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Von dem Chef der Spurensicherung wurde Mara darüber informiert, dass sie die Spurensammlung abgeschlossen hatten, schließlich war bereits ein ganzer Tag vergangen. ,,Es wurde wieder ein Tuch gefunden", erzählte ein Laborant ihr, Ilia beschäftigte sich währenddessen mit den Handydaten: ,,Es besitzt ein ähnliches Muster wie jenes, dass am Kracht Tatort gefunden wurde. Es gibt gewisse Abweichungen, doch damit war ja auch zu rechnen, da es sich ja schließlich um Handarbeit handelt. Der Stoff besitzt jedoch die gleiche chemische Zusammensetzung, wurde also in einer Charge produziert." ,,Können wir rausfinden, wer die Taschentücher hergestellt und verkauft hat? Und auch, wer sie gekauft hat?" ,,Wir werden unser bestes geben", versicherte der Mann ihr und verabschiedete sich knapp. Vielleicht würde dies sie weiterbringen. Mit ihrem Holster um die Schulter und dem Handy in der Hosentasche verließ sie die Inspektion um sich auf den Weg zu Sebastians Privatadresse zu machen. Sie benötigten einen objektiven Hinweis, welcher  bestätigen könnte, dass Julius mit Ludwig gegangen war. Wie ging es ihrem Partner eigentlich? Aus der Lieblingsserie ihrer Exfreundin war ihr bekannt, dass Krankenhäuser jemanden erst für tot erklärten, wenn keine Hirnaktivitäten vorhanden und der Körper wieder auf Normaltemperatur erwärmt worden war. Julius war nun wieder bei einer normalen Körpertemperatur, dennoch hatte sich nichts an seinem Zustand wirklich geändert. Wie würde es Emma am darauffolgenden Tag gehen, schließlich handelte es sich um seinen Geburtstag? Mit dieser Frage im Kopf entschloss sich Mara, auf dem Weg zu dem Barkeeper die Frau ihres Partners anzurufen und sich nach dem Gesundheitszustand zu erkundigen. Um aus der Inspektion rauszukommen ließ sie von einem Kollegen der Streife das Gittertor öffnen. Ihren Wagen hatte sie in einer Nebenstraße geparkt, am morgen waren eigentlich keine Parkplätze frei gewesen. Als sie diesmal in Richtung Himmel blickte, war dieser hinter einer dicken Wolkenschicht versteckt, als könnte er seinem eigenen Spiegelbild in der Oberfläche des Sees nicht in die Augen blicken. Sie fühlte das Gleiche. Die Stimmung war bedrückt, alle warteten nur auf einen Wolkenbruch, und jeder schien keine Zeit für Trödeleinen zu haben. Nur vereinzelnd sah man ein paar ältere Personen, die sich vor den Schaufenstern einzelner Geschäfte die Zeit nahmen, die völlig überteuerten Waren zu begutachten. Auch Julius nahm sich, wenn keine Eile geboten war, hin und wieder diese, um nach kleinen Mitbringsel für seine Frau und Kinder zu schauen. Kurz blieb auch Maras Blick hängen, es war ein kleines Geschäft mit unterschiedlichsten Arten der bekannten Gummiente für die Badewanne. Hoffentlich würde ihr Parkplatz vor dem Laden auch später noch frei sein. Kaum das sie in ihrem Wagen saß und den Motor an geschalten hatte, rief sie Emma an, in der Hoffnung, Neuigkeiten zu Julius' Zustand zu erfahren. ,,Hallo Mara", nahm die Frau ihren Anruf an, ihre Stimme war kraftlos und hohl. Vermutlich hatte sie die ganze Nacht an Julius' Seite gesessen, in der Hoffnung, dass dieser aufwachen würde. ,,Hey. Wie geht es dir? Gibt es was neues zu Julius?" Kurz gab es eine Pause, als wüsste Emma nicht, was sie sagen sollte, oder sie versuchte, ihre Gedanken zu Ordnen. ,,Seine Atemfrequenz hat sich gesteigert. Wenn sie weiter ansteigt, können sie ihn von der Beatmungsmaschine nehmen", einen leichten Schimmer der Hoffnung in ihrer Stimme: ,,Manchmal zuckt sein Augenlid oder seine Finger, als würde er einfach nur schlafen und mehr nicht." Es schwang vorsichtiger Optimismus in ihrer Aussage mit. ,,Was sagen die Ärzte? Haben sie irgendwelche Prognosen oder so?" Auch wenn Mara die Frau nicht sehen konnte, wusste sie, dass Emma nun lächelnd zu Julius sah, während sie sprach: ,,Die Maschinen zeigen Hirnaktivität an und nachdem sein Körper langsam alles selbst wieder übernimmt, sie rechnen damit, dass er die nächsten paar Tage aufwacht. Zumindest sagte das der eine Arzt." ,,Und die Anderen? Was sagen die?", bohrte sie nach, obwohl ihr allein der Gedanke an eine andere Möglichkeit den Magen umdrehte. ,,Ich soll nicht zu optimistisch sein. Medizin sei zwar eine Naturwissenschaft, doch gleichzeitig so unsicher wie jede Geisteswissenschaft." ,,Das klingt ja fast wie ein Kalenderspruch", scherzte sie, auch wenn ihr nicht zu scherzen war.

Sie machte mit Emma aus, dass sie zwischen ihrem Besuch bei Sebastian und der Rückkehr zum Präsidium wieder im Krankenhaus vorbeischauen würde. Zwar befand sich die Wohnung des Barkeepers auf der anderen Seite von München, doch würde die Chefin sicherlich verstehen, dass sie bei ihrem Partner vorbeisähe. Um zu Sebastian zu gelangen, musste sie über den Mittleren Ring Richtung Osten fahren, sogar etwas über den Bahnhof Ost hinaus. Zur Mittagszeit war es keine absolute Qual, durch die Stadt zu fahren, der Arbeitsverkehr war schlimmer, doch dennoch gab es mehrere Fahrer, die sie mehr als nur ein paar Nerven kostete. Doch statt laut los zu fluchen, behielt sie halbwegs ihre Ruhe und verwünschte die Menschen nur leise. Sie musste sich ihre Energie aufsparen, schließlich zog jede einzelne Sekunde an dieser. Noch immer zehrte das Gefühl der Schuld an ihr, doch wie am morgen vorhergesagt, sie musste es irgendwo im Hinterraum ihres Hirns vergraben. Es würde ihr absolut nichts nützen, sie könnte keine Motivation oder Energie daraus ziehen und es wäre eher ein Klotz an ihrem Bein, der sie zurückhalten würde. So ähnlich wie all diese roten Ampeln. Ehrlich, würde sie an noch einer Ampel halten müssen, würde diese danach nicht mehr stehen. Sie hatte noch fünf Minuten Weg vor sich, somit waren nicht mehr allzu viele Ampeln in Gefahr. Als hätte sie ihre Drohung laut ausgesprochen, bekam sie endlich die grüne Welle, welche sie sich gewünscht hatte. ,,Geht doch." Nachdem sie circa zwei Mal um den Block gefahren war, fuhr endlich ein Wagen aus einer Parklücke, welche die Kommissarin sich fast sofort unter den Nagel riss. Schnell hatte sie eingeparkt und kaum dass sie aus ihrem Wagen ausgestiegen war, blickte bereits die erste ältere Dame aus ihrem Fenster. Mit einem schiefen Grinsen sah sie zu der Frau hoch, welche nur skeptisch zu ihr herunterblickte. Sollte sie mit ihrem Dienstausweis hochwinken? Mit ihrem Mittelfinger drückte sie auf die Klingel neben Sebastians Namenschild und kurz darauf folgte bereits die Stimme des Barkeepers. ,,Hallo?", nuschelte der Mann etwas verschlafen, als hätte sie ihn gerade erst aufgeweckt. ,,Hier ist Mara. Mara Pibal, die Kollegin von Julius." ,,Oh, was ist denn los? Konnte er den bösen Buben fangen? Also für meinen Geschmack war der etwas zu alt, doch es diente ja euren Ermittlungen", quasselte der Mann direkt los, plötzlich wieder wach und vermutlich darauf wartend, neue Informationen zu finden. ,,Sebastian, können wir kurz reden? Bei dir am besten." ,,Klar, komm hoch." Sie konnte hören, dass er nun verstanden hatte, dass es kein Freundschaftsbesuch war. Seine Wohnung befand sich im dritten Stock und während Mara die Treppen hochlief, nahm sie immer zwei Stufen auf einmal. Als sie oben ankam, war die Tür bereits geöffnet und von innerhalb der Wohnung hörte sie den Barkeeper rufen: ,,Einfach reinkommen. Möchtest du einen Kaffee?" ,,Gerne", nahm sie das Angebot an, während sie ihre Schuhe auszog. Der Mann trug selbst auch keine und das kleine Schild über dem Schuhschrank bat sie darum. ,,Also, was gibt es, dass ich von dir Privatbesuch bekomme? Ihr seid ja ziemlich schnell abgehauen vorgestern." Durch den kleinen Gang ging Mara in Richtung des größten Zimmers, aus welchem sie die Stimme Sebastians kommen hörte. Als sie dort ankam, reichte er ihr bereits eine Tasse, aus welcher Dampf aufstieg.

Bilder der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt