16

20 1 0
                                    

Als würde ihr die kleine Tasse Sicherheit geben, krallten sich ihre Finger fast schon schmerzhaft in das Porzellan der Teetasse. Man hatte Mara den Tee gebracht, sodass auch der letzte Rest der Kühle aus ihrem Körper verschwinden würde. Seit dem Vorfall am See waren acht Stunden vergangen, mittlerweile war es wieder hell draußen, doch noch immer hatte sich keiner getraut, ihr zu sagen, wie es Julius ging. Auch Ilia hatte sich nicht mehr Blicken lassen, seit ihr die Pfleger und Ärzte der Notaufnahme die nassen Klamotten abgenommen hatten. Stattdessen saß sie nun in Jogginghose und Pulli ihres Kollegen an die Wand gelehnt auf einer Trage, welche normalerweise zum Transport von Patienten diente. Man hatte sie in kein Zimmer bringen können, die meisten Betten waren mit Coronapatienten belegt und somit ließ man sie im Gang zwischen zwei Abteilungen sitzen. Ihre Lunge war wieder frei, ihr Körper wärmte sich so langsam wieder auf und auch das Beruhigungsmittel wurde nach und nach abgebaut. Hin und wieder huschte eine Pflegekraft an der Kommissarin vorbei, manche schielten kurz zu ihr rüber, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Es wirkte, als wüssten sie etwas, ein Geheimnis, welches sie nicht mit Mara teilen sollten, doch eigentlich wollten. Als wieder jemand an ihr vorbei ging, ein junger Pfleger mit leichtem, sporadischen Bartwuchs, entschloss sich die Frau dazu, endlich Informationen zu erhalten. ,,Entschuldigung", fing sie den Mann ab: ,,Haben Sie meinen Kollegen irgendwo gesehen?" ,,Warten Sie kurz." Schon verschwand der Mann wieder, das kleine Kind in dem Rollstuhl vor ihm winkte ihr noch zum Abschied zu. Oh, wie Mara Krankenhäuser hasste. Sie war noch nicht häufig in einem gewesen, sie konnte die Male an zwei Händen abzählen, doch sie hasste, was man hier sah. Wo die einen gerade ins Leben fanden, starben die anderen. Wo die einen den tollsten Tag ihres Lebens fanden, erlebten die anderen den Schlimmsten. Das typische Quietschen von Ilias Sneaker holte Mara wieder in die Realität zurück und nur wenige Sekunden, nachdem sie das Geräusch vernommen hatte, kam auch der Kommissar um die Ecke. ,,Hey", begrüßte sie ihn mit kratziger Stimme, sobald er in Hörweite war. Auch ihn hatte das Alles mitgenommen, er sah übermüdet und zermürbt aus, sein Blick wirkte verloren, fast schon traurig. ,,Wie geht es dir?" ,,Mir wird langsam warm. Es wird besser. Hast du was von Julius gehört?", fragte sie die Frage, welche sie wirklich beschäftigte. Hoffentlich würde der Mann nun nicht wieder auf freundlich tun, sondern wie sonst auch sich auf Fakten verließ. Und dies tat er auch. ,,Er hat wieder einen Herzschlag. Er hängt an einem Beatmungsgerät, seine Körpertemperatur wird mit erwärmten Elektrolytlösungen erhöht. Sie wissen nicht, wann er aufwachen wird", erklärte er, bevor er kurz stoppte: ,,Ob er überhaupt aufwachen wird." ,,Sag das nicht", protestierte Mara, doch sie konnte in dem Blick ihres Kollegen sehen, dass es wirklich unsicher war. Nein, nein, nein. Auch wenn es ihr die Kehle zu schnürte, sie musste es fragen. ,,Hast du Emma schon kontaktiert?" Schwach, kraftlos schüttelte der Mann den Kopf. ,,Ich konnte nicht. Es ging einfach nicht." Auch wenn es eigentlich seine Pflicht gewesen war, Mara konnte verstehen, wieso der Mann dazu nicht die Kraft gefunden hatte. ,,Hast du mein Handy?" Leicht verwirrt blickte der Ermittler sie an, während er ihr ihr Mobiltelefon reichte. Mit leicht zitternden Fingern öffnete sie es, suchte nach der entsprechenden App und tippte dann auf den Kontakt der Frau ihres Partners. Es klingelte nicht sonderlich lang, dann nahm bereits jemand ab. ,,Hallo Mara, wie geht es dir? Wie lief Julius' Date letzte Nacht? Eigentlich sollte er mir direkt nach der Aktion Bescheid geben." Schon zog es wieder Maras Kehle zusammen, doch sie musste es der Frau erklären. ,,Emma, es ist etwas ziemlich schief gelaufen."

Lautes Schluchzen erfüllte den Raum. Emma hatte ihren Kopf in die dünne Decke vergraben, welche den Kommissar bis zur Brust bedeckte. Seine Hände hielt sie fest umschlungen, als fürchtete sie darum, seinen Geist zu verlieren. Ein Plastikschlauch ragte aus seinem Mund heraus, das leise Rattern der Maschine war kaum zu hören, während es seine Lungenflügel mechanisch mit Sauerstoff versorgte. Mara selbst konnte sich ihrem Partner nicht nähern. Auch wenn Julius nur wirkte, als würde er schlafen, sie fürchtete sich davor, seine Haut zu berühren und nur einen kalten, leblosen Körper unter ihren Fingern zu spüren. ,,Wo ist sein Ring?" Mit verweinten, geröteten Augen sah die Frau sie an, jegliche Lebenskraft schien aus ihrem Körper gewichen zu sein. ,,Wo ist sein Ehering? Warum trägt er ihn nicht?" Schnell dachte Mara nach, wo hatte sie das kleine goldene Band der Ehe gelassen? Aus Nervosität heraus spielte sie mit ihrer Kette, wo sie den Ring auch fand. ,,Hier", sagte sie, dann nahm sie das Kettchen von ihrem Hals: ,,Julius wollte, dass ich auf ihn aufpasse. Bis die Aktion vorbei war." Ihre Hand zitterte leicht, als sie der Frau ihn reichte. Fast sofort nahm Emma ihn entgegen, platzierte einen kleinen Kuss auf dem Edelstahl, bevor sie ihn Julius wieder an den Finger steckte. Dann konnte Mara nicht mehr. ,,Es tut mir so leid. Es tut mir so unendlich leid. Es war mein Plan. Ich habe ihn dazu gedrängt. Er wollte eigentlich gar nicht hin. Es ist meine Schuld." Es brach fast schon aus der Kommissarin heraus, ein Schwall an Worten, die schon die ganze Zeit durch ihren Kopf gestürmt waren. Wieder erfüllte sie eine komische Art der Kälte, nicht wie zuvor im Wasser, sondern eine, die sie seit ihrer Jugend nicht mehr kannte. Sie fühlte sich schuldig, sie hatte versagt. Sie war schuld daran, dass Julius nun da lag, dass Emma sich die Augen aus dem Kopf weinte, dass Lilly und Max heute abend nach ihrem Vater fragen würden, ihn aber nicht sehen könnten. Während es nur so aus Mara heraus sprudelte, sah Emma sie nur schweigend an. Vereinzelnd fanden ein paar Tränen ihren Weg an ihrer Wange hinab, doch ihr Blick wirkte emotionslos, fast schon kalt. ,,Wisst ihr, wer es war?" Knapp nickte Mara, dann sprach die Frau: ,,Bringt ihn hinter Gitter. Lass ihn dafür bezahlen, was er Julius angetan hat. Bis dahin, ich will dich hier nicht mehr sehen. Deine Aktion hat Julius, meinen Mann, den Vater meiner Kinder ins Koma gebracht, es ist das mindeste, was du tun kannst." Leicht blitzte Wut in den Augen ihrer eigentlichen Freundin auf, eine Wut ihr gegenüber und die Kälte breitete sich noch weiter im Körper der Kommissarin aus. Sie wollte die Frau nun nicht allein lassen und um ehrlich zu sein, sie wollte selbst nicht ohne Gesellschaft sein. Mit der Absicht, die Frau zu trösten legte sie ihr die Hand auf die Schulter, welche jedoch direkt weggeschlagen wurde. ,,Geh!", schrie die Frau sie an: ,,Geh endlich! Ich will dich hier nicht haben!" Wie festgefroren blieb Mara stehen, sie konnte keinen einzigen Muskel rühren, was Julius' Frau dazu brachte, auf zustehen und auf sie zu zugehen. ,,Du hast recht, es ist deine Schuld! Julius wollte nicht zu dem Treffen, er hatte Bedenken, doch hey, Mara und ihre Hirngespinste, die haben ja immer Recht, können praktisch schon die Zukunft voraussagen." ,,Emma, ich..", weiter kam die Kommissarin nicht, da schlug die Frau ihr bereits mit der offenen Hand mitten ins Gesicht. Brennend zeichnete sich der Handabdruck auf der Haut ab und eisern schmeckte Mara ihr eigenes Blut in ihrem Mund. Mit ihren Fingern tastete sie vorsichtig an ihre Lippe, sah die rote Farbe auf den Fingerspitzen, dann drehte sie sich um und ging, damit kämpfend, nicht zu weinen.

Bilder der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt