Kapitel 22

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Thranduil warf einen Blick auf die Lichtung und sah schon alles, was er wissen musste: Legolas war nicht hier. Das hieß, sie versteckten ihn. Wollten diese Menschen seinen Sohn etwa nicht hergeben? Sollte das der Fall sein, waren sie dümmer, als er angenommen hatte. Thranduils Volk war deutlich in der Überzahl und würde sie schnell beseitigen. Aber immerhin griffen sie nicht an, noch zogen sie ihre Waffen. Stattdessen trat ein Mann vor mit dunklen schulterlangem Haar und einer Narbe am der linken Schläfe.

„Seid gegrüßt, König der Waldelben", grüßte er und neigte den Kopf. Alagos beugte sich näher zu Thranduil. „Dieser Mann ist anscheinend ihr Diplomat. Er hat bereits mit uns verhandelt." Thranduil nickte. „Ich nahm an, dass ihr mit mehr Verstärkung kommen würdet, aber es erfreut mich, dass ihr zum Verhandeln und nicht zum Kämpfen hier seid, wie mir scheint." Thranduil hatte bis auf Alagos und zwei weitere Elben, alle in die Bäume geschickt um, wenn nötig, von oben anzugreifen. Damit hatten sie einen Vorteil und würden weniger Verluste machen. „Täuscht euch nicht. Ich bin hier, um jemanden mitzunehmen, der nicht in eure Reihen gehört. Und sollte ich es gewaltsam tun müssen." Der Mann nickte. „Natürlich, ihr meint sicher das Kind. Legolas." Thranduil nickte. „Ihr leugnet es nicht einmal. Gut. Dann gebt ihn heraus."

Der Mann wirkte auf einmal sehr nervös. „Ihr müsst wissen, mein Kommandant will mit euch verhandeln." „Verhandeln?" Thranduil schnalzte mit der Zunge. „Es gibt nichts zu verhandeln. Gebt ihn heraus, wenn euch euer Leben lieb sind." Der Mann warf einen kurzen Blick nach oben und wieder zu Thranduil. Dieser lächelte. Der Mann hatte erkannt, dass Thranduil nicht alleine hergekommen war und er hier nicht in der Position war, Drohungen zu machen. Er wusste, dass er umzingelt war. „Natürlich. Nur, der Junge ist bei ihm. Wollt ihr mir folgen?" „Damit ihr mich in einen Hinterhalt lockt? Oder wollt ihr ihn mir gefesselt und geknebelt präsentieren?", fragte Thranduil ruhig. „Ich verlange, dass sie herkommen." Zum ersten Mal sah der Mann wütend aus, anstatt nervös. Er wurde ungeduldig. „Dann müsst ihr lange warten." „Ich habe Zeit."

Der Mann drehte sich um und verschwand in der Menge. Thranduil ignorierte die anderen Menschen. Sie sahen ihn alle grimmig an, aber das störte ihn nicht. „Mein Herr, es scheint, als wollte sie nicht kampflos aufgeben." „Das sehe ich auch. Aber sie werden keine Wahl haben." Thranduil hatte schon oft genug verhandelt und er wusste, wie Menschen waren. Sie blieben kampflustig bis zum Ende, aber sie gaben nach, wenn es sein musste. Sie waren oft in kleinen Gruppen unterwegs und meistens konnten sie keine Hilfe anfordern, die rechtzeitig kam.

Nach einiger Zeit öffnete sich die Menge erneut und der Mann trat ihnen entgegen. Doch als er zur Seite trat, wurde der Blick auf Legolas frei. Er war weder gefesselt noch misshandelt worden. Er hatte sogar noch seinen kleinen Bogen bei sich. „Ada!", rief er erleichtert und rannte auf Thranduil zu. Niemand hielt ihn auf. Mit einem breiten Lachen und ausgestreckten Armen lief er zu Thranduil. Dieser drückte ihn kurz an sich, aber wandte seine Aufmerksamkeit dann den Menschen zu. „Alagos, nimm Legolas", flüsterte er noch. Hinter Legolas war ein weiterer Mann hervor gekommen. Älter und grimmiger als der erste. „Wir haben euch das Kind gebracht. Unversehrt und gesund." „Eine weise Entscheidung. Ich danke euch." Alagos hatte Legolas zu sich gezogen und hielt ihn beschützend fest. „Nun, was haben wir von eurem Dank?", fragte der Anführer. „Wir werden euch sicheres Geleit durch den Wald sichern. Viel mehr nicht, denn ihr hättet den Jungen nicht erst festhalten müssen." „Wir haben ihn mitten in der Nacht gefunden. Verirrt und verlassen. Es war euer Fehler, nicht unser Verhalten." „Ihr wagt es, mich zu beschuldigen?" „In der Tat. Ihr könnt auf eure Kinder nicht aufpassen. Das ist nicht unsere Schuld." Am liebsten hätte Thranduil seine kleine Truppe genommen und sie alle getötet. Aber das war natürlich nicht möglich und auch nicht besonders klug.

„Was erwartet ihr denn, Mensch?" „Wir wollen eine Belohnung. Wir hätten ihn auch töten können." „Das hättet ihr, aber damit hättet ihr euren eigenen Tod verursacht. Erwartet keine Belohnung, bloß weil ihr nicht das Falsche getan habt." „Also haben wir auch nicht das Richtige getan?" „Nein. Ihr habt ihn nicht dorthin gebracht, wo er hingehört." Der Mann durchbohrte ihn mit seinen Blick. Sie wussten beide, dass er es nicht wagen konnte, anzugreifen. „Ihr solltet besser weiterziehen. Solange ich euch noch gut gesinnt bin." Thranduil drehte sich um und verließ die Lichtung. Es war alles gesagt. „Das ist also die berühmte Gastfreundschaft der Elben!", rief der Mann ihm wütend hinterher. Thranduil blieb stehen, ohne sich umzudrehen. Nur seinen Kopf drehte er leicht zur Seite, damit sie ihn besser verstanden. „Und das ist also die berühmte Dreistigkeit der Menschen." Er ging, ohne sie weiter zu beachten.

The Stars in your heart (Thranduil Legolas ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt