Kapitel 16 - Juan

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Der Tag verging schleppend.
Enya und ich verbrachten die Stunden damit am Dressur Viereck zu sitzen und Jane dabei zuzusehen, wie sie Melli, Carlo und andere Reiter in der knallheißen Sonne quälte.
Hin und wieder verschwanden wir in der Küche um uns Limonade zu stibitzen, bis es Abend war und Enya mir half die Pferde reinzuholen.

Ich überließ ihr die Kaspar Köpfe, die direkt bei ihrer kleinen Gestalt versuchten reiß aus zu nehmen.
Allerdings hatten die beiden keinen großen Erfolg dabei, ergaben sich demnach ohne weiteren Kampfgeist.
Es war anscheinend zu heiß um wegzulaufen.

Es dauerte zu zweit etwa eine halbe Stunde und alle Pferde standen in dem kühlen Stall, wo sie direkt von zwei Mädels mit Heu versorgt wurden.

Als wir den Stall verließen, begann Enya zu sprechen.
„Weißt du wie viele wir später sein werden?"
Ich wusste das sie von der Trinksession sprach.
„Nicht mehr als zehn Leute"
Mein Blick glitt zu ihr und studierte die nachdenklichen Gesichtszüge.
„Zu viele Menschen?"
Enya spielerisch anstupsend, geriet sie etwas von der Spur und grinste als sie zu mir zurück taumelte.
Den Kopf schüttelnd, stieß sie mir ebenfalls in die Seite.
„Geht schon"

Ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk.
Noch eine halbe Stunde bis zur Verabredung mit den anderen.
Wir würden uns wie immer an der kleinen abgelegenen Feuerstelle treffen.
Diese war zwei Minuten vom Hof entfernt, allerdings nicht sichtbar für unwissende.

Enya schielte zu mir rüber und beschleunigte kurz darauf ihren Schritt.
„Treffen in 20 Minuten an der Haustür?"
Sie drehte sich während des Gehens zu mir um und schlenderte vor sich hin.
„Also kommst du?"
„Denkst du etwa ich bleibe den ganzen Abend im Zimmer sitzen?"
Empört zog sie die Nase kraus und ich musste schmunzeln.
„Dazu sage ich jetzt mal nichts"
„Besser ist's"

Als Enya das riesige Haus erreichte, öffneten ihre schlanken Finger die Tür.
„In 20 Minuten. Hier unten."
———
Gemeinsam traten wir zehn Minuten später als geplant zu den anderen an die Feuerstelle.
Ein kleines Flämmchen wehte bereits in der sanften Sommerbrise hin und her, während Gelächter durch den Wald hallte.
Mehrere Flaschen klirrten und ich wurde mit einem herzlichen Grölen begrüßt.

Enya blieb dicht bei mir, während wir uns auf einen freien Platz in der kleinen Sitznische quetschten.
Diese bestand bloß aus einer etwas hochgezogenen Mauer, in der sich eingelassene Bänke befanden.

Mit wachsamen Blick beobachtete ich, wie die Schimmelreiterin alles um sich herum analysierte.
Ein sanftes Lächeln, welches an ihren Mundwinkeln zupfte, verriet mir das alles in Ordnung war.

„Wollt ihr ein Bier?"
Monica stand vor uns, mit bereits zwei Flaschen in der Hand.
„Gerne"
Ich griff danach und reichte Enya eins weiter.
Sie nahm es dankend an und lies ihre blauen Augen zu meinen Händen huschen, die anfingen in meinem Hoodie nach dem Feuerzeug zu kramen.
Als ich es schließlich fand, nahm ich ihr das Bier wieder weg und drückte den Deckel mit der Kante meines Werkzeuges ab.

„Seit wann schleppst du Feuerzeuge mit dir rum?"
Grinsend schlossen sich ihre Finger erneut um das Glas und ich öffnete mein eigenes.
„Wenn's um Alkohol geht immer"
Wir stießen an und tranken einen Schluck.

Melli und Carlo saßen etwas abseits und lachten gemeinsam, so wie der Rest es auch tat.
Gesprächsfetzen die sich ums Training, Beziehungsdramen und Alkohol drehten, flogen durch die Luft, zu kurz um sie einzufangen.
Enya schwieg und ich beschloss das es gerade zu schön zum reden war.
So saßen wir dicht nebeneinander, wegen mangelnden Platzes, tranken unser Bier und lauschten den anderen Menschen um uns herum.

Es wurde später und umso mehr Alkohol floss, umso mehr lockerte sich die Stimmung weiter auf.
Ich hatte bereits mein drittes Bier in der Hand, stellte es allerdings beiseite, als ich genug davon hatte.
Enya hingegen störte sich nicht daran und trank ihres aus.
„Du bist wohl ein wahrer Biersäufer, was?"
Sie grinste und wedelte demonstrativ mit ihrer leeren Flasche in der Luft herum.
„Kommt aus der Familie nehme ich an"

Ein kalter Windzug fuhr durch ihre blonden Strähnen und ich beäugte kritisch das dünne Shirt welches sie trug.
Schon als wir aufgebrochen waren, hatte ich mich gefragt ob sie nicht etwas leicht bekleidet unterwegs war, für die späten Abendstunden.
Allerdings hatte es sie bis jetzt nicht interessiert, dass es immer frischer geworden war.

„Gruppenshot!"
pöbelte es plötzlich und Luke sprang mit einer Flasche Wodka auf und ab.
Enya zog die Nase kraus.
„Haben die nichts besseres da?"
Lachend wurden Gläser mit dem durchsichtigen Alkohol verteilt, während ich mit den Schultern zuckte.

Trotz der Beschwerde nahm sie das kleine Shotglas entgegen, wartete bis alle was hatten und kippte, in Begleitung eines laut gebrüllten Trinkspruchs von Luke's Seite aus, den Inhalt herunter ohne das Gesicht zu verziehen.
Der Alkohol rann mir in wärmenden Wellen den Rachen hinab und eine zweite Runde wurde ausgeschenkt.

Als auch dieses Gläschen leer war, zog ich mich aus der Saufaktion zurück.
Enya trank bis zur vierten Runde mit, bis auch sie schließlich verneinte.
„Ekelhaft"
Sie drehte das runde Gefäß in ihren Händen hin und her.
„Du hättest ja aufhören können"
Schmunzelnd schielte ich in ihre Richtung.
„Es geht nicht um den Alkohol selbst, sondern um den Spaß den man beim trinken mit den anderen teilt"
Ihre Pupillen waren geweitet und ich vermutete das sie leicht einen sitzen hatte.
„Mhm"
brummte ich eine Zustimmung, abgelenkt von der Gänsehaut auf Enya's Armen.
Ein leichtes Zittern, welches sie zu unterdrücken versuchte, bestätigte mich in der Annahme das ihr kalt war.

„Weißt du wie spät es ist?"
Sie versuchte einen Blick auf meine Uhr zu erhaschen, doch ich war schneller.
„Gleich Mitternacht"
„Hm"
Sie fröstelte erneut.
„Sorry, ich bin zur späten Stund nicht wirklich gesprächig"
Die blauen Augen, sendeten mir einen entschuldigenden Blick.
Ich winkte ab und zog stattdessen meinen Pullover aus.

Verwirrt sah sie mir dabei zu, nahm den Pulli entgegen, als ich ihn ihr hinhielt und starrte für gute fünf Sekunden so irritiert auf den Stoff, das ich ihn ihr seufzend aus der Hand nahm und stattdessen über den Kopf zog.

Als ihre kurzen Arme in die viel zu langen Ärmel fanden und ihr Kopf aus dem Schlupfloch rausschaute, wurden ihre Wangen rot.
„Besser?"
Sie nickte und musste lächeln.

Weitere Minuten verstrichen in denen sie schwieg, bis ihr kleiner Körper sich erhob.
Anscheinend etwas zu abrupt für den Alkohol Pegel, denn sie haderte kurz mit dem Gleichgewicht.
„Komm, ich denke wir gehen jetzt"
„Das hatte ich grade vor"

Wir verabschiedeten uns von der Gruppe und wurden mit winkenden Händen in den dunklen Wald geschickt.
Enya stolperte hier und dort über eine Wurzel, da sie nicht sah wo sie hintrat, bis wir das dichte Blätterdach verließen und auf den Hof zusteuerten.
„Kommst du mit zu mir? Ich muss dir auch ein paar Geschichten aus meinem Stall vortragen"
„Du hast getrunken. Ich denke es ist besser, wenn du mir das nüchtern erzählst"
Sie schob sich vor mich und hielt sich kurz an meinem Shirt fest.

„Mein Gott, was soll das?"
Sie fragte das viel mehr sich selbst als mich.
„Mir ist nur schwindelig und vielleicht bin ich auch ein wenig desorientiert"
Sie hielt kurz inne.
„Aber ich bin nüchtern genug um zu wissen was ich will"
„Das wage ich zu bezweifeln"
Ein kalter Blick traf meinen belustigten.
„Juan"
Sie stach ihren Finger in meine Brust und tippte zweimal darauf rum.
„Enya"
Sie sah mich schweigend an und plötzlich zog sich ein Schatten über ihr Gesicht.

„Alles gut?"
Ihr plötzlicher Stimmungswechsel verwirrte mich.
„Ja"
Sie lies ihren Blick zu Boden sinken und drehte sich um.
„Wir sehen uns morgen"
Ein kurzer Blick zurück.
„Danke für den Pullover"

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