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,,Entschuldigen Sie bitte die Wartezeit", bat Mara den Vater des Opfers um Vergebung, bevor sie weitersprach: ,,Ich muss Sie darüber informieren, dass Sie nicht nur als Zeuge befragt werden. Sie haben das Recht auf rechtlichen Beistand. Alles, was Sie sagen, wird im Gericht verwendet werden."

,,Warte, was? Sie denken wirklich, ich hätte meinen Sohn umgebracht? Meinen eigenen Sohn", schrie er sie fast an, wütend über die Anschuldigungen wie viele, die zuvor auf seinem Platz gesessen hatten.

,,Herr Kracht, Sie haben mich angelogen. Sie hatten am Tag seines Todes noch Kontakt zu ihrem Sohn. Sie haben mit ihm telefoniert, für circa eine halbe Stunde." Seit die Kommissarin den Mann das letzte Mal gesehen hatte, sein Äußeres hatte sich seinem Inneren wahrscheinlich angepasst. Die Augenlider waren aufgequollen, das Weiße seiner Augen rötlich gefärbt und die Wangen leicht eingefallen, als wäre das Wasser aus ihnen gewichen.

Worüber haben Sie mit ihrem Sohn gesprochen?"

Der Mann schüttelte seinen Kopf, vielleicht als Zeichen der Reue, vielleicht ein Zeichen der Schuld. Er wollte mir mitteilen, dass er nach dem Bachelor nicht weiter studieren würde. Er wollte seine Zukunft wegschmeißen, einfach so!"

Mit gewisser Erleichterung erkannte Mara, wie der Vater begann, die Vergangenheitsform zu verwenden und sich somit die Möglichkeit zur Trauer gab. Wahrscheinlich würde der Prozess noch lange anhalten, doch zumindest war der erste Schritt getan. ,,Wieso wegschmeißen? Es gibt mehrere erfolgreiche Menschen, die allein mit Bachelor klarkommen." Er wollte Schauspiel studieren, meinte, er hätte BWL nur begonnen, um mich zufrieden zu stimmen", erklärte der Mann, den Kopf nun in seine Hände gestützt: Ich wollte nie, dass er sich für mich verfälscht. Wieso sagte er mir nicht, dass Schauspiel seine Leidenschaft war?"

Vielleicht, weil Sie seine Sexualität nicht akzeptieren konnten?", warf Mara ihm gegen den Kopf und traf anscheinend mitten ins Schwarze.

Wutentbrannt schlug der Mann auf den Tisch. ,,Stimmt doch gar nicht. Ich habe meinen Sohn geliebt! Ich habe ihn geliebt! Sogar obwohl er schwul war. Auch wenn ich vielleicht ein Problem damit hatte, ich habe ihn akzeptiert!"

Im Gegensatz zu dem Mann behielt Mara ihre Ruhe, auch wenn ihr das Thema nahe ging. Sie musste sich um den Fall kümmern. Kopf über Herz. ,,Herr Kracht, bei so einer Information bedarf es doch einer längeren Konversation. Meine Eltern haben mit mir drei Stunden geredet, als ich mich zum Polizeidienst entschlossen hatte", entgegnete sie und überkreuzte ihre Arme, während sie den Mann forschend ansah. ,,Nicht meine Schuld, wenn Ihre Eltern bei Ihnen verkackt haben."

Fast schon überrascht von der Aussage hoben sich Maras Augenbrauen und amüsiert wuchs ein Lächeln auf ihren Lippen heran.

Wenn er nur wüsste.

,,Wenn ich ehrlich bin, scheint Ihre Art der Erziehung auch nicht sonderlich erfolgreich zu sein. Schließlich zog ihr Sohn direkt nach seinem Achtzehnten aus. Aber das ist irrelevant. Wo waren Sie gestern zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens?" ,,Schlafen. Was denn sonst?", konterte der Mann, noch immer angepisst, doch da Mara nicht auf ihn reagierte, fehlte ihm einfach der Zündstoff.

,,Vielleicht ihren Sohn umbringen?"

Schon zeichnete sich wieder der Ausdruck der Wut in seinem Gesicht ab, doch diesmal schrie er sie nicht an, sondern versuchte seine Emotionen knurrend zu vermitteln: ,,Was für ein Vater würde seinen eigenen Sohn umbringen?" ,,Ich habe beste Freunde gesehen, die sich über ein Bier getötet haben. Sogar, wenn's ein Oettinger war. Gibt es irgendwen, der bezeugen kann, dass Sie zur Tatzeit zuhause waren?", erkundigte sich die Kommissarin und wieder ertönte das Knurren aus der Kehle des Mannes.

,,Nein."

,,Gut. Wären Sie damit einverstanden, dass durch ihre GPS Daten Ihr Standort zur Tatzeit ausgelesen wird? Würde meinem Kollegen Zeit und Papierkram sparen." ,,Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber ich habe meinen Sohn nicht umgebracht."

Bilder der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt