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Als Mara wieder aufwachte, lag sie noch immer krumm auf ihrer Couch, der Nacken verspannt und von Tyler war keine Spur mehr zu sehen. Hätte sie nicht gewusst, dass er ihr am Abend zuvor etwas zu essen gemacht hatte, wäre sie von einer Halluzination ausgegangen. Dann, auf ihrem Küchentisch entdeckte sie einen kleinen Papierzettel mit ihrem Namen. ,,Hab mich selbst rausgelassen, wollte dich und das Monster nicht wecken. Übrigens, dein Alkoholvorrat hab ich mitgenommen. Zur Sicherheit. Pass auf dich auf", las sie, auch wenn sie dank Tylers Sauklaue manchmal zweifach nachlesen musste. ,,Verdammter Vollidiot", fluchte Mara mit einem leichten Lächeln, dann legte sie den Zettel wieder auf die Zubereitungsfläche und ging ins Bad. Die Pause hatte ihr gut getan, besonders die Ruhe dank Tyler. Ihr Kopf fühlte sich geordneter, jedoch stach ihr die Schuld immer noch unangenehm in den Bauch. Doch sie musste funktionieren, wie damals in den letzten Jahren in der Schule. Nein, nicht wie damals. Das durfte sie nicht riskieren. Nach einem kurzen Blick auf das Handy, das Wetter war ja mal wieder typisch deutsch, holte sie einen Kapuzenpulli aus dünnem, grauen Stoff aus, sowie eine schwarze Hose. Sie fühlte sich an diesem Tag nicht danach, irgendwelche Farben zu tragen. Schnell gab sie Moritz noch etwas zu fressen, nahm sich selbst noch ein paar der kalten Nudeln zum Frühstück, dann machte sie sich auf den Weg zum Präsidium. Sie waren gestern zu einem neuen Schluss gekommen, diesen mussten sie nun ausarbeiten. Kurz bevor sie die Haustür erreicht hatte, ging die Tür der Erdgeschosswohnung auf und Gerhard blickte heraus. ,,Geht es dir wieder besser? Mai Mädchen, ich hab mir gestern ganz schön Sorgen gemacht, als ich dich da so gesehen habe." ,,Alles gut, Gerhard. Es ist nur was auf der Arbeit passiert, was mich ziemlich mitgenommen hat. Tyler hat mich nach Hause gebracht", erklärte sie dem Mann kurz, während er ihr nickend zuhörte. ,,Schien ein netter Kerl zu sein, doch nachdem du so benommen warst, wollte ich nicht riskieren, dass der dir irgendwas verabreicht hatte. Man hört ja immer wieder davon." ,,Danke für die Sorge. Doch Tyler ist korrekt. Er hat mir nur geholfen." Knapp lächelte der Mann: ,,Hättest ihm wahrscheinlich auch ordentlich den Arsch versohlt, falls er was versucht hätte." Auch Mara konnte sich ein Lächeln auf die Lippen zwingen, selbst wenn sie sich dazu nicht in der Lage gefühlt hatte. ,,Dennoch, Mädchen", fiel er in eine väterliche Ernsthaftigkeit zurück: ,,Du musst auf dich aufpassen. Du machst dich sonst noch selbst kaputt." ,,Da bin ich bereits auf einem guten Weg", entgegnete sie mit einem Schmunzeln, auch wenn es kein Scherz war: ,,Ich muss dann jetzt zur Arbeit. Bin schon spät dran." ,,Mai, denkst du neben der Arbeit auch mal an dich selbst? Du verlierst dich noch in dem ganzen Trubel." ,,Die Mörder stellen sich leider nicht. Sonst könnt ich früher Feierabend machen", formte die Kommissarin die Standardaussage ihres Partners um, bevor sie aus der Tür heraustrat und somit ihren fürsorglichen Vermieter hinter sich zurück ließ. Auf dem Weg zu ihrem Wagen ertönte ihr Klingelton und so schnell wie möglich holte sie ihr Handy aus der Hosentasche heraus. Sie hatte auf den Namen der Frau ihres Partners gehofft, doch stattdessen war es eine Nummer, welche sie nicht eingespeichert hatte. ,,Pibal?", nahm die Frau den Anruf etwas zögerlich an, schließlich kannte sie die Nummer nicht. War es vielleicht der Staatsanwalt? Nein, seit mehreren Monaten bereits hatte sie die Nummer Steinbergers eingespeichert, dieser konnte es nicht sein. ,,Guten Morgen, Frau Pibal", grüßte eine weibliche Stimme sie, eine Stimme, welche sie seit dem vorherigen Tag zu hassen gelernt hatte. Nun ja, nicht wirklich hassen. Man konnte es eher eine gesunde Abneigung nennen.

,,Was wollen Sie von mir?", fragte Mara genervt, es klang abweisender als sie eigentlich geplant hatte, doch es schreckte die Anwältin nicht ab. ,,Ich wollte mich nur erkundigen, ob ich heute abend mit Ihnen rechnen darf oder ob ich mir andere Begleitung suchen muss?" ,,Ich muss schauen. Schließlich hat Ihr Chef mir ganz schön Arbeit aufgedrückt." ,,Schade", kam nur von der Anwältin, bevor zunächst Stille folgte. Zunächst rechnete Mara damit, Schauer würde auflegen, doch sie blieb in der Leitung, ohne etwas zu sagen. Lag der Frau etwas auf dem Herzen, was sie los werden wollte? ,,Wir können auch am Telefon reden. Meine Nummer haben Sie ja. Oder Sie kommen zu mir aufs Präsidium." ,,Das geht leider nicht", lehnte sie das Angebot ab: ,,Es geht nur mit einem persönlichen Treffen außerhalb unserer Berufe." ,,Ich werde mit Ihnen nicht auf ein Date gehen, falls Sie darauf hoffen." Ein leichtes Lachen erklang in der Leitung, bevor Schauer entgegnete: ,,Das Private müssen wir wahrscheinlich auf nach den Fall verschieben. Also, werden wir uns heute Abend sehen?" Wirklich darauf antworten wollte Mara nicht, was die Anwältin jedoch als Zusage interpretierte. ,,Und außerdem, lassen wir doch das mit dem Sie sein. Schließlich ist die Sache für dich, wie auch für mich eine persönliche Angelegenheit." ,,Also gut", ging Mara darauf ein: ,,Dann sieht man sich heute Abend, Twyla." Bevor die Anwältin etwas antworten konnte, beendete Mara das Telefonat und stieg in ihren Wagen. Sie brauchte nicht noch mehr Ablenkung. Wenn die Frau sie treffen wollte, na gut, was sollte schon groß schiefgehen? Natürlich hatte sie in den letzten Stunden nicht an Schönheit und Reiz verloren, doch statt einer Waldnymphe wirkte sie nun mehr wie eine Sirene, welche Mara in einen gefährlichen Abgrund locken wollte. Doch nun, nachdem Julius fast von dem männlichen Teil des Anwaltduos ermordet worden war, würde sie keinen der beiden unterschätzen. Weder Ludwig, noch Twyla. Ohne wirklich darüber nachzudenken, sie war bereits wieder mit dem Fall beschäftigt, startete sie ihren Wagen und fuhr los, zurück zur Arbeit, zurück zum Alltag, zumindest soweit es möglich war. Kaum das sie die ersten Meter hinter sich gebracht hatte, erkannte sie, dass Tyler an ihrem Radio herumgespielt hatte. Elektrische Beats erklangen aus den Lautsprechern und erfüllten den Raum, dann schaltete Mara bereits auf ihren gewohnten Sender zurück. Techno mochte sie lieber am abend, falls sie mal ausging. Morgens tendierte sie eher anderer Musik. Jedoch nicht zu Klassik, was Ilia so gerne hörte, während er in seiner binären Welt verschwand und dort seine Wunder vollbrachte. Hatte der Kommissar bereits etwas über Julius' Handydaten herausgefunden? Den Peilsender selbst konnten sie ja nicht verwenden, doch falls eine Ortung über das Mobilgerät möglich war, wäre dies ihre Möglichkeit, in Ludwigs Villa zu kommen und Beweise für seinen Angriff auf Julius, sowie den Mord an Kracht zu finden. Hatte ihr Kollege das Handy des Dritten im Bunde irgendwo gefunden? Selbst bei Wasserschaden wäre Ilia in der Lage, etwas herauszufinden. Außerdem, wo hatte ihr Kollege überhaupt ihr Holster und ihre Dienstwaffen gelassen? Nach dem knappen Jahrzehnt im Dienst fühlte sie sich fast schon nackt ohne ihre Waffe, besonders, nachdem sie so schmerzhaft an ihre Verletzlichkeit erinnert wurde. ,,Rufe Ilia an", befahl sie ihrem Wagen, doch bevor dieser überhaupt wählen konnte, kam sie bereits am Präsidium an. Verdammt, sie fiel wieder in alte Muster, wie damals während der Schule, als sie fast unter dem Stress gebrochen war. Wie viele Tage würde es noch gut gehen? Drei, vier Tage? Hoffentlich würden sie zuvor einen Durchbruch in den Ermittlungen erlangen. Wie würde es am nächsten Tag sein? Da würde ihr Partner ja eigentlich seinen Geburtstag feiern.

Bilder der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt