Kapitel 1: Lance Tucker

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"Warum muss ich denn schon wieder den Neukunden übernehmen?" Seufzend ließ ich mich auf den Stuhl in meinem Büro fallen. Meine Kollegin Jane sah mich belustigt an: "Weil du kreativ bist und gut im Erstellen von Corporate Designs und weil unser Chef der Meinung ist, dass du gut mit Kunden umgehen kannst."
"Ich hasse Kunden... ich will nicht mit denen reden... die denken doch sowieso alle ich bin dämlich..." murmelte ich und wollte mich am liebsten unter meinem Schreibtisch verstecken.
"Ach so ein Unsinn," lachte Jane. "Du musst lernen, mehr von dir zu halten. Und außerdem sah der Typ echt gut aus, als er hier war, um den Termin zu machen." Sie zwinkerte mir zu und ich schüttelte nur grinsend den Kopf. War ja klar, dass sie mich gleich wieder verkuppeln wollte.

Zwei Stunden später war ich allein im Büro. Jane hatte bereits Feierabend und unser Boss war wie immer bei irgendwelchen Terminen. Ich durfte dem neuen Kunden also ganz allein gegenübertreten.
Genervt legte ich mir die Mappe zurecht, die ich bereits zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Sie enthielt das alte Logo und Beispiele, sowie Bilder von alten Flyern und Plakaten. Ein richtiges Corporate Design gab es bisher nicht.
Ich öffnete den Browser auf meinem Rechner und klickte mich zur Website des Sportvereins durch. Wie erwartet, sah auch diese ziemlich veraltet und wenig ansprechend aus. Da würde ich einiges zu tun haben.

Es klopfte fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit. Lieber zu früh, als zu spät. "Kommen Sie rein," rief ich und stand nebenbei auf. Ich zupfte meinen Rock zurecht und ging bereits Richtung Tür und hörte, wie sie geöffnet wurde: "Hey, ich hab einen Termin um vier."
Die Stimme ließ mich schon aufhorchen und als ich den Blick hob, sah ich den Albtraum meines Lebens vor mir stehen: Lance Tucker.

Ich stoppte vor ihm und sah in sein erstauntes Gesicht: "Na das ist ja ne Überraschung." Er grinste dieses unwiderstehliche Grinsen und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Unterlippe, während er seine Hände in die Hüfte stützte und mich ansah.
"Lance..." murmelte ich nur und verdrehte die Augen.
"Emilia," erwiderte er und reichte mir grinsend seine Hand. Ich ignorierte diese Geste: "Bitte sag mir, dass du nicht mein Ansprechpartner für das Projekt bist."
"Genau der bin ich, Kleines."

Ich überlegte, wie kurzfristig ich kündigen konnte. Aber nein. Dieser arrogante Widerling war es nicht wert, meinen hart erkämpften Job aufzugeben. Ich war eine der Besten - zumindest wurde mir das immer mal wieder gesagt. Meine Egoprobleme waren natürlich anderer Meinung. Und Lance Tucker war nicht unbedingt unschuldig daran. Zumindest hatte er nicht dafür gesorgt, mein Ego zu vergrößern. Im Gegenteil. Er hatte es mit Füßen getreten, nachdem er sich mein Vertrauen erschlichen hatte. Und das gleich zweimal.

War ich vor dem Termin bereits unmotiviert gewesen, hatte ich nun so richtig gar keine Lust mehr. Andererseits war das meine Chance, ihm zu zeigen, dass ich es drauf hatte. Und dass ich mich von ihm nicht hatte klein kriegen lassen.
"Setz dich," knurrte ich und deutete auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. Ich selbst setzte mich wieder auf meinen normalen Platz. Eigentlich setzte ich mich mit Kunden immer an den großen Tisch im Konferenzraum. Aber dieser Kerl sollte es ruhig unbequem haben.

"Mh, dieser Befehlston gefällt mir." Lance zwinkerte mir zu und nahm Platz.
Ich versuchte, den Blickkontakt zu vermeiden und seine dummen Sprüche einfach zu ignorieren. Ihn nicht anzusehen war schwer, denn er sah verdammt gut aus - das Problem war nur, dass er genau das wusste. Und er nutzte es.

Wir kannten uns zwangsweise schon seit unserer Kindheit, da wir in dieselbe Klasse gegangen waren. Lance war natürlich einer der beliebtesten Schüler gewesen und alle Mädchen hatten ihn angehimmelt. Er hatte das als Einladung genommen, um eine nach der anderen auszunutzen. Ich konnte mich nicht daran erinnern , ihn länger als ein paar Wochen mit demselben Mädchen gesehen zu haben.
Er war Sportler und nahm an diversen Leichtathletik Turnieren teil - leider mit recht viel Erfolg. Im Gegensatz zu den meisten Sportlern war er aber nicht dumm. Er hatte fast durchweg gute Noten - außer in Literatur. Das war der Grund, warum meine Mutter mich gezwungen hatte, ihm Nachhilfe zu geben- immerhin waren unsere Mütter Kolleginnen.

Ich hatte mich also in den letzten beiden Schuljahren beinahe wöchentlich mit ihm getroffen, um ihm die Bücher näher zu bringen, die wir für die Schule lesen mussten. Tatsächlich konnte er sich für einige davon begeistern und verbesserte sich im Unterricht zusehens.
Bei unseren Treffen ließ er seine Coolness sinken und redete beinahe normal mit mir. In der Schule ignorierte er mich weiterhin. Immerhin war ich die kleine verschüchterte Streberin. Wir waren also nie wirklich Freunde gewesen, bevor et mich aufs Übelste hintergangen hatte.

"Also," begann ich und versuchte, so selbstsicher wie möglich zu wirken. "Ich habe hier die alten Designs, die ihr verwendet habt. Und ich habe einen groben Blick auf die bisherige Webseite geworfen. Aber ich habe noch keine Infos bekommen, wie es zukünftig aussehen soll. Daher brauche ich von dir zuerstmal ein Briefing."
Lance sah mich an und nickte: "Ja, richtig. Ehrlich gesagt hat es bisher niemanden interessiert, wie das alles aussieht. Zum Glück habe ich den Laden jetzt übernommen." Er grinste selbstgefällig.

Ich rollte mit den Augen und wartete darauf, dass er mir Infos gab. Doch er verfiel erstmal seiner Selbstliebe: "Du kannst dir nicht vorstellen, in welchem Zustand das Gym war... naja, ohne Star kommt halt auch kein Geld rein... also habe ich meinen Namen erstmal genutzt, um Sponsoren zu bekommen. Wir renovieren gerade alles und zur Neueröffnung gibt es dann eine richtig große Feier. Das ist übrigens auch deine Deadline, Honey..."

Ich schieb dir deine Deadline gleich in den Arsch, dachte ich und seufzte genervt: "Infos, Lance. Und zwar nicht darüber, für wie geil du dich hältst."
"Oh Baby. Du weißt, dass es stimmt." Er sah mich auffordernd an und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. Fuck.
Dieser Tick von ihm hatte mich schon immer verrückt gemacht. Und er hatte es ausgenutzt. Er war ein Arsch, egal wie gut er aussehen mochte. Ich räusperte mich und versuchte, dabei so genervt wie möglich zu klingen. "Fakten, Lance. Zu eurem Corporate Design."

Er schaffte es tatsächlich, mir in der nächsten Stunde brauchbare Infos zu geben - zu Farben, Schriften, Bildern und dem Logo. Ich erklärte ihm, dass ich zunächst einige Logo-Entwürfe anfertigen würde, Farbwerte und Schriftarten festlegen musste und wir uns in etwa einer Woche zu einem nächsten Meeting sehen könnten. Er war einverstanden, machte aber keine Anstalten, zu gehen. Stattdessen lehnte er sich auf dem Stuhl zurück und sah sich um.

"Du hast es echt weit gebracht... schickes Büro... man munkelt, du wirst den Laden irgendwann mal übernehmen." Er grinste und ich seufzte: "Das geht dich nichts an, Lance."
"Ach komm, Honey... bist du wirklich noch sauer wegen damals oder spielst du nur die Kalte, mh?" Jetzt lehnte er sich über den Tisch zu mir und sah mich aus seinen blauen Augen an. Diese Augen waren eine tiefblaue Falle, die einen wir eine Sirene auf dem Meer in ihren Bann zogen.
"Nenn mich nicht so," erwiderte ich ihm und hoffte, dass er meine Anspannung nicht bemerkte.
"Damals mochtest du es," grinste er weiter.
"Hör auf damit." Ich stand auf und räumte die Unterlagen zusammen. "Du musst jetzt auch gehen. Ich habe Feierabend und muss hier abschließen."

Lance stand auf, steckte die Hände in die Taschen seiner Trainingshose und wippte auf den Füßen auf und ab: "Cool. Lust auf einen Drink? Der alten Zeiten wegen?" Er zwinkerte mir zu.
Es schien ihm vollkommen entfallen zu sein, wie sehr er mich verletzt hatte. Zweimal. Ich würde nicht so dumm sein, ein drittes Mal auf diesen Mann hereinzufallen. Egal, wie viel Zeit vergangen war.
"Nein." Ich nahm meine Tasche und ging zur Tür. "Bis nächste Woche, Lance."
Er seufzte und zuckte dann mit den Schultern: "Bis nächste Woche... Honey." Er betonte den verhassten Spitznamen besonders und ging dann grinsend an mir vorbei aus dem Büro.

Als er weg war, atmete ich tief durch. Ich hatte mir so viel aufgebaut, sogar eine Art von Selbstbewusstsein. Aber dieser Kerl schaffte es, dass ich mich schlagartig wieder so fühlte, wie damals in der Schule oder im ersten Studienjahr. Ich durfte nicht nochmal zulassen, dass er mich mit Füßen trat...

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