Kapitel 27

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~Einige Jahre später~

Legolas stand in seinem Zimmer und griff nach seinem Bogen. Heute war ein Tag wie jeder, und doch war er anders. Es war nun mehrere hundert Jahre her, dass seine Mutter gestorben war und doch musste er mit einer Heftigkeit an sie denken, die ganz und gar ungewöhnlich war. Es gab keinen Anlass dazu, was ihn umso mehr verwirrte. Vielleicht war sie es, die an ihn dachte, vielleicht sogar hier war und er konnte es spüren. Es wäre nicht das erste Mal.

Sein Blick fiel auf eine Kommode, die bei seinem Bett stand. Darauf lag ihre Kette, die sein Vater ihm einmal geschenkt hatte. Er erinnerte sich nicht mehr daran, aber er erinnerte sich an die Worte, die er damals gesagt hatte. Natürlich trug er die Kette nicht, aber er hatte sie immer bei sich, denn es war das einzige, was er mit seiner Mutter verband. Es gab kaum Erinnerungen, die er an sie hatte, ein paar vereinzelte, so verschwommen, dass er nicht einmal sicher war, ob es Erinnerungen oder viel mehr Träume waren.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Was auch immer dieses Gefühl war, weshalb er an sie denken musste, er schüttelte es ab. Es würde ihn nur stören. Stattdessen schnallte er seinen Bogen auf den Rücken und verließ das Zimmer ohne einen Blick zurück. Es brachte nichts, Erinnerungen hinterher zu hängen. Er hatte schon lange verstanden, dass sie fort war und er sie, wenn überhaupt, sehen würde, wenn er selbst tot war. Und das konnte noch einige Zeit dauern. Er war noch jung, auch wenn er sich selbst alt fühlte und es in Menschenjahren gewiss war.

Er ging mit zügigen Schritten durch die Flure und grüßte die einige Bekannte mit einem Nicken, als er an ihnen vorbei kam. Die meisten im Palast waren Bedienstete, die er kaum eines Blickes würdigte. Sie waren immer hier und sie erwarteten auch nicht, dass man sie grüßte. Seine Füße trugen ihn leichtfüßig durch den Palast in dem Thronsaal, wo er seinen Vater vermutete. Als er eintrat, stand sein Vater tatsächlich von einer Reihe von Kriegern umrahmt und schien ihnen zuzuhören. Vermutlich irgendwelche Berichte über Spinnen oder sonstige gefährliche Kreaturen, die ihnen in letzter Zeit das Leben schwer machten.

Etwas Böses wuchs im Wald heran, das hatten sie schon lange bemerkt. Und mit ihm kamen Kreaturen, die nur Böses im Sinn hatten. Aber sie konnten sie gut im Schach halten und bisher gab es keinen Grund, sie als längerfristige Bedrohung zu sehen.

„Hier ist ja unser Meisterbogenschütze", sagte eine leise Stimme neben ihm. Er musste sich nicht umdrehen, um zu sehen, wer das war. „Guten Morgen, Alagos. Gibt es irgendetwas Neues?", fragte Legolas. „Nein, nicht das ich wüsste. Das Übliche." Legolas nickte. Das hatte er vermutet. „Sie reden über euch", informierte Alagos ihn. „Über mich?", fragte Legolas überrascht. Er hatte sich die Krieger bisher nicht genauer angesehen aber jetzt tat er es und erkannte sie schnell. „Ja. Wie ihr euch macht." „Entschuldigt mich", sagte Legolas und ging die Treppen hinunter zu seinem Vater. Die Krieger waren fertig mit ihren Berichten und waren abgezogen.

„Ah, mein Sohn, gut, dass du hier bist", sagte Thranduil und sah ihm entgegen. „Vater." „Wir haben uns gerade nur über dich unterhalten. Nun, wo du das Kommando über die Grenzer hast." Legolas nickte. Er wirkte sehr angespannt. Doch sein Vater lächelte. „Und wie ich höre, machst du dich sehr gut." Legolas atmete erleichtert auf. „Die Aufgabe scheint dir gut zu liegen." „Ich habe meine Zeit schon immer lieber im Wald als im Palast verbracht", sagte Legolas und zuckte mit den Schultern. Er wusste noch, dass er als Kind nur selten in den Wald hatte gehen dürfen. Nun verbrachte er umso mehr Zeit dort.

„Ich weiß", sagte Thranduil und lächelte traurig, denn in diesem Moment erinnerte Legolas ihn sehr an seine verstorbene Frau. Sie war auch immer im Wald gewesen. Die Natur war ihr wichtiger als alles andere gewesen und er sah dieselbe Liebe in Legolas.

Legolas war ein bisschen verwirrt durch dieses abwesende, traurige Lächeln seines Vaters und räusperte sich. „Ich werde nun gehen, wenn das in Ordnung ist." „Natürlich, Ich werde dich nicht länger aufhalten, du hast noch einige Aufgaben vor dir." Legolas nickte und machte sich sofort auf den Weg. „Aber eins möchte ich dir noch sagen", rief Thranduil streng. Legolas drehte sich um und erwartete wie so oft einen Tadel zu bekommen. „Ich bin sehr stolz auf dich, Legolas."

Der junge Elbenprinz war darüber sehr überrascht. Er hatte kein Lob erwartet, nicht von seinem Vater. Er war immer sehr streng mit ihm und er konnte ihm das nicht verübeln. Als Prinz musste er viel lernen, viel mehr als die meisten anderen seines Alters und die Kunst des Kämpfens zu erlernen war nur ein kleiner Teil. Auch wenn er natürlich stetig dran blieb und nicht aufgab. „Vielen Dank, Vater", sagte Legolas und meinte es auch so. Thranduil neigte den Kopf und Legolas drehte sich um und machte sich auf den Weg. Dabei dachte er sich, dass sein Vater heute irgendwie anders war. So nostalgisch. Ganz unpassend zu seinem sonstigen souveränen Auftritt. Aber das schob er aus seinem Kopf und konzentrierte sich auf seine kommenden Aufgaben.

Thranduil sah ihm hinterher und lächelte. Trotz all seiner Bedenken und Schwierigkeiten war Legolas letztendlich zu einem großartigen Elben herangewachsen und jeden Tag war er stolz auf ihn. Er wusste, dass er das nicht oft sagte und meistens keine Zeit hatte, um mit ihm ein Gespräch zu führen, dass sich nicht um die Grenzen und das Königreich drehte. Aber konnte wirklich nicht stolzer sein. Er wünschte bloß, dass Melleth dabei sein könnte. Ihren gemeinsamen Sohn aufwachsen sehen könnte. Das erleben könnte, was er erlebte. In so vielen Dingen war Legolas ihr so ähnlich, es war erstaunlich. Nicht sein Aussehen, aber seine Charakterzüge. Und er hatte ihr Lächeln. Ein verhaltenes, aber warmes Lächeln, das aus den Augen und aus dem Herzen kam.

~

Thranduil stand im Wald, um ihn herum fielen Blätter von den Bäumen und eine goldene Herbstsonne schien durch das farbenfrohe Blätterdach. Er war an einen Ort zurückgekehrt, den er eigentlich nicht wieder hatte besuchen wollen. Es war Melleths Grab. Ein zweites und letztes Mal war er hergekommen.

Es war nun Jahrhunderte her, dass er sie verloren hatte, aber nicht so lange, dass er sie vergessen konnte. Er sprach normalerweise nicht von ihr und wollte nicht an sie denken, aber heute war es anders. Er stand vor dem Grab. Es war anders, als vor all den Jahren. Der Stein war an den Ecken zerbrochen und Efeu wuchs darüber, hielt die losen Teile beisammen und schütze den Stein vor jeglicher Einmischung. Auch wuchsen weiße Wildblumen an den Rändern und der Boden sowie der Stein waren mit Blättern bedeckt. Nur die ungewöhnliche, nicht natürliche Form des Steins erinnerte daran, dass dies hier ein Grab war.

Aber Thranduil erfüllte es mit Freude. Er wusste, so hätte es Melleth gefallen. Eins mit der Natur zu sein. Sie war immer mit der Natur in Verbindung gewesen und jetzt war sie es wahrlich. Er trat näher und zog vorsichtig ein paar Efeuranken beiseite und wischte Erde und Dreck von dem kleinen Stück, dass er freigelegt hatte. Er wollte den Stein fühlen. Den Stein, den sie auch berührte. Er war kalt und leblos. Natürlich war er das, es war ein Stein. Thranduil trat einen Schritt zurück und kam sich dumm vor, aber er bereute es nicht, hergekommen zu sein. Hier fühlte er sich ihr näher und nach all den Jahren war es ein angenehmes Gefühl. Ein dumpfer Schmerz, den er fast schon nicht mehr spürte.

Er hob den Blick in den Himmel. Den unendlichen weiten Himmel. Er fragte sich wieder einmal, ob sie ihn sehen konnte, ihren Sohn sehen konnte. Ob sie wusste, wie er aufwuchs und wie er jetzt war. Er wusste nicht genau, wie ihre Augen jedes Mal gestrahlt hatten, wenn sie ihren Sohn angesehen hatte. So liebevoll, dass es Thranduil jedes Mal glücklich gemacht hatte. Vielleicht sah sie ihn genau jetzt an, mit diesem liebevollen Blick und war stolz auf ihn.

Er schloss die Augen und ein Lächeln entsprang seinen Lippen. Die friedliche Atmosphäre ergriff auf ihn und machte es ihm möglich, mit ihrem Verlust abzuschließen und es zu akzeptieren, so wie es war.

Thranduil öffnete die Augen, drehte sich um und verließ den Ort nun endgültig.

~Ende~

Gi Suilon (ich grüße euch) Mellyn,

das ist wohl das letzte Mal, dass ich euch so begrüße. Ich hoffe, euch hat diese Fanfiktion gefallen und es war mir eine Freude sie geschrieben zu haben. Es hat mir viel Spaß gemacht und jeder Vote und jeder Kommentar haben mich immer wieder aufs Neue erfreut. Gi fael (Danke)! Ich habe dieses Kapitel einer Person gewidmet, weil sie mir immer sehr schöne Kommentare geschrieben hat und wirklich wirklich dankbar bin für diese Worte. Also dann, Novaer (Auf wiedersehen),

~Isilórë~

The Stars in your heart (Thranduil Legolas ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt