Kapitel 16

1.6K 96 24
                                    

Es war früh am Morgen, als Legolas zusammen mit Anoriell den Palast verließ, um in den Wald zu gehen. Für Thranduil bedeutete das einen Tag Zeit, den er nicht in Trauer verbringen würde, sondern sich um sein Königreich kümmern würde. Er kleidete sich in ein silbernes Gewand und verlangte nach Túrwaith. Der Elb ließ nicht lange auf sich warten und kam zu Thranduils Gemächern.
„Mein Herr, ihr habt nach mir verlangt." „In der Tat, kommt herein." Die Tür öffnete sich und Túrwaith trat ein. „Ich habe die königlichen Geschäfte schon viel zu lange warten lassen, es wird Zeit sich wieder darum zu kümmern", sagte Thranduil sachlich. Er saß an seinem Tisch und sah sich diverse Unterlagen durch, die man für ihn hinterlassen hatte. Túrwaith war sichtlich erleichtert, diese Worte von seinem König zu hören. „Sehr wohl, mein Herr. Es gibt einige dringende Angelegenheiten zu klären." „Ich schätze eine Besprechung würde uns schneller voran bringen wie alle diese Berichte." Thranduil blickte auf und sah Túrwaith fragend an. „Wir haben uns die Freiheit genommen, uns um einige Dringlichkeiten teilweise zu kümmern. Ich denke eine Besprechung wäre von Vorteil um das weitere Vorgehen zu klären."
Sie haben diese Entscheidungen ohne mich getroffen? Zuerst war Thranduil empört, aber dann wurde ihm klar, dass es nicht anders möglich gewesen war. Er hatte sich zurück gezogen und keine Entscheidungen fällen wollen. „Suche die verantwortlichen Personen für heute Abend zusammen. Ich möchte mich heute darum kümmern. Und ich möchte vorerst nur die wichtigen Dinge klären, damit sind wir vermutlich lange genug beschäftigt." Túrwaith nickte. „Ich bereite alles vor." „Ich möchte so früh anfangen wie möglich. Sobald alles bereit ist, informiert mich bitte." „Sehr wohl, mein Herr." Thranduil winkte mit der Hand und entließ ihn damit. Túrwaith verließ den Raum und schloss leise die Tür.
Jetzt hatte er den ersten Schritt hinter sich gebracht. Aber das schwierigste stand ihm noch bevor. Er sah sich die Berichte nicht noch einmal an. Das wäre vermutlich nur Zeitverschwendung , da er die wichtigen Sachen heute noch erfahren würde. Stattdessen dachte er an Legolas. Er hoffte, dass sein Sohn wenigstens etwas Spaß hatte und für eine Weile seine Mutter vergessen oder nicht an sie denken konnte.
Kurz nach Mittag kam Seanis zu Thranduils Gemächern und informierte ihn darüber, dass die Besprechung nun vorbereitet war und nur noch der König selbst fehlte. Dieser machte sich sofort auf den Weg in einen Raum nahe dem Thronsaal. Er war schnell zu erreichen und mit einem großen Eichentisch ausgestattet damit genug Elben Platz hatten. Saenis folgte ihm. „Kann ich euch etwas bringen, mein Herr? Eine Erfrischung vielleicht? Wollt ihr etwas zu euch nehmen?", fragte sie bevor sie den Raum erreichten. „Bitte bringe uns Getränke. Mehr nicht, danke." Sie nickte und bog kurz vor dem Raum in eine Nische ein.
Die Türen standen offen und einige Elben saßen im Raum während andere in kleinen Gruppen zusammen standen und miteinander sprachen. Kaum bemerkten sie den König verstummten sie alle und verbeugten sich um ihren Respekt zu bezeugen. Thranduil nahm Platz woraufhin sich alle anderen setzen. An der Tür standen zwei Wachen, die die Türen schlossen. Mehr Bewachung war nicht nötig, da Thranduil von treuen Kriegern umgeben waren, die ihn mit ihrem Leben verteidigen würden. Auch gegen mögliche Verräter innerhalb der Gruppe. Auch wenn das natürlich noch nie geschehen war.
„Ihr wisst alle, weshalb wir uns versammelt haben. Ich möchte die Berichte in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit hören und Lösungsvorschläge sind immer willkommen." Er faltete die Hände vor seinem Oberkörper und lehnte sich zurück. Er war angespannt. Normalerweise war er das bei Besprechungen nie, aber es kam ihm fast vor, als hätte er noch einmal seinen ersten Tag als König.
Zuerst wurde von den Orks berichtet, die die Schlacht überlebt hatten. Sie hatten die meisten von ihnen töten können, aber einige hatten sich in die Nebelberge gerettet. „Nun, dort sind sie gut aufgehoben. Die Berge sind weit genug entfernt und Orks meiden das Tageslicht. Sie werden sich dort einnisten oder weiterziehen." „Mein Herr, sie könnten sich verbreiten und die Berge besiedeln." „Das ist nicht unser Problem." „Und wenn sie sich rächen wollen?" Thranduil konnte über diesen Kommentar nur schmunzeln. „Selbst wenn sie sich dort ansiedeln sollten. Es wird sie viele Jahre kosten um sich zu verbreiten. Orks vermehren sich nicht wie Menschen. Sie werden sich nicht mehr erinnern und falls doch, werden sie nicht riskieren noch einmal zu verlieren." Einige stimmten Thranduil zu, andere wiederum nicht. Aber das war ja immer so.
„Solange sie unsere Grenzen nicht überschreiten, sind nicht mehr unser Problem. Wir werden sie nicht in den Bergen angreifen. Dort sind sie überlegen und würden unnötige Tode verursachen. Hier sind wir vor ihnen sicher und werden keine weiteren Probleme haben. Ich denke die Lage ist klar." Jetzt widersprach keiner mehr. Zum einen waren die Argumente recht stichhaltig und zum anderen wagte es keiner zu widersprechen, wenn der König von Tod sprach. Nicht unter den jetzigen Umständen. „Damit wäre dieser Vorfall geklärt", sagte Túrwaith nur, „Ich habe einen weiteren beunruhigenden Bericht. Wir haben Schwierigkeiten mit dem Handel mit den Menschen östlich des Grünwaldes."
Und so ging es noch viele Stunden weiter, in denen mehr oder weniger wichtige Angelegenheiten geklärt werden mussten. Einige waren einfach, andere recht kompliziert und manchmal war auch nur ein Bericht dabei. Wie der, der von Durchreisenden erzählte, die den Grünwald durchquert hatten. Die Sonne sank tiefer und bald ging sie unter. Thranduil fragte sich, ob Legolas zurück war. Natürlich würden sie ihn nicht hier herbringen und die Besprechung stören,dafür würden sie es tun ,wenn Legolas etwas geschähe. Er war also vollkommen sicher. Thranduil atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf seine Krieger. Seine Konzentration hatte mittlerweile sehr gelitten, genauso wie seine Motivation.
„Saenis, bring uns Wein. Damit redet es sich besser." Ein oder zwei Gläser Wein konnten nicht schaden.Sie lockerten nur etwas die Zungen und Gemüter. Die anderen Elben hielten das ebenfalls für eine gute Idee, also brachte Saenis jedem Wein. Damit ließ sich die Versammlung besser durchstehen.
Es dauerte nicht mehr lange, da waren alle Dinge vorerst geregelt, auch wenn einiges noch mit Verantwortlichen geklärt werden musste und Handelsprobleme ließen sich nicht in einer Nacht lösen. Aber damit würde er sich in den nächsten Tagen befassen.
Als Thranduil endlich den Raum verlassen konnte, kam er doch nicht umhin, Legolas noch einmal zu besuchen. Vielleicht war er noch wach und wenn nicht konnte er sich immer noch versichern, dass es ihm gut ging.
Er betrat den Raum und hörte sofort eine sanfte Stimme singen. Er kannte das Lied. Melleth...Aber wie ist das möglich? Er rauschte durch den Raum in das Schlafzimmer und am Bett saß sie. Sein Herz setzte aus. Wie konnte sie dort sitzen und seinem Sohn ein Schlaflied singen. Ihr langes dunkles Haar fiel ihren Rücken herab, aber es war nicht ihr Haar. Er erkannte, dass es Anoriell war. Die selben dunklen Haare, aber doch anders. Ihre Stimme, aber doch einen Hauch anders. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Der Schock saß im noch in den Knochen. Einen winzigen Moment hatte er tatsächlich gedacht, sie wäre hier. Wie absurd. Sie würde niemals wieder zurück kommen.
Er lehnte sich einfach gegen die Wand und lauschte Anoriells Stimme, die Legolas ein Schlaflied vorsang. Melleth hatte es auch immer gesungen. Sie musste es von ihrer Mutter kennen, was natürlich Sinn gab. Woher auch sonst? Es beruhigte ihn langsam und irgendwann schlug sein Herz wieder in einem normalen Tempo. Das Gefühl, sie zu vermissen, war allerdings viel größer geworden und wollte nicht abebben.
Anoriells Stimme verstummte. Thranduil öffnete die Augen und sah sie an. Sie schaute Legolas zu, der anscheinend eingeschlafen war. Er sammelte sich und richtete sich auf, bevor er sich räusperte und damit bemerkbar machte. „Thranduil, ich wusste nicht, dass ihr her kommt." „Ich wollte meinem Sohn eine gute Nacht wünschen, aber das hast du mir schon abgenommen." „Tut mir Leid -" „kein Grund sich zu entschuldigen", unterbrach er, auch wenn er normalerweise niemanden unterbrach. Er wollte nur keine Entschuldigungen hören. „Es ist gut, dass er dieses Lied noch einmal hören konnte. Ich glaube, ihr könnt ihn besser zum Einschlafen bringen als Ich." Anoriell lächelte und stand vom Bett auf. Sie verließen das Gemach, damit Legolas in Ruhe schlafen konnte.
„Ihr seid sein Vater, ich denke ihr könnt es doch besser als ich." „Seine Mutter hat ihn stets zu Bett gebracht." Anoriell lächelte wissend, als ob sie es besser wüsste. „Mag sein, aber ihr seid immer noch sein Vater. Und er braucht euch viel mehr als mich. Er konnte schlafen, weil er das Lied seiner Mutter gehört hat." Thranduil zweifelte weiterhin und Anoriell schien das zu merken. „Er hat nach euch verlangt. Er wollte nicht alleine schlafen. Aber ich wollte euch nicht ihn eurer Besprechung stören, also habe ich ihm dieses Lied gesungen. Ich hatte gehofft, dass Melleth es auch gesungen hat." Ihren Namen ausgesprochen aus einem Mund zu hören verlieh seinem Herzen weiterhin einen kleinen Stich.
„Da hat sie." „Das dachte ich mir." Sie schwiegen und gingen durch den Palast. Thranduil konnte kaum glauben, dass sein Sohn wirklich nach ihm verlangt haben soll. Er hatte ihn nie besonders gut in den Schlaf gebracht und er würde es auch in den nächsten Tagen nicht tun können. Er musste sich um sein Königreich kümmern und das verlangte viel seiner Zeit. Und doch, Legolas hatte nach ihm gefragt. Er beschloss, in wenigstens abends zu sehen. Wenigstens einmal am Tag seinen Sohn sehen, zu seinem Besten.
„Und wie hat Legolas der Tag gefallen?", fragte er beiläufig. „Gut, denke ich. Er hat viel gelacht und ich denke, dass ist eine Bereicherung." Thranduil lächelte. Das war gut. Ein Kind sollte nicht lange traurig sein. „Das ist es. Es wäre mir eine Freude, wenn ihr länger bleiben würdet." „Verzeiht, aber ich kann nicht lange bleiben", sagte Anoriell bedauernd. „Natürlich, das verstehe ich vollkommen." „Ich werde natürlich noch ein paar Tage bleiben und mich gerne um Legolas kümmern." Thranduil nickte dankbar. Bei Anoriell war er gut aufgehoben. Wahrscheinlich sogar besser als mit Erynon, denn sie verband etwas.
„Dann könnt ihr euch morgen um ihn kümmern? Ich würde euch auch einen Elben zu Seite stellen, der mit Legolas vertraut ist", fragte er. „Sehr gerne." Er nickte und atmete tief durch. „Möchtet ihr noch etwas essen oder trinken?" „Nein, danke vielmals. Ich habe mit Legolas zu Abend gegessen. Ich würde gerne auf mein Zimmer gehen." „Natürlich, ich begleite euch." Thranduil brachte Anoriell auf ihr Zimmer und kehrte danach in sein eigenes zurück. Heute war es anders als all die Tage. Er ging nicht zu Bett und dachte eine Nacht voller schmerzhafter Erinnerungen. Er ging stattdessen ins Bett und konnte voraus sehen, auf seine Zukunft, die seines Königreiches und Legolas'. Es war fast wie früher, wie der Alltag, nur begleitet von einer Leere in seinem Herzen, die er wohl niemals würde füllen können. Aber er würde damit leben können, denn ein Teil seines Herzens war noch am Leben und schlug für seinen Sohn. Und solange dieser Teil noch schlug, war er lebendig und hatte Grund nach vorne zu sehen.

The Stars in your heart (Thranduil Legolas ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt