Olivia
Zwei Stunden später wusste ich, dass Finn zwei Jahre älter war als ich, einen großen Bruder hatte, in Florida aufgewachsen war - was seine gebräunte Haut erklärte - und seine Freizeit am liebsten auf dem Fußballplatz oder am Strand verbrachte. Nach der Schule hatte er ein Jahr lang ehrenamtlich als Lehrer an einer Schule in Südafrika gearbeitet und wäre beinahe dort geblieben. Doch die Sehnsucht nach seiner Familie war am Ende stärker gewesen und hatte ihn zur Rückkehr bewegt.
Gegen seine Erzählungen musste alles, was ich in meinem bisherigen Leben gemacht hatte, unfassbar langweilig wirken, doch Finn hörte mir mit aufrichtigem Interesse zu - oder er war einfach ein sehr guter Schauspieler. Was mein eigenes Interesse betraf, war keine Schauspielkunst von Nöten. Finn faszinierte mich. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir noch die ganze Nacht über auf der ungemütlichen Mauer sitzen und miteinander reden können, aber Finn hatte am nächsten Morgen Training und war vernünftig genug, auf ausreichend Schlaf zu achten.
„Wenn jemand beim Aufwärmen gähnt, müssen wir alle fünf Strafrunden laufen und wenn ich derjenige bin, drohen mir noch ganz andere Strafen von den anderen", erklärte Finn und verdrehte die Augen. „Mannschaftssport am College ist brutal, glaub mir."
„Klingt nach einer spaßigen Angelegenheit", erwiderte ich. „Ich für meinen Teil bleibe am Wochenende lieber ein paar Stunden länger im Bett liegen und gönne mir dann ein wunderbares Frühstück." Finn blieb stehen, woraufhin auch ich meine Schritte verlangsamte. Er ließ seine Mundwinkel herunter hängen und sah mich traurig an. „Das klingt sehr viel verlockender", stimmte er mir zu, setzte sich wieder in Bewegung und legte mir dabei wie selbstverständlich einen Arm um die Taille. Augenblicklich durchzog ein angenehmes Kribbeln meinen gesamten Körper. „Insbesondere in deiner Gesellschaft", fügte er hinzu.
Mein Herz stockte, stolperte und begann zu rasen. Hatte Finn gerade angedeutet, mit mir in einem Bett liegen zu wollen? Oder ging es ihm lediglich um das Frühstück? Ein rasendes Herz in Verbindung mit rasenden Gedanken und Finns Hand an meiner Taille machte er mir unmöglich, einen zusammen hängenden Satz herauszubringen. Aus Angst, etwas zu sagen, was ich später garantiert bereuen würde, schwieg ich lieber und hoffte, damit nicht die falschen Signale zu senden.
„Da wären wir", teilte ich ihm wenige Minuten später widerstrebend mit. Wir hatten mein Wohnheim erreicht und Finn das zu verschweigen, würde zwar unsere gemeinsame Zeit verlängern, mich jedoch auf lange Sicht vermutlich in Erklärungsnot bringen. Finn blickte grinsend an der Gebäudefassade hoch. „In meinem Freshman-Jahr galt dieses Wohnheim immer als Partyhochburg. Ist das immer noch der Fall?" Bestätigend nickte ich. „Oh ja. Ich hab letztes Jahr auch schon hier gewohnt und es gab echt kaum ein Wochenende, indem niemand was organisiert hat. Einerseits ganz cool, andererseits auf Dauer auch anstrengend."
„Glaub ich dir gern", entgegnete Finn. „Aber heute scheint es ruhig zu sein."
„Heute ja." Ich deutete auf ein Plakat, das neben der Eingangstür an die Wand geklebt worden war. „Morgen nicht." Jacob hatte sich bereits sehr ins Zeug gelegt, um uns zu überzeugen, morgen mit ihm zu der Party zu gehen, aber ich hatte mich mit meiner Zusage noch zurückgehalten und würde spontan entscheiden, ob mir nach Feiern zumute war. Finn warf einen kurzen Blick auf das Plakat und wandte sich dann mir zu. Er platzierte seine Hände auf meinem unteren Rücken und zog mich zu sich heran, bis sich der Abstand zwischen uns auf wenige Zentimeter reduziert hatte.
„Ich hatte einen sehr schönen Abend", murmelte er und hob eine Hand, um mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr zu schieben. „Danke dafür, Olivia."
Mein Haut kribbelte dort, wo er sie berührte und ich brauchte keinen Spiegel um zu wissen, dass meine Wangen sich rot färbten. „Ging mir genauso", sagte ich. Die Gefühle, die Finn nach nur wenigen gemeinsamen Stunden bereits in mir auslöste, überwältigten mich. Alles wirkte zu schön, zu perfekt, um wahr zu sein. Ich wusste, dass ich jetzt erst einmal Zeit für mich selbst brauchte, um den Abend Revue passieren zu lassen. Finns grüne Augen hielten meinen Blick gefangen und als er den Kopf leicht schief legte und sich meinem Gesicht näherte, stieg Panik in mir auf. Ich lehnte meinen Kopf ein kleines Stück zurück, woraufhin Finn in der Bewegung innehielt. Bevor die Situation unangenehm werden konnte, lächelte ich entschuldigend.
DU LIEST GERADE
won't fall in love
Romance"Darf ich mal kurz kitschig werden?", fragte Olivia nach einer Weile angenehmen Schweigens. Aber kein Schweigen war so angenehm wie Olivia reden zu hören. Ihre Frage ließ mich jedoch misstrauisch werden. "Kitschig?" Ich hatte keine Ahnung worauf sie...