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Noch immer ungläubig blickte Mara auf das Papier in ihrer Hand, ein kleines Stück eines Notizblocks, welcher von überall her hätte stammen können. In der geschwungenen Schrift der Anwältin war eine Nachricht für sie darauf verfasst worden, die sie mehr verwirrte als dass sie den Sachverhalt klärte. ,,Morgen, 18 Uhr, Prosecco Bar." ,,Ist das eine Einladung zu einem Date oder will sie sich wegen das Falls mit dir treffen?", erkundigte sich Ilia nach ihrer nicht vorhandenen Einschätzung. ,,Wüsste ich es, würd ich's dir sagen." Es kam etwas gemeiner heraus als sie eigentlich geplant hatte und wie sie vom Blatt aufblickte, sah sie seinen leicht beleidigten Gesichtsausdruck. ,,Tut mir leid, Ilia. Ich habe kaum geschlafen, nichts gegessen und Pfefferspray abbekommen. Heute ist nicht wirklich mein Tag." ,,Du siehst eigentlich so aus, als hättest du alles unter Kontrolle und einen kühlen Kopf." ,,Das Einzige, was ich grad hab, ist Hunger", kam von ihr nur zurück, während sie das Blatt auf den Tisch legte und ihren Kopf in ihren Händen platzierte. Das stimmte nicht. Sie hatte unglaublich viel mehr im Kopf, so viel, dass ihr eigentlich zum Schreien zumute war, doch sie konnte es nun nicht raus lassen. Abgesehen vom Hunger, gegen den konnte sie etwas machen. ,,Dachte ich mir schon. Da Sie beide nicht zu mir in die Rechtsmedizin gekommen sind, bin ich zu euch gekommen", zog Mousa die Aufmerksamkeit auf sich. Sie hatte sich an den Türrahmen gelehnt und in ihren Händen hielt sie zwei Dosen. Die Rechtsmedizinerin fing Maras Blick ab, ging zu der Kommissarin und reichte ihr eine der Boxen. ,,Ich wurde von dem Krankenhaus darüber informiert, was vorgefallen ist. Sie wollten meine Einschätzung dazu hören", erklärte sie, während sie den Deckel der Tupperdose öffnete: ,,Was Julius passiert ist, es ist einfach nur krank und ich dachte, ich könnte Sie vielleicht auch noch anderweitig unterstützen. Also habe ich etwas zu Essen gemacht." Bei dem Inhalt der Dose handelte es sich um zwei Wraps, welche einen würzigen Duft freisetzten. ,,Ich habe bedacht, dass Sie sich vegetarisch ernähren, weswegen ich das Fleisch mit Grillgemüse ersetzt habe. Hoffe, es hilft." ,,Danke", nuschelte Mara leise, während sie einen der Wraps aus der Box nahm. ,,Haben Sie noch etwas in Erfahrung bringen können? Also im Krankenhaus?", hackte Ilia nach, bevor auch er sich etwas zu essen nahm. Kurz zögerte die Ärztin, eine Sache, die sie eigentlich nur machte, falls man ihren Intellekt gewagt hatte zu beleidigen, doch nun hatte niemand dies getan. Es musste also einen anderen Grund geben. ,,Es hatte kurzzeitig den Verdacht gegeben, Julius hätte versucht, sich umzubringen. Nach dem Vorfall letzten Sommers hatte er sich ja in therapeutischer Behandlung begeben, wo er, vermutlich dürfte ich es Ihnen nicht sagen, häufiger darüber gesprochen hatte, dass er Zweifel an seinem Lebenswillen hatte. Jedenfalls wollten die, dass ich ihn mir einmal anschaue, doch ich konnte ziemlich schnell feststellen, dass es sich nicht um einen Suizidversuch handelte." Mara brachte es nicht zustande, der Frau irgendwie zu antworten. Still schweigend saß sie an ihrem Schreibtisch, der Wrap in ihrer Hand und ihr Blick fast schon apathisch in die Leere gerichtet. Ihr Partner, ein guter Freund hatte unter Suizidgedanken gelitten, ohne dass sie je etwas davon mitbekommen hatte? Sie hatte doch noch mit ihm reden wollen, ihn nach seinem mentalen Zustand fragen wollen. Nun aber lag der Mann im Krankenhaus und keiner wusste, wann, ob er wieder die Augen öffnen würde. ,,Was haben Sie herausgefunden?", fragte währenddessen Ilia, dann biss er genüsslich in das mitgebrachte Essen. ,,Der Knoten, welcher an Julius' Knöcheln angebracht wurde, war so gefertigt worden, wie nur ein Rechtshänder es tun würde. Herr Nowaks dominate Hand ist jedoch bekannterweise die Linke."

,,Das Krankenhaus wird mir alle Proben schicken und ich werde versuchen, alles herauszufinden, was möglicherweise von Bedeutung sein könnte", versicherte die Rechtsmedizinerin ihnen, dann verließ sie das Büro und mit ihr verschwand auch jegliches Geräusch, welches zuvor in dem Raum existiert hatte. An dessen Stille kam eine Stille, welche erdrückend war. Wie das eiskalte Wasser des Starnberger Sees umschlang es Mara und raubte ihr den Atem, das Gefühl in ihrem Körper. Es fühlte sich an, als hätte sie verlernt zu reden, verlernt zu atmen, verlernt zu leben. ,,Hey, geht es dir gut?" Auch wenn sie eigentlich am liebsten in Flammen aufgehen würde, nickte sie einfach nur, dann legte sie ihren Kopf auf den Tisch. ,,Ich brauche einfach nur ein paar Minuten", brachte sie hervor und schloss die Augen. Sie konnte nicht mehr, sie war müde und erschöpft, ausgelaugt und vielleicht sogar das erste Mal vollkommen allein. Trotz der Anwesenheit des weiteren Kollegen fühlte sich das Büro ungesund leer an, wie ein Puzzle, bei dem das mittlere Teil fehlte. Julius fehlte. ,,Ich weiß nicht richtig, ob es gut ist, wenn wir zwei jetzt allein sind. Wir haben fast einen guten Freund verloren und vielleicht werden wir das auch." ,,Sag so etwas nicht. Julius wird wieder aufwachen." ,,Ach ja? Wieso bist du dir so sicher? Wir sehen immer wieder Menschen, die felsenfest davon überzeugt sind, dass ihre Kinder, Eltern, Partner oder Freunde nicht die seien können, welche Mousa bei sich auf dem Tisch hat. Und du, du führst dich exakt auf wie die!" ,,Wie die?", schrie sie ihn fast schon an: ,,Ich reagiere menschlich, verdammt nochmal! Einer meiner besten Freunde hat mit dem Gedanken gespielt, sich umzubringen und ich erfahre es von Lady Tod? Und exakt dieser Mann liegt nun im Krankenhaus und kämpft um sein Leben, welches er vielleicht aufgeben will!" Auch wenn sie sich eigentlich geschworen hatte, niemals in diesem Gebäude mehr ihre Emotionen zu zeigen, ihre verletzliche Seite, ließ sie es nun einfach raus. ,,Und das verfickte Arschloch will nun auch noch, dass wir dankbar dafür sind, dass er die beschissene Beschwerde fallen lässt! Was für eine verfickte Scheiße ist das bitte? Emma redet nicht mit mir, Julius ist am sterben, und dann tanzt dieses arrogante Arschloch hier rein und tut so, als gäbe es keine Regeln für ihn!" Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sie aufgestanden war und den Stuhl umgeschmissen hatte. ,,Immer und immer wieder müssen wir Dreck von solchen Idioten hinnehmen. Und nun kriege ich von dir gesagt, ich soll mich beruhigen. Nicht reagieren, wie es jeder normale Mensch tun würde!" Oh, es tat ihr so gut, endlich mal alles raus zu lassen. ,,Hey, ich will dir nur helfen, aber wenn du keine Hilfe willst, dann lass ich dich in Frieden. Du meintest doch, wir sollten uns zusammenreißen und zusammenarbeiten. Falls du mich nur angehen willst, dann versuch doch, selbst durchzukommen!", kam von ihm zurück und verließ das Büro. Laut fiel die Tür ins Schloss, der Knall hallte durch den ganzen Raum und ließ Mara somit erneut mit der erdrückenden Stille zurück. Und so schmerzhaft diese auch war, so grausam sie sie folterte, war es ihr lieber, als weiterhin ihrem Kollegen ins Gesicht blicken zu müssen. Sie konnte es nicht mehr, sie konnte ja nicht einmal sich selbst ins Gesicht schauen. Vom Boden hob sie den Stuhl auf, wobei die Tasse umkippte, welche ihr als Stiftehalter fungierte. Wutentbrannt, allein schon von der Situation selbst, griff sie nach dem Porzellangefäß und schmiss es mit aller Wucht gegen die Wand des Büros, während sie sich vorstellte, es gegen Ludwigs Kopf zu werfen. Grell klirrend zersprang die Tasse an der Wand und erneut ertönte dieses Geräusch, als die einzelnen Scherben auf den Boden trafen.

Bilder der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt