Kapitel 6 - Enya

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Unentschlossen stand ich in meinem Zimmer und betrachte skeptisch das Outfit welches ich trug.
Während ich mich damit normalerweise wohl gefühlt hätte, wusste ich nun nicht so recht ob ich es nicht doch lieber wechseln sollte.

Mein weinroter Hoddie und die weite Trainingshose waren zwar bequem, aber war es angemessen damit zu den anderen zu gehen?
Eine leise Stimme in mir fragte warum es nicht okay sein sollte, schließlich war es ein normales Auftreten und keineswegs respektlos.
Und was wenn es jemanden störte?

Gestresst fuhr ich mir durch mein blondes Schulterlanges Haar und verfluchte meine Unfähigkeit, als ich feststellte das sich einige Strähnen in meinen Ohrringen verfingen hatten.
Während ich diese vorsichtig heraus zupfte, klopfte es plötzlich an der Tür.

Erschrocken schnellte mein Blick in die Richtung und automatisch machte ich ein paar eilige Schritte darauf zu.
Meine Finger drückten die Klinke herunter und als ich die Tür aufzog, streckte Melli ihren Kopf durch die kleine Öffnung.
„Huhu"
Ungefragt trat sie ein und lies ihren Blick kurzzeitig durch den Raums schweifen, bevor sie mich abwartend ansah.
„Hey"
erwiderte ich bloß und kickte unauffällig meine Reithose unters Bett.

„Seit 10 Minuten ist alles im Gange und du verschanzt dich noch immer hier oben"
„Ich habe die Zeit vergessen"
Sofort fühlte ich mich schlecht das ich sie anlog, doch sie schien es nicht zu bemerken.
„Alles gut, ich hatte eh Hoffnung dich davor abfangen zu können.
Ich habe keine Lust mit den ganzen Leuten da unten was zu machen"
Kurzzeitig legte sie den Kopf schief und grinste kurz darauf.
„Und ich habe gehört das es dir genauso geht"
„Leider hat dein geheimer Bote recht"
Lustlos lies ich mich aufs Bett fallen und beobachtete wie sie meine Bilder anschaute.

Bei dem von meiner Schwester und mir hielt sie inne und deutete mit dem Finger darauf.
„Das mag ich"
Ein kleines Lächeln zupfte an meinem Mundwinkel.
„Ich auch"
Sie lief weiter und blieb vor mir stehen, bevor sie mir ihre Hand hinhielt.
„Komm, wir schnappen uns was zu essen und verschwinden ins Reiterstübchen"
Lächelnd griff ich nach ihren Fingern und wurde augenblicklich auf die Beine gezogen.

Gemeinsam verließen wir mein Zimmer und eilten den Gang zu den Treppen herunter.
„Juan wartet bestimmt schon in der Küche"
Kichernd lief sie die ersten Stufen herab während sie sich zu mir umdrehte.
„Ist er so ungeduldig?"
Ich folgte ihr und lies meine Handfläche über das Geländer gleiten, während meine Füße immer wieder einen Schritt nach unten machten.
„Essen steht direkt nach seinem Pferd, auf der How-to-überleben Liste"
How-to-überleben Liste?"
Jep"
Lachend sprangen wir gemeinsam von der Treppe und flitzten zur Küche.
Als Melli die Tür aufdrückte und dahinter verschwand, tat ich es ihr nach und lies hinter mir das Holz ins Schloss fallen.

„Da bin ich wieder und ich habe jemanden mitgebracht"
Sie hopste zum nächstbesten Schrank und kramte darin herum, bis sie zwei Tüten Chips ans Tageslicht zog.
Juan drehte sich zu mir.
Er selbst hatte gerade an der Theke ein Glas Wasser eingeschenkt und lehnte sich nun an die Arbeitsplatte und trank einen Schluck davon.

„Hey"
Etwas verloren stand ich im Raum, weswegen ich beschloss einfach zu ihm rüber zu gehen.
„Hat sie dich also gefunden hm?"
Belustigt schielte er über den Rand seines Glases zu mir.
„Sieht ganz danach aus"
Am liebsten würde ich im Erdboden versinken.
Ich hasste solche Gespräche bis ins tiefste Mark.

Glücklicherweise wurden wir von Melli unterbrochen, die sich in unser Gespräch einklinkte.
„Na los, wenn uns jemand erwischt müssen wir eine Runde Risiko spielen und ich hasse diese Beschäftigung"
Um ihre Aufforderung zu unterstreichen, wedelte sie mit den Tüten in der Luft herum und sah uns auffordernd an.
„Gut, dann los"
Juan griff nach einer Flache Cola, die neben dem Kühlschrank gestanden hatte und machte sich daran den Raum zu verlassen.

Etwas überfordert blieb ich zurück und suchte mit meinem Blick verzweifelt nach etwas, was auch ich mitnehmen konnte.
Doch ich kannte mich hier nicht aus und hatte keine Ahnung ob ich überhaupt was zum Essen beisteuern sollte.
„Komm Enya, wir haben alles"
Kurz darauf verschwand Melli aus der Küche und ich folgte den beiden so schnell ich konnte.

Unauffällig schlichen wir uns an dem Aufenthaltsraum vorbei, drückten leise die riesige Tür auf und rannten kichernd über den asphaltierten Innenhof.
Ich wusste das sich die Halle etwas abseits hinter den Stallungen befand, doch als wir dort ankamen wurde mir das erste mal so wirklich bewusst wie riesig sie war.

Während Juan das Tor aufdrückte und uns hinein winkte, sah ich mich erstaunt um.
Statt in Sand zu stehen, wie ich es erwartet hatte, erstreckte sich der Reitplatz erst etwas weiter hinten in der Halle.
Asphaltierter Boden führte an einigen Tischen und Sitzecken die links vom Eingang lagen vorbei und grenzte an einem riesigen edlen Tor.
An der rechten Seite lag das kleine Reiterstübchen, direkt neben einer Treppe, die hinauf zu der Tribüne über uns führte.

„Wow"
hauchte ich leise und Melli grinste breit.
„Der Wahnsinn, oder?"
Sie streckte die Arme aus, wobei die Tüten raschelten und drehte sich im Kreis.
Erstaunt musterte ich jedes kleine Detail, während Juan unbeteiligt daneben stand und darauf wartete das Melli ihre Schwärmerei einstellte.
„Luxus den man meiner Meinung nach nicht braucht"
murmelte er leise und machte sich auf den Weg ins Reiterstübchen.
Gedanklich gab ich ihm recht, doch der Anblick raubte mir dennoch den Atem.
Nachdem ich jahrelang die Halle eines anderes Hofes nutzen musste, weil wir selber keine hatten, waren das hier ziemlich viele Möglichkeiten auf einmal.

„Komm"
Ich zog leicht an Melli's Ärmel, was sie zurück in die Wirklichkeit holte.
„Juan wartet"
Wir traten in den kleinen Raum, der bestimmt beheizt gewesen wäre, wenn wir keinen Sommer hätten.
Juan hatte es sich bereits in einer kleinen Sitzecke gemütlich gemacht, neben der direkt ein Fenster lag durch das man in die Halle sehen konnte.
Mein Weg führte mich an einer kleinen Bar vorbei und ich setzte mich ihm gegenüber auf die gepolsterte Bank.

Melli bequemte sich direkt neben mich und öffnete die erste Chips Tüte.
„Nummer 1"
Daraufhin flog die Knabberei auf den Tisch und ich konnte nur noch gerade so verhindern, dass der Inhalt verschüttete.
Schweigend beobachtete ich wie sie auch die zweite Verpackung aufriss und diese ebenfalls auf dem Tisch platzierte.
„Nummer 2"

Juan hangelte direkt nach der Tüte mit den scharfen Chips, während ich auf meinem Platz zusammensackte und Melli dabei beobachtete wie sie ihr Handy zückte und darauf herum tippte.
„Wie fandet ihr das Training heute?"
„Ganz okay"
murmelte ich leise und fing Juan's Blick ein, den er mir zuwarf.
Seine braunen Augen blitzten amüsiert auf.
Ganz okay im Sinne von -der Trainer war nicht so meins- oder Ganz okay im Sinne von -Ich bin nicht zufrieden mit meiner Leistung-?"
„Vielleicht auch einfach Ganz okay im Sinne von Ganz okay?"
grätschte Melli mit einem unbeholfenen Kommentar dazwischen.
Nun musste Juan sich ein Lachen verkneifen und versuchte stattdessen ihr einen spöttischen Blick zuzuwerfen.
„Nein alles gut, es stimmt schon"
winkte ich ab, bevor ich weitersprach.
„Ich war nicht zufrieden mit dem was ich mir zusammen geritten habe"
Nun sah mein gegenüber, mit einem Gewinner Lächeln auf den Lippen, zu meiner Sitznachbarin, die mich bloß empört anstarrte.

„Du spinnst!"
Sie zog die zweite Chips Packung zu sich heran und griff hinein.
„Du bist heute so gut geritten! Die Dummen Zimtzicken sind fast vom Pferd gekippt vor Neid!"
Während sie das sagte, wedelte sie mit ihrem Finger vor meinem Gesicht herum und schob sich kurz nach ihren Worten einen Chip in den Mund.
„Das heißt nichts"
brachte ich hervor und schwieg kurz darauf.

Erinnerungen tauchten in meinem Kopf auf.
Lästernde Menschen die vor Neid fast zersprungen wären und das nur, weil mein Pferd den Kopf unten hatte oder mir den Arsch über einem L Sprung gerettet hat.
All das waren nie Indizien dafür gewesen, dass ich reiten konnte und trotzdem hatten sie mit dem Finger auf mich gezeigt und so getan, als hätte ich mich jemals wie ein Profi aufgeführt der ich nicht war.

Dabei hatte ich niemals ein Wort über mich selbst verloren und war stets selbstkritisch geblieben.
Doch all das, die Selbstzweifel und die schlimmen Gedanken hatten sie nicht gesehen, dennoch unbewusst verschlimmert.

Als Juan merkte das mir dieses Thema auf den Magen schlug, erlosch sein Grinsen und er reichte mir die Tüte in seiner Hand.
„Nino hat sich mit Brezel gut verstanden, vielleicht können wir sie morgen auf einen gemeinsamen Paddock stellen?"
Als er das Thema wechselte, warf ich ihm einen dankbaren Blick zu und lies meine Finger in die Verpackung gleiten.
„Können wir gerne ausprobieren"

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