Kapitel 57

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Jacob

Es war lange her, dass ich diese Worte ausgesprochen hatte. Ob ich sie damals, mit 14 Jahren, auch so meinte und mir ihrer Bedeutungsschwere überhaupt bewusst war, bezweifelte ich. Seitdem hatte es keinen Menschen gegeben, der mein Herz auch nur annähernd auf die gleiche Weise berührt hatte, wie nun Olivia. Ich hatte mich davor verschlossen, derartige Gefühle zuzulassen, hatte mich eingemauert, aus Angst so zu enden wie mein Vater, der meine Mutter zu sehr geliebt hatte.

Aber für Olivia hatte ich in einem unbedachten Moment eine kleine Tür durch diese Mauer aufgehalten und sie hatte meine Festung mit neuem Leben gefüllt. Vielleicht war ich bereits zu tief gefallen, vielleicht ähnelte ich meinem Vater in dieser Hinsicht mehr als mir lieb war. Nichtsdestotrotz musste ich nun lernen, meine Liebe nicht als Schwäche zu sehen, die mich möglicherweise eines Tages zu Grunde richten würde, sondern als Stärke.

Ich sagte Olivia diese drei Worte nicht, weil ich sie von ihr zurück hören wollte. Ich sagte sie ihr, weil sie es wissen musste. Es ihr nicht zu sagen, fühlte sich unehrlich an. Doch als ich den Schock in ihren Augen sah, zweifelte ich an meiner Entscheidung. Nicht nur hatte ich sie scheinbar komplett überrumpelt, auch mich selbst hatte ich gerade unfassbar verwundbar gemacht. Wir standen noch immer im Halbdunkel der Straßenlaternen vor dem Wohnheim und obwohl Finn verschwunden war, konnte jederzeit irgendjemand aus der Tür herauskommen. Egal wie dieses Gespräch weiterging und endete, es war kein Gespräch, das ich vor den Augen oder Ohren fremder Menschen führen wollte. Olivias Schockstarre dauerte weiter an, weshalb ich nach ihrer Hand griff und sie mit mir ins Gebäude zog. Sie folgte mir ohne Widerspruch oder Nachfrage. Oben angekommen musste ich Olivias Hand loslassen, um Haileys Schlüssel aus meiner Hosentasche zu holen und Olivia die Tür aufzuhalten. Als diese hinter uns ins Schloss fiel, blieb Olivia reglos neben mir stehen. Aus Angst vor dem, was ich in ihrem Gesicht sehen würde, wich ich ihrem Blick aus, stellte ihre Tasche auf dem Boden ab und schälte mich aus meiner Jacke. Erst dann wandte ich mich wieder zu ihr um und registrierte erschrocken, dass sich in ihren Augen inzwischen Tränen gesammelt hatten.

Natürlich war das nicht die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. Doch die Enttäuschung war minimal im Vergleich zu der Sorge, die Olivias Tränen in mir auslösten. Keine Sorge um mich, sondern um sie. Ohne nach dem Grund für ihre Tränen zu fragen, zog ich sie eng an meine Brust und hielt sie so fest an mir gedrückt, wie ich nur konnte.

„Es tut mir leid", murmelte ich in ihre Haare. „Das war total daneben. Du hast mich gebeten, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und ich..." Mir fehlten die Worte. Ich konnte und wollte das, was ich draußen gesagt hatte, nicht zurücknehmen, natürlich nicht. Aber es war zu früh gewesen. Vor einer Woche hatte sie sich noch eine Zukunft mit Finn ausgemalt und nach der heutigen Auseinandersetzung mit ihm war ein Gefühlsausbruch meinerseits mit Sicherheit das letzte, was sie gebrauchen konnte. Natürlich konnte ich auch nicht ausschließen, dass ihre Tränen einen anderen Grund als Überforderung hatten. Wenn sie meine Gefühle nicht erwiderte und befürchtete, sie niemals erwidern zu können, wäre es geradezu typisch für Olivia, sich deswegen schwere Vorwürfe zu machen.

„Ich wollte dich nicht unter Druck setzen", versicherte ich ihr, ohne irgendeine Ahnung zu haben, was gerade in ihrem Kopf vor sich ging. „Ich wollte nur, dass du es weißt." Und obwohl es mir widerstrebte, fügte ich hinzu: „Wenn du möchtest, dass ich gehe, musst du das nur sagen." Zu meiner Überraschung und Erleichterung schüttelte Olivia heftig den Kopf.

„Möchtest du mir sagen was los ist? Oder lieber nicht?" Ich lockerte die Umarmung etwas, um ihr mehr Bewegungsfreiheit zu geben. Sie wischte sich über die Wangen und trat einen Schritt zurück. Ihre Augen waren noch immer gerötet, doch sie wirkte relativ gefasst. „Komm mit", bat sie, griff nach meiner Hand und führte mich durch die Küche in ihr Zimmer. Sie kletterte auf ihr Bett und formte mit ihren Beinen einen Schneidersitz. Ich spiegelte ihre Position, sodass wir uns gegenüber saßen.

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