,,Wie meinst du das?", fragte Mara verwirrt, während Julius seinen Blick aus dem Fenster hinaus richtete. Tief holte er Luft, ein leichtes Zittern schwang dabei mit, bevor er mit schwacher, leiser, fast schon zögerlicher Stimme antwortete: ,,Wahrscheinlich hast du schon irgendwie davon erfahren, schließlich müsst ihr ja einen möglichen Suizidversuch ausschließen, doch ich schulde dir eine Erklärung. Seit dem Unfall letzten Sommers, ich weiß nicht. Ich verlor etwas den Halt und habe mich seither im freien Fall befunden, ohne die Aussicht irgendwann Halt zu finden, oder auf dem Boden aufzukommen. Was passiert ist, so verrückt es auch klingt, es war dieser Abgrund, den ich benötigte, um zu mir zurück zu finden." ,,Du klingst wie ein Zeuge Jehovas, der mit mir über Gott sprechen möchte", kam von Mara nach einer längeren Pause zurück und leicht röchelnd lachte ihr Partner auf. ,,Gott hat bei dir die Hoffnung verloren." Auch Mara musste leicht lächeln und erlaubte es sich, sich neben ihren Kollegen zu setzen. ,,Wie weit seid ihr mit den Ermittlungen gekommen? Oder habt ihr ihn sogar schon verhaftet?" Beschämt senkte Mara ihren Blick, sie schaffte es nicht, ihrem Kollegen in die Augen zu sehen. ,,Leider nein. Ludwig kam mit einer Beschwerde an, da wir vor der Erlaubnis gehandelt haben. Deswegen müssen wir Beweise anderweitig beschaffen. Und das ist fast unmöglich." ,,Dann tut es mir umso mehr leid, dass ich nicht mehr zu den Ermittlungen beitragen kann", gestand er mit geschwächter Stimme: ,,Dennoch werde ich mein Bestes geben, um euch zu helfen." Aus ihrer Tasche holte sie ihr Handy hervor und öffnete die App, um die Aufnahme zu beginnen. ,,Sollen wir?" ,,Besser wäre es, bevor die kleinen Racker auftauchen." Vorsichtig legte sie das Handy zwischen sie auf die Matratze des Krankenbettes, bevor die Aufnahme startete: ,,Es ist fünfzehn Uhr sechsunddreißig, hier ist Kriminalkommissarin Mara Pibal. Kriminalhauptkommissar Julius Nowak sitzt mir gegenüber und wird in der Strafsache Kracht, beziehungsweise Nowak aussagen." Nach kurzer Pause begann Julius zu sprechen, erläuterte so genau, wie er immer war, was an dem Abend vorgefallen war. Wie er zu Ludwig ins Auto gestiegen war, dort sich mit ihm unterhielt, bis sie an seinem Haus angekommen waren. Immer wieder hatte Ludwig halbherzige Anspielungen gemacht, dass er etwas mit dem Mord an Kracht zu tun hatte, doch nie etwas direktes geäußert. Auch als sie dann zu ihm in die Villa sind hatte der Mann noch keine klare Aussage getätigt. ,,Er bot mir ein Glas Rotwein an und um die Deckung zu wahren, trank ich daraus. Nicht genügend, um mich auszuschalten. Ungefähr zu dem Zeitpunkt brach der Kontakt zu euch ab und kurz darauf spürte ich einen Stich in meinem Oberarm und dann war ich weg. Ich spürte noch, wie ich auf dem Boden aufkam, bevor schon die Albträume losgingen. Alles, was je in meinem Leben schief gelaufen war, wurde mir wieder vor Augen geführt und dann war alles weg. Erst vorhin kam ich wieder zu mir. Für mich fühlte es sich an wie wenige Sekunden, doch laut Emma und den Ärzten war ich fast zwei Tage weg." ,,Wir sind einfach froh, dass du wieder da bist." Dankbar lächelte ihr Kollege sie an, er wirkte noch immer unglaublich geschwächt und wieder musste der Mann husten. ,,Konntest du sehen, wer dich gepickst hat? War es Ludwig?", bohrte sie weiter nach und hoffte auf die Aussage, welche sie brauchte, um eine Vorladung zu erwirken. Doch Julius schüttelte den Kopf: ,,Ich weiß es nicht, doch Ludwig stand mir gegenüber, er konnte es nicht gewesen sein. Irgendwer anderes muss mir das Zeug verabreicht haben." ,,Also war noch jemand drittes im Haus?", wunderte sich Mara etwas, auch wenn sie dadurch endlich eine Erklärung hatte, weswegen Twyla heute mit ihr sprechen wollte.
Fast exakt fünf Sekunden nachdem sie die Aufnahme beendet hatte, sprang die Tür abrupt auf und schon kamen die Kinder des Kommissars hereingerannt. ,,Papa", riefen die Beiden fast aus einer Lunge und sprangen auf sein Krankenbett. Wo dem Mann gerade noch die Kraft zum Sprechen gefehlt hatte, schlang er nun seine Kinder in seine Arme und küsste zuerst seiner Tochter, dann seinem jüngeren Sohn auf die Stirn. Mara konnte sehen, wie ihm Tränen in die Augen stiegen und sein Körper leicht zu zittern begann. ,,Papa, du erdrückst mich fast", protestierte der kleine Max, machte aber keinerlei Anstalten, sich irgendwie aus der Umarmung zu befreien. ,,Ich hab dich einfach zu arg lieb", kam von ihm nur zurück, während er ihm kurz durch die rötlichen Haare wuschelte. Schon lachte das Kind auf und auch Lilly lächelte, zumindest deuteten es die kleinen Fältchen um ihre Augen an. Ihre braunen Augen strahlten eine Freude aus, die Mara auf Tiefste berührte. ,,Hey, passt darauf auf, dass ihr Papa nicht zerdrückt, ihr kleinen Kraftprotze. Er ist gerade erst wieder wach geworden", scherzte Emma, bevor sie sich an Mara vorbeidrückte und zu ihrem Mann trat. Mit einem Blick voller Liebe sah er zu ihr hoch und bevor er reagieren konnte, zog sie ihre Maske herunter und küsste ihn sanft. ,,Schön, dich wieder bei uns zu haben, Liebling." Noch immer hatte sie leichte Augenringe unter den Augen, doch diese schien Julius einfach zu ignorieren. Er wirkte wie ein verliebter Teenager, der sich das erste Mal verliebt hatte. ,,Komm, Mara", flüsterte Sebastian, welcher neben ihr stand: ,,Lassen wir die Familie mal allein." Knapp nickte die Kommissarin, bevor sie aufstand und sich zum gehen bereit machte. ,,Wartet", hielt Julius sie auf: ,,Danke nochmals für alles. Und Basti, schön dich mal wieder zu sehen." ,,Wer ist das?", wollte Lilly fast sofort wissen und Julius wartete nicht mit dem erklären. ,,Sebastian ist ein guter Freund von uns, den wir länger nicht mehr gesehen haben. Lilly, Max. Sagt hallo zu Basti." Während Lilly noch etwas skeptisch war, sprang Max auf und balancierte über die Matratze, bevor er Sebastian die Hand gab. ,,Hallo Herr Basti, ich bin Max." Amüsiert lachte der Mann, dann nahm er die kleine Hand des Jungen und schüttelte diese. ,,Sehr erfreut, junger Mann. Kannst mich gerne einfach Basti nennen. Oh, was hast du denn da?" Schon ließ Sebastian seine freie Hand hinter das Ohr des Jungen wandern und holte eine kleine Packung Gummibärchen hervor. Der Kleine konnte seinen Augen kaum glauben, dann machte er sich bereits über die Süßigkeiten her und auch Lilly bekam ein Päckchen zugeworfen. Sofort freute sie sich und innerhalb weniger Sekunden hatte der Mann die Herzen der Kinder erobert. ,,Winkt Tante Mar und Basti zum Abschied", forderte Emma die Kinder auf und schon verabschiedeten die Kinder sie. Gemeinsam verließen Sebastian und Mara das Krankenzimmer und ließen die Familie allein zurück. Sie würden die gemeinsame Zeit brauchen. ,,Wie hast du es geschafft, den Ehrentitel der Tante zu erhalten? Meines Wissens nach hat nur Emma Geschwister und ihre Schwester hat gerade die Kinder gebracht." ,,Ich weiß nicht ganz. Julius und ich haben der Arbeit wegen immer ziemlich viel Zeit gemeinsam verbracht. Irgendwann hat er mich dann bei sich zum Essen eingeladen und dann habe ich Emma kennen gelernt. Da war sie schon mit Lilly schwanger. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihn zum Krankenhaus gefahren habe, als Emma mit Wehen im Krankenhaus lag", fasste sie knapp zusammen, bevor sie den Knopf drückte, welcher die Tür öffnete. ,,Du hast das Geburtentaxi gespielt?" ,,Nicht ganz", gestand sie: ,,Wir waren auf dem Weg zurück zur Inspektion nach einer Verhaftung, als er den Anruf bekam. Niemals hätte ich ihn da noch irgendwie in die Inspektion bekommen. Also sind wir direkt zum Krankenhaus."
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Bilder der Nacht
Mystery / ThrillerMünchen, 2022... Nach zwei Jahren Pandemie versucht die Stadt endlich wieder zur Normalität zu finden, doch anscheinend hat jemand einen anderen Plan. Im Frühling des Jahres wird eine Leiche in einem der reicheren Gemeinden gefunden, welche jedoch...