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,,Warum fahren wir ins Krankenhaus?", erkundigte sich Max, nachdem er sich von seinem Gehirnfrost erholt hatte. Trotz dem eigentlichen Wunsch Emmas, entschloss sich Mara, die Kinder zumindest etwas auf das, was sie sehen würden vorzubereiten. ,,Ihr wisst ja, dass der Beruf eures Vaters und mir nicht der ungefährlichste ist. Gestern ist etwas passiert." Bevor Mara weitersprechen konnte, unterbrach Lilly sie sofort: ,,Was ist passiert? Geht es Papa gut?" Sie konnte hören, wie die eigentliche Frage im Kopf des Mädchens nachhallte. Ist ihr Vater verstorben? ,,Euer Vater wurde von den Ärzten ins Koma versetzt. Das ist wie ein tiefer Schlaf, um wieder gesund zu werden." ,,Papa muss die ganze Zeit schlafen? Das ist doch langweilig!" ,,Das ist wie wenn Emma euch sagt, ihr sollt schlafen, wenn ihr krank seid", versuchte Mara es ihnen verständlich zu machen. Erstaunlicherweise schienen die Kinder nicht irgendwie verängstigt zu sein oder besorgt, stattdessen schienen sie es besser hinzunehmen als sie selbst. Hoffentlich würden sie diese Einstellung beibehalten, sobald sie Julius selbst im Krankenbett liegend sehen würden. Es würde Emma bestimmt helfen, nicht auch noch ihre Kinder trösten und auffangen zu müssen. Nachdem Mara eingeparkt hatte, öffnete sie die hinteren Türen des Wagens und während Max sogleich heraussprang, der Vierjährige war aktiver als so manche jungen Streifenpolizisten frisch im Dienst, war Lilly etwas zögerlicher. Zögerlich nahm sie Maras freie Hand und mit großen, vielleicht besorgten Augen fragte sie: ,,Papa wird es doch wieder gut gehen, oder?" Um auf der gleichen Höhe wie das junge Mädchen zu kommen kniete sich die Kommissarin vor das junge Mädchen und strich ihr sanft über die Wange. ,,Du kennst deinen Vater. Julius ist ein Kämpfer. Für nichts in der Welt würde er euch allein lassen. Emma nicht, Max nicht, und dich erst recht nicht", versicherte sie ihr und in den Augen des Mädchens sah sie, dass sie ihr glaubte. Die Besorgnis schien fast wie ausgetrieben, als hätte sie ihr erzählt, ihr Vater hätte nur eine kleine Schramme am Knie, mehr nicht. ,,Dann lass uns zu Mama und Papa gehen. Die freuen sich bestimmt, uns zu sehen", kam von der Kleinen mit einem breiten Lächeln und schon zog sie die Polizistin in Richtung des Eingangs, wo ihr kleiner Bruder bereits wartete. Sie sahen so sorglos aus, als wäre alles in Ordnung und Mara wünschte sich erneut, ein Kind in dieser Familie zu sein. Die Kinder wirkten so glücklich und frei, als hätten sie noch nie etwas Schlimmes auf Erden gesehen. Selbst nun, als sie auf dem Weg zu ihrem Vater waren, welcher sie vielleicht nie wieder in den Arm nehmen könnte. ,,Arm", plärrte der kleine Junge und griff mit seinen Händen in die Luft, doch zuvor mussten sie noch die Hygienemaßnahmen beachten. Die Kinder wurden in der Schule wie auch im Kindergarten getestet und Mara selbst hatte einen Test machen müssen, als sie im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein gekommen war. Aus ihrer Tasche holte sie Masken hervor und gab jeweils eine den kleinen Rackern, welche sie bei Eintritt in das Krankenhaus aufsetzten. Auch Mara setzte sich eine auf die Nase, bevor sie den Jüngsten der Nowaks auf den Arm nahm. ,,Na, wie ist die Aussicht?", erkundigte sie sich bei dem Kleinen, in der Hoffnung durch die Unterhaltung und Bespaßung der Beiden das unwohle Gefühl im Bauch zu verlieren. ,,Bei Papa ist es höher." Eigentlich hatte sie etwas entgegnen wollen, doch zuvor fing eine Mitarbeitende des Krankenhauses sie ab. ,,Entschuldigung, dürfte ich erfahren, wo Sie hin wollen?" ,,Der Vater der Beiden wurde heute Nacht eingeliefert. Julius Nowak. Seine Frau ist schon bei ihm", erklärte Mara, ihre Stimme gedämpft durch das Polster der Maske: ,,Sie hat mich gebeten, sie vorbeizubringen. Ich bin die Kollegin von Nowak." ,,Sie haben doch", begann die Frau zu sprechen, bevor sie relativ abrupt abbrach. Mit einem fast schon peinlich berührten Blick sah sie auf die zwei Kinder, die erwartungsvoll darauf warteten, zu ihrem Vater zu dürfen. ,,Sie haben Ihren Kollegen ja hierher gebracht. Mara Pibal, richtig?" Knapp nickte die Kommissarin nur, dann stellte sie die drängende Frage: ,,Können wir nun zu Julius?"

Mit Lilly an ihrer Hand und Max auf ihrem Arm ging Mara den Gang hinunter, welcher zu dem Zimmer ihres Partners führte. Vorbei an geschlossenen Zimmertüren, hinter denen alle möglichen Arten von Patienten lagen, deren Angehörige vielleicht auch gerade um deren Leben bangten. Mara hätte nie Ärztin werden können. Diese Machtlosigkeit, unschuldige Menschen in ihren Tod begleiten zu müssen, ihre Psyche hätte dies nicht gepackt. Natürlich hatte sie in ihrem jetzigen Beruf auch nicht mit der besten Seite der Menschheit zu tun, dennoch konnte sie sich einfach besser von den Opfern distanzieren, als wenn sie sie über Jahre bei ihrem Leidensweg begleiten müsste. Je näher sie dem Zimmer kamen, desto mehr zog Lilly an ihrer Hand und desto ungeduldiger wurde Max auf ihrem Arm. ,,Mama", rief das Mädchen, kaum dass sie nur ein paar Meter noch von der Zimmertür entfernt waren. Schon öffnete sich diese und heraus trat eine Frau, welche gerade die Hölle durchzumachen schien. Das sonst so voluminöse Haar hatte seinen Glanz verloren, die strahlenden Augen waren stumpf und gerötet und das eigentlich gut gestylte Outfit war zerknittert. Mara brauchte ein paar Sekunden, bis sie wieder die Frau ihres Partners erkannte. Auch Lilly schien etwas zu zögern, doch dann ließ sie bereits die Hand der Kommissarin los und lief ihrer Mutter entgegen. Kaum dass das Mädchen ihre Arme um den Hals ihrer Mutter schlang, schien etwas Leben in die Frau wiederzukehren. ,,Hey, meine Süße. Na, wie war die Schule?", erkundigte sich Emma, ihre Stimme kratzig, als hätte sie mehrere Stunden geweint. ,,Spannend wie immer. Wie geht es Papa? Tante Mar meinte, die Ärzte haben ihn Schlafen geschickt." Zuerst rechnete Mara mit einem wütenden Funkeln der Mutter, doch diese schien zu erschöpft, als das sie irgendwie reagieren könnte. Vorsichtig ließ sie den Jungen auf den Boden hinab und schon lief der Vierjährige auf seine Mutter zu, um sie zu umarmen. ,,Können wir zu Papa?" ,,Natürlich. Doch ihr müsst wissen, die Ärzte haben ein paar Sachen angebracht, um Papa zu helfen, wieder gesund zu werden. Es sieht vielleicht komisch aus, doch es hilft ihm", warnte sie die Kinder vor, dann öffnete sie die Tür und trat gemeinsam mit ihren Kindern ein. Zögerlich blieb Mara auf dem Gang stehen, Emma hatte ihr verboten, wieder in das Zimmer zu treten, doch gleichzeitig wollte sie sehen, wie es ihrem Kollegen und Freund ging. ,,Willst du nicht mitkommen, Tante Mar?", fragte Max ganz naiv und bevor sie antwortete, sah sie fragend zur Frau ihres Partners. Schwach, fast schon kraftlos nickte sie nur und gewährte Mara somit den Eintritt in das Krankenzimmer. Langsam trat sie ein, leicht ängstlich, nicht wissend, wie ihr Partner wohl aussehen würde. Lilly und Max hatten es irgendwie geschafft, auf das Krankenbett zu kommen und während das Mädchen sich auf den Arm ihres Vaters legte, nahm der Junge auf der anderen Seite Platz. Der Mann selbst, der sonst so fürsorgliche, auffangende und bodenständige Kommissar, welcher immer so unglaublich auf seine Gesundheit achtete, lag still auf dem Bett, noch immer angeschlossen an die Maschine zur künstlichen Beatmung. Entgegen der Kinder hielt sich Mara von ihm fern, sie konnte nicht in seiner direkten Nähe sein. Würde sich seine Haut noch immer so kühl anfühlen?

Bilder der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt