Kapitel 29

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Jacob

„Ich bin also nicht authentisch?", versuchte ich Olivias Aussage zu deuten. Bevor sie mir antworten konnte, begann irgendwo in der Wohnung ein Handy zu klingeln. „Oh, das ist meins", stellte sie fest und war im nächsten Moment aus meinem Blickfeld verschwunden. Enttäuscht und erleichtert zugleich drehte ich mich auf den Rücken. Ich griff nach dem frei gewordenen Kissen und drückte es mir auf's Gesicht, um mein verzweifeltes Stöhnen zu dämpfen. Ich verfluchte Noah dafür, dass er mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Nur weil ich gerne Zeit mit Olivia verbrachte, sie alles andere als hässlich war und ihre hellen Augen mich seit Tag eins faszinierten, hieß das noch lange nicht, dass ich mehr von ihr wollte als Freundschaft. Mehr war nicht möglich. Nichts körperliches, nicht mit Olivia.

„Wir wollen was zu essen bestellen, möchtest du-" Noah stockte. „Alles gut bei dir?"

Ich nahm das Kissen von meinem Gesicht und richtete mich auf. Wie lange hatte ich hier so gelegen? Weshalb hatte ich nicht mitbekommen, wie Noah und vermutlich auch Ella zurück gekommen waren?

„Essen klingt gut", sagte ich und tat so, als hätte ich nicht gerade mehrere Minuten mit einem Kissen über dem Gesicht in meinem Bett gelegen. Ich stand auf, schob mit an Noah vorbei und trat zurück ins Wohnzimmer, wo Ella und Olivia auf dem Sofa saßen. Olivia schien ihr Telefonat bereits beendet zu haben. Auch davon hatte ich in meinem Zustand nichts mitbekommen. Beunruhigend.

„Ach Noah, bevor ich es vergesse...", sagte sie nun, erhob sich vom Sofa und ging zu ihrer Tasche. Sie holte etwas heraus, das sie Noah überreichte. Der blickte etwas verwirrt auf das, was er nun in den Händen hielt. Als er den Pullover auseinander faltete, rutschte mir das Herz in die Hose. „Was soll ich damit?", fragte Noah verwundert. Olivia runzelte die Stirn. „Das ist deiner. Der lag in deinem Auto und ich hatte ihn am Wochenende an. Ich hab ihn natürlich gewaschen."

Fuck.

„Das ist nicht meiner, das ist-", begann Noah, doch ich riss ihm den Pullover aus der Hand. Nun lagen drei irritierte Augenpaare auf mir.

Olivia

Was zur Hölle?

Jacob faltete den Pullover unachtsam zusammen und zuckte mit den Schultern. „Meinen Pullover hättest du wohl kaum angezogen", murmelte er, bevor er sich umdrehte und in seinem Zimmer verschwand. Ich sah kurz zu Ella, die ebenso verwirrt wirkte, wie ich. Noah hingegen hatte die Lippen fest zusammen gepresst und wich meinem Blick konsequent aus. Ich stieß ein Seufzen aus und folgte Jacob. Er war gerade dabei den Pullover in einer Schublade zu verstauen, als ich in sein Zimmer trat.

„Du hast den Pullover mitgenommen, falls mir kalt wird?"

Er drehte sich nicht zu mir um. „Ja. Ich wusste schließlich, dass wir sehr lange unterwegs sein würden und dass es nachts kalt wird." Die Geste berührte und überraschte mich. Wie so vieles, was Jacob in letzter Zeit tat.

„Aber du bist trotzdem davon ausgegangen, dass ich ihn nicht anziehen würde, wenn ich wüsste, dass er dir gehört?", fragte ich nach, um auszuschließen, dass ich mich eben verhört hatte. Nun drehte Jacob sich zu mir um. Sein Blick war wach, aufmerksam. Forschend. „Ist doch so, oder nicht? Wir sind keine Freunde. Ich bin nicht authentisch, denke nur an das eine und bin ganz bestimmt niemand, dessen Pullover man gerne trägt."

Ich verdrehte demonstrativ die Augen, bevor ich mich ein weiteres Mal auf sein Bett fallen ließ. „Du bist echt eine ganz schöne Dramaqueen."

Jacob machte ein undefinierbares Geräusch. Halb Lachen, halb Würgen. „Ich bin was?"

„Eine Dramaqueen", wiederholte ich. „Klar bist du authentisch, das vorhin war ein Scherz. Ich dachte, dass gerade du das verstehen würdest. Und an was du denkst oder nicht denkst, ist ganz dir selbst überlassen."

Jacob setzte sich neben mich ans Fußende des Bettes. „Aber du magst mich immer noch nicht", behauptete er. Mit einem genervten Stöhnen ließ ich mich zurückfallen und starrte an die Zimmerdecke über mir. „Wenn du mir Dinge unterstellst, mag ich dich nicht, nein. Wenn du mich zum Lachen bringst, mir dabei hilfst nicht nur von Klippen sondern auch über meinen eigenen Schatten zu springen und einfach mal was zu wagen, wenn du über 12 Stunden deiner Zeit nur dem Ziel widmest, dass ich Spaß habe, dann mag ich dich."

Ich richtete mich wieder auf.

„Wenn ich dir also weniger Dinge unterstelle und öfter mit dir von Klippen springe, können wir Freunde sein?", frage Jacob mit einem schiefen Grinsen.

Ich ließ die letzte Woche Revue passieren, dachte über unsere Gespräche nach und darüber, wie anders sich unser Verhältnis inzwischen anfühlte. „Ich fürchte, wie sind schon Freunde", teilte ich ihm dann mit. „Ob du es nun willst oder nicht." In einer aufgesetzt förmlichen Geste hielt ihm meine rechte Hand hin. „Willkommen im Team Watson."

Jacob griff nach meiner Hand und hielt sie fest, während er seinen Kopf etwas nach unten neigte, um eine Verbeugung anzudeuten. „Es ist mir eine Ehre", verkündete er. Seine Hand war angenehm warm und weich und ließ meine beinahe unangenehm kühl zurück, als er sie losließ. Mir entging nicht, dass er kurz die Stirn runzelte, aber ich wusste nicht, was dahintersteckte.

„Ben", sagte er plötzlich und ohne erkennbaren Anlass.

„Was ist mit Finn?", fragte ich irritiert.

Jacob grinste, als ich den Namen extra betonte, bevor er erklärte: „Durch mein wenig freundschaftliches Verhalten in den letzten Tagen habe ich gar nicht mitbekommen, wie er unseren gemeinsamen Abend verkraftet hat. Befürchtet er immer noch, dass ich dich verführe und ihm wegschnappe?"

Ich verdrehte die Augen, was Jacobs Grinsen nur noch breiter werden ließ. Aus Respekt gegenüber Finn würde ich das, was er mir Samstagnachmittag anvertraut hatte, für mich behalten. „Wenn man die Hintergründe geht, ist sein Verhalten dir gegenüber verständlicher", sagte ich deshalb nur. „Und ob er derartige Befürchtungen hat weiß ich nicht, da du nicht so oft Thema zwischen uns bist, wie du zu glauben scheinst."

„Was für Hintergründe?", fragte Jacob neugierig und ließ mich damit sofort bereuen, überhaupt etwas in die Richtung gesagt zu haben. Also schüttelte ich abwehrend den Kopf. „Hintergründe, die dich nichts angehen." Jacob kniff die Augen zusammen, doch er bohrte nicht weiter nach. Stattdessen fragte er: „Aber es ist alles gut zwischen euch? Ihr lernt euch weiter kennen und du magst ihn nach wie vor?"

Sein intensives Interesse an der Sache zwischen Finn und mir fing an, mich ernsthaft zu beunruhigen. Welche Rolle spielte es für ihn, wie es bei uns lief? Hatte er Angst, Schuld daran zu sein, wenn nichts daraus wurde? „Ja, wir lernen uns weiter kennen, und ja, ich mag ihn", antwortete ich, ohne imstande zu sein, mein Misstrauen komplett zu verbergen. Aber Jacob nickte nur. „Gut. Das ist... gut." Ohne mir eine Möglichkeit zu geben, sein Interesse zu hinterfragen oder gar zu verstehen, stand er auf. „Ich wollte dich nicht vom Lernen abhalten, sorry."

Obwohl ich bezweifelte, dass Noah und Ella es mir übel nahmen, wenn ich sie ein paar Minuten alleine ließ, erhob ich mich ebenfalls vom Bett und ging zurück ins Wohnzimmer, während Jacob in seinem Zimmer blieb und nur kurz zum Essen rauskam. Entgegen meiner zwischenzeitlichen Annahme war er doch noch nicht wieder ganz der Alte. Seine Laune war seltsam sprunghaft, seine locker-fröhliche Art kam nur phasenweise zum Vorschein und auch das abrupte Ende unseres Gesprächs brachte mich ins Grübeln. Dass Noah immer mal wieder besorgte Blicke in Richtung der geschlossenen Zimmertür von Jacob warf, machte die Sache nicht besser. Ich versuchte mir nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen und mich stattdessen auf meine Pläne für das kommende Wochenende zu fokussieren. Das Telefonat mit meinem Vater war kurz, aber sehr erfreulich gewesen. Er hatte am Montag einen Geschäftstermin in San Diego und würde schon am Samstag anreisen, um den Sonntag mit mir zu verbringen. Als ich Ella und Noah davon erzählte, fragte Ella, ob ich ihm dann auch Finn vorstellen würde, was ich nach kurzem Zögern verneinte. Finn mit zu meinen Freunden zu nehmen war eine Sache, ihn meinen Eltern vorzustellen nochmal eine ganz andere. So weit waren wir noch nicht und ich wollte weder ihm, noch mir selbst, unnötig viel Druck machen. 

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