gewinn eigentlich die ganze Geschichte mit Mr. Edwards hätte erzählen müssen. Vermutlich hat sich diese Sache mit seinem überraschenden Abgang sowieso erledigt. Ich bin nur nicht sicher, ob ich darüber erleichtert oder enttäuscht sein soll.

Inzwischen kommt mir selbst alles total unwirklich vor, was heute Nacht passiert ist. Wie sehr Trace sich für mich interessiert hat, was er nun über mich weiß, was ich in seiner Nähe gefühlt habe und wie intensiv das alles war.

Meine Freundin sitzt mir an dem kleinen Tisch aus hellem Holz im Esszimmer gegenüber. Darauf befinden sich zwei Kaffeetassen, deren Inhalt mit Sicherheit inzwischen kalt geworden ist, ein Korb mit den frischen, bisher unangetasteten Brötchen, die sie mitgebracht hat, sowie Butter und Marmelade.

Sie sieht mich mit ihren großen, rehbraunen Augen an. Ihre braunen, glatten Haare sind seit einem Friseurbesuch von vor wenigen Tagen zu einem schulterlangen Bob geschnitten. Ein Anblick, an den ich mich erst noch gewöhnen muss. Davor waren sie wesentlich länger.

»Irgendwie kann ich gar nicht glauben, dass du das bist, von der du da sprichst, Liv. Aber hey, ich finde es so toll, dass du mal ein bisschen aus dir herauskommst.« Ein breites Grinsen erscheint auf ihren schön geschwungenen, dunkelrot geschminkten Lippen und sie schüttelt langsam den Kopf. »Nicht zu fassen, du hast tatsächlich einen Typen mit zu dir nach Hause genommen. Gut, an der Umsetzung musst du vielleicht noch ein bisschen arbeiten. Bestenfalls sollte es nicht damit enden, dass er fluchtartig das Haus verlässt. Eigentlich sollte er hier mit dir sitzen und frühstücken. Natürlich nur, wenn er sich das in der Nacht auch verdient hat.«

Sie zwinkert mir zu und ich muss herzhaft lachen. Meine beste und einzige Freundin ist in Sachen Männerbekanntschaften um einiges offener und ungehemmter als ich. Vielleicht sollte ich mir mal eine Scheibe davon abschneiden? Sie macht die meiste Zeit einen zufriedenen und ausgeglichenen Eindruck.

»Du hättest ihn einfach küssen sollen, dann hätte schon eines zum anderen geführt«, stellt sie trocken fest, nimmt einen Schluck von ihrem kalten Kaffee und verzieht angewidert das Gesicht.

Ich zucke mit den Schultern. »Na ja, ich bin noch in der One Night Stand Übungsphase. Beim nächsten Mal weiß ich Bescheid.«

Sie kichert. »Das ist die richtige Einstellung, Livy. Hat er denn gar nicht versucht, dich zu küssen?«

Etwas wehmütig schüttle ich den Kopf. »Es gab zwei Situationen, da dachte ich, er würde es wollen. Tja, aber letztendlich hat er es nicht getan. Das ist ein schlechtes Zeichen, oder?«

Nachdenklich legt sie den Kopf schief. »Nicht unbedingt. Vielleicht wollte er keinen One Night Stand? Vielleicht will ja er mehr als das?«

»Glaubst du?« Ein Hoffnungsfunken flackert in meiner Brust auf und sucht züngelnd nach weiterem Futter, um sich zu einem lichterlohen Feuer entwickeln zu können.

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