Prolog

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Ich sprang gerade noch in die U-Bahn, bevor sie am Hauptbahnhof von Stockholm abfuhr.

Keuchend ließ ich mich auf einen freien Sitzplatz fallen und wischte mir den Schweiß von der Stirn.

Ich war tatsächlich durch den kompletten Bahnhof gesaust, nur um diese beschissene U-Bahn noch rechtzeitig erreichen zu können. Mir war zwar klar, dass etwa alle fünf Minuten immer wieder eine U-Bahn hier hielt und ich mich eigentlich nicht hätte abhetzten müssen, aber ich hatte Hunger und meine Mitbewohner erwarteten mich bestimmt schon.

Zum Glück wohnten wir - Smilla, Lasse und ich - nicht weit außerhalb des Stockholmer Zentrums, sonst müssten wir unsere Zeit mit ewigen Zugfahrten vergeuden. Von unserem jetzigen Wohnort waren es nicht einmal zwanzig Minuten bis in die Innenstadt.

Ich wohnte inzwischen seit drei Jahren zusammen mit Smilla und Lasse in einer kleinen, aber gemütlichen Wohnung in Schweden.

Smilla zog in der vierten Klasse aus Dänemark her, weil ihr Vater ein gut bezahltes Jobangebot bekommen hatte, welches er natürlich annahm.

Anfangs verstanden wir uns überhaupt nicht, weil wir beide in Lasse verknallt waren und uns ständig anzickten - Grundschul-Probleme eben. Irgendwann sah ich ein, dass Lasse für mich niemals mehr als mein bester Freund sein würde. Von dort an wurden Smilla und ich unzertrennlich.

Lasse kannte ich schon seit dem Kleinkinderalter, damals hatten wir zusammen im Sandkasten Löcher gebuddelt.

Uns war irgendwie schon immer klar gewesen, dass wir mal zusammen ziehen wollten. Erstens, weil wir nunmal die besten Freunde seit Ewigkeiten waren und zweitens weil Lasse ein klasse Koch ist und ich hingegen überhaupt nicht kochen oder backen konnte. Wie sollte ich mich selbst versorgen, wenn ich Lasse nicht gehabt hätte?

Wahrscheinlich würde ich die ganze Zeit Fastfood in mich hineinstopfen. Während ich über Lasses Kochkünste nachdachte, knurrte mein Magen nur noch mehr.

Ich zerrte mein Handy aus der Tasche und schrieb Smilla eine Nachricht: Hat Lasse gekocht? Sofort kam eine Antwort. Anscheinend stand Lasse gerade in der Küche und bereitete Pasta vor. Ich hatte das Gefühl, mein Magen würde gleich aus meinem Bauch springen, so stark knurrte er nun.

Ich sah auf die Uhr, in etwa einer viertel Stunde würde ich zu Hause sein. In dieser Zeit könnte ich zumindest meine Mails checken. Doch leider sprang die Anzeige meines Akkus genau da auf null, als ich gerade mein Postfach öffnete. Mein Handy schaltete sich ab und ich steckte es genervt in meine Jackentasche zurück.

Meine Armbanduhr zeigte 19:43 Uhr, in zehn Minuten würde die U-Bahn an der Station halten, an der ich aussteigen musste.

Ich sah mich um und beobachtete ein paar Leute, das war wahrscheinlich der spannendste Zeitvertreib in einer vollen U-Bahn. Rechts von mir diskutierte ein blondes Mädchen mit seiner Mutter. Ich spitzte die Ohren.

"Aber ich will bei ihm übernachten!", schrie das Mädchen. "Nein, verflixt! Zum letzten Mal! Du schläfst nicht bei Fynn!", damit wollte die Mutter das Gespräch beenden, aber das Mädchen ließ sich nicht so leicht abwimmeln.

"Aber Mom! Er ist mein Freund und ich will verdammt nochmal bei ihm übernachten!" Lustig. Dieses Mädchen war vielleicht vierzehn und obwohl ich sieben Jahre älter war, hatte ich noch nie einen Freund gehabt. Die Jugend wurde anscheinend tatsächlich immer frühreifer.

"Nein! Du wirst nicht bei ihm übernachten! Und wenn du jetzt noch weiter diskutierst, dann hat das Konsequenzen, meine Liebe!" Die Mutter des Mädchens hatte sich nun wieder hysterisch zu Wort gemeldet. Dieses wollte etwas erwidern, jedoch machte seine Mutter eine mahnende Handbewegung, um bekannt zu geben, dass die Diskussion jetzt beendet war.

Das Mädchen warf darauf eingeschnappt seine Haare nach hinten und starrte aus dem Fenster auf die kahlen Wände der U-Bahn-Tunnel.

Ich wandte mich von der Mutter und dem Mädchen ab und guckte stattdessen einem mittelgroßen Typen dabei zu, wie er sich an einer Haltestange festklammerte um nicht zu fallen. Er stolperte regelrecht und ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht laut loslachte.

Die meisten Menschen, die mit der U-Bahn fuhren, waren die wackelige Fahrt gewohnt, aber dieser Typ fuhr anscheinend nicht oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Ob er aus dem Ausland kam? Ich lauschte und schnappte ein paar Schimpfwörter auf Schwedisch auf. Er war also doch kein Ausländer, sondern ein stinknormaler, fluchender Schwede.

Ich würde zu gerne mehr von ihm als nur seine Statur sehen, aber leider trug er einen blauen Kapuzenpulli, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Das Einzige, was ich erkennen konnte, waren ein paar wuschelige, schwarze Haarsträhnen, die darunter hervorlugten.

Es war wirklich witzig, dem Kerl beim Stolpern zuzusehen, doch die U-Bahn hielt an der Station, an der ich aussteigen musste. Ich verließ sie stracks und lief die Treppen hinauf an die frische Luft.

Mein Hungergefühl war nun wieder sehr intensiv geworden und ich konnte es kaum erwarten, endlich Lasses Pasta zu kosten. Deshalb ging ich schnellen Schrittes, nein, ich rannte förmlich, nach Hause. Smilla öffnete mir die Türe.

Ich zog meine Schuhe aus, schmiss meine Jacke auf die Couch und setzte mich an den Küchentisch. Lasse stellte einen Teller Pasta vor mich und ich schlang gierig gleich mehrere Bissen hintereinander hinunter.

"Willst du nicht einmal 'Hallo' zu uns sagen?", fragte Smilla vorwurfsvoll, während sie sich mir gegenüber niederließ. "Hallo", nuschelte ich mit vollem Mund. "Haha, sehr lustig." Smilla überdrehte wegen meiner Ironie die Augen und nahm Lasse den vollen Teller aus der Hand, den er ihr entgegen streckte.

Darauf setzte auch er sich an den Tisch und begann zu essen. Wenige Minuten später hatten wir alle leere Teller vor uns stehen und die köstliche Pasta in unseren Mägen.

"Gibt's Neuigkeiten aus Stockholm?" Lasses blaue Augen funkelten mich neugierig an. "Nicht wirklich, alles beim Alten. Naja, bis auf das neue Cafe im Zentrum. Dort gibt es übrigens sehr leckere Donuts", erzählte ich. "Cool, werde ich mal probieren."

Lasse erhob sich und räumte unsere Teller weg. Smilla und ich standen ebenfalls auf, sie ließ sich auf die Couch plumpsen und schaltete die Nachrichten an.

Ich machte es mir neben ihr gemütlich und sah der Moderatorin dabei zu, wie sie mit emotionsloser Miene das Wetter verkündete.

Gelangweilt sah ich auf mein Handy, welches ich vorher angesteckt hatte, damit sich der Akku wieder auffüllte, und checkte meine Nachrichten. Ich war total vertieft in den Chat mit einer Freundin, als Smilla auf einmal losquiekte und zum Fernseher hüpfte.
Ich dachte, sie hätte irgendeinen unbegründeten Arenalinkick gehabt oder sowas und würde gleich wieder ruhig sein, aber das Quieken mutierte über zu einem Kreischen.

Ich blickte schockiert von meinem Display hoch und starrte in das hochrote, grinsende Gesicht von Smilla, welche auf mich zu tanzte.

"Was ist denn los? Warum kreischt du so rum?", Lasse hatte den Lärm auch mitbekommen und stand plötzlich neben mir.

"ER. KOMMT. NACH. STOCKHOLM.", Smilla konnte nicht mehr normal atmen und sprang aufgedreht über das Parkett. "Wer denn?" Ich zog verständnislos die Augenbrauen nach oben.

"ERIC! ERIC SAADE!", schrie Smilla. "Ist das irgendein Superstar?" Ich verstand immer noch nicht ganz.

"NEIN! NICHT IRGENDEIN SUPERSTAR! ER IST DER BESTE SÄNGER AUF ERDEN! UND ICH BRAUCHE DRINGEND KARTEN FÜR DAS KONZERT IN STOCKHOLM! JETZT! SOFORT!" Smilla war vollkommen außer sich.

Sie flitzte zum Computer und öffnete das Internet, höchstwahrscheinlich um Karten zu bestellen.

Lasse und ich grinsten uns gegenseitig an. "Fangirls eben", meinte ich lachend. "Ich geh mal nach der Post schauen."

Immer noch grinsend verließ ich die Wohnung und holte die Briefe, die in unserem Briefkasten lagen. Dann ging ich wieder rein und sah nach, von wem diese abgeschickt wurden.

Als ich den Namen eines gewissen Absenders las, stockte mir der Atem. "Oh mein Gott", wisperte ich nervös, "Das ist unmöglich."

Radio High || Eric SaadeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt