Knapp verabschiedete sich Mara von der Frau am Empfang, dann verließ sie das Krankenhaus. Mit einer einfachen Bewegung entfernte sie die Maske aus ihrem Gesicht, bevor sie diese sorgfältig zusammenfaltete und in ihre Tasche steckte. Sie hatte diese nun bereits über sechs Stunden insgesamt getragen, bei der nächstbesten Gelegenheit würde sie in den Müll wandern. Ohne wirklich darüber nachzudenken strich sich Mara durch die Haare und sah nach oben, wodurch die Sonne warm auf ihr Gesicht strahlte. Langsam holte sie die Müdigkeit der letzten Stunden ein, ein Gefühl der Trägheit und der Erschöpfung, die ihre Füße fast schon an den Boden fesselte. Sollte sie den Wagen stehen lassen und lieber die Öffentlichen nehmen? Es wäre eine unpraktische, dämliche Entscheidung, doch sicherer mit der aufsteigenden Müdigkeit in ihrem Körper. Einen Schritt nach dem anderen ging sie auf ihren Wagen zu, ihre Beine zogen dies um eine Ewigkeit in die Länge. Aus der Hosentasche holte sie ihre Schlüssel heraus, öffnete ihren Wagen und setzte sich hinters Steuer, wo sie erstmal verweilte. Wieder drückte sie alles nach unten, der gesammelte Stress, die angestaute Angst, einfach alles. Es fühlte sich an, als wären Gewichte an ihren Armen und Beinen angebracht worden, die sie herunterzogen und fast schon in der Erde vergruben. ,,Rufe Tyler an." Während ihr Wagen die Nummer ihres besten Freundes wählte, sah sie selbst mit einem knappen Blick auf die Uhr. 17 Uhr, könnte sie nun bereits Feierabend machen? Sie brauchte einfach kurz eine Pause, einen Stopp in alle dem. Und sie brauchte jemanden bei sich, jemanden, dem sie vertraute und dem sie sich öffnen konnte. ,,Hey Mara, was gibt's? Brauchst du nen Anwalt oder wieso rufst du an?", erkundigte sich der Mann, wie immer den typischen Witz in seiner Stimme. Um zu antworten öffnete die Kommissarin ihre Lippen, doch sie brachte keinen Ton heraus. Ein Zittern brachte ihren Kehlkopf zum verkrampfen und das Einzige, was nun aus ihrem Mund erklingen könnte, wäre ein Schluchzen. Oder ein Schrei. ,,Mara, alles gut?" Sie wollte ihm antworten, doch kein Ton fand seinen Weg aus ihr heraus. Würde er verstehen, was los war? ,,Schick mir deinen Standort, ich komm zu dir." Schon legte Tyler auf und wie aufgefordert leitete Mara ihre Position an ihn weiter. Wann immer sie Probleme gehabt hatte, er war für sie da gewesen. In der Schule, bei ihr zuhause, egal wann. Und wenn er sie einmal brauchte, sie war für ihn da. Es brauchte dafür keine Vereinbarung, Worte oder eine Waage, falls einer Hilfe benötigte, war der andere für ihn da. Mara fühlte sich wie versteinert, als hätte sie Medusa direkt in die Augen gesehen, während ein Sturm, geschickt von Zeus persönlich in ihr wütete. Wie vom Blitz getroffen brannte es in ihr, verbiss sich in ihr und folterte sie. Sie wusste nicht, ob sie schreien oder schweigen wollte. Laufen oder stillstehen. Kämpfen oder aufgeben. Dieser kleine Hoffnungsschimmer, eine Spur durch die Daten von Julius' Handy zu erhalten, er wirkte wie ein ferner Stern am Nachthimmel, welchen sie vielleicht nie greifen könnte. Gerade war sie doch so optimistisch gewesen, Ludwig trotz seiner Stellung noch drankriegen zu können, doch nun schien es, als würde ihr die Kraft fehlen dazu. Sie brauchte eine Pause, einfach etwas Ruhe. Klar hatte sie ihre fünf Minuten im Büro gehabt, doch irgendwie schienen die nicht gereicht zu haben. Fast schon kraftlos ließ sie sich in den Sitz sinken, verlassen von jeglicher Energie, die sie die letzten Stunden noch hatte funktionieren lassen. ,,Beeil dich, Tyler. Bitte", flüsterte sie leise, während sie ihre Arme um sich schlang und aus dem Fenster sah. Im ersten Stock erkannte sie das Zimmer ihres Partners wieder und gerade als sie zum Fenster blickte, sah Lilly zu ihrem Wagen hinunter.
Wie ein Geist sah das junge Mädchen zu ihr hinunter, wenn nicht sogar direkt in ihre Seele hinein. Panik und Verwirrtheit würde sie darin sehen, ein Chaos von Emotionen und Gedanken, welches sie nicht mehr zu kontrollieren wusste. Erst das Klopfen an ihrer Windschutzscheibe holte sie da heraus. Besorgt blickte Tyler zu ihr hinein und kaum dass sie sein Gesicht erkannte, stieg sie bereits aus. Fast schon kraftlos fiel sie in seine Arme, komplett ignorierend, dass er dies eigentlich verabscheute. Doch statt sie vielleicht wegzustoßen oder sie um Privatsphäre zu bitten, schloss er einfach seine Arme um sie und ließ es zu. ,,Was ist los? Alles gut bei dir?", erkundigte er sich bei ihr, was dazu führte, dass sie ihre Finger in den Stoff seiner Anzugsjacke krallte. ,,Julius wurde im Einsatz lebensgefährlich verletzt. Und es ist meine Schuld." ,,Hast du abgedrückt?" Leicht verwirrt über seine Frage schüttelte Mara knapp ihren Kopf. ,,Hast du ihn gestoßen oder selbst verletzt?" Wieder schüttelte sie den Kopf, wollte jedoch gegen seine Argumentation protestieren. ,,Es war meine Aktion. Ich habe ihn dazu gedrängt. Er.." Wieder verschlug es ihr die Sprache und anstelle der Worte traten Tränen an die Luft. ,,Julius ist ein erwachsener Mann, der seine eigenen Entscheidungen treffen kann", entgegnete er: ,,Er konnte die Risiken sehen und hat seine eigene Entscheidung getroffen. Hast du alles getan, was du tun konntest, um ihm zu helfen?" Diesmal ließ die Kommissarin die Antwort aus. Sie konnte einfach nicht mehr. ,,Komm, Mara. Lass mich dich nach Hause fahren. So steigst du mir nicht hinters Steuer, bevor ich dich noch vor Gericht vertreten muss." Statt zu protestieren oder anderweitig Widerworte zu geben, folgte Mara einfach seiner Anweisung. Geschwächt ging sie zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und stieg ein, während er selbst hinter dem Steuer Platz nahm. Normalerweise ließ sie nie jemanden fahren, außer vielleicht mal Julius, schließlich war dies seit Erlangen der Fahrerlaubnis für sie das Zeichen der Freiheit gewesen. Besonders nicht Tyler, da dieser fuhr wie ein Verrückter, doch was sollte sie nun tun, wo sie sogar die Kontrolle über sich selbst verloren hatte. ,,Hast du Moritz zuhause?" ,,Nein. Er ist bei Julius zuhause. Seine Tochter hatte ihn ausgeliehen", antwortete sie ihm: ,,Können wir ihn abholen? Ich weiß, wo der Ersatzschlüssel liegt." ,,Klar. Ich weiß zwar nicht, was du an dem Kater findest, doch solange das Vieh dir hilft." Mit diesen Worten startete Tyler den Wagen und fuhr los, während er die Polizistin die Adresse ihres Partners heraussuchen ließ. Die Fahrt über schwiegen sie, Mara hatte ihre Stirn gegen das Fenster des Wagens gelehnt, während die Straßen Münchens an ihnen vorbeizogen. Tyler stattdessen konzentrierte sich auf den Weg, welcher noch vor ihnen lag. Mit jedem Gebäude, jedem Baum, jeder Person, die an ihr vorbeihuschte, wurden Maras Lider schwerer und nach und nach bekam es für sie unmöglich, ihre Augen offen zu halten. Ihr bester Freund schien dies zu bemerken. ,,Wo liegt der Schlüssel?" ,,In einem künstlichen Stein unter Max' Geburtsbaum", nuschelte sie leise, bereits halb im Schlaf gefangen und verschwunden von dieser Welt. Sie fühlte sich sicher, jedoch nicht frei. Noch immer waberten die Gedanken ihrer Schuld in ihrem Kopf und betäubten sie, sodass sie nicht klar denken konnte. ,,Schlaf du ruhig. Du scheinst es zu brauchen. Ich hol das Biest schon." Ihr war bewusst, dass er den Kater nicht leiden konnte, nachdem er einmal das Polster in seinem Wagen zerfetzt hatte, doch er würde es aushalten. Für sie. Es gab noch ein Schlagloch welches sie mitbekam, dann schlief sie ein, während ihr Kopf leicht gegen die Scheibe prallte.
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Bilder der Nacht
Mystery / ThrillerMünchen, 2022... Nach zwei Jahren Pandemie versucht die Stadt endlich wieder zur Normalität zu finden, doch anscheinend hat jemand einen anderen Plan. Im Frühling des Jahres wird eine Leiche in einem der reicheren Gemeinden gefunden, welche jedoch...