30. Verdammt, ist das kitschig

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Es vergehen Wochen. Irgendwann ist wieder ein Monat herum und wir warten immer noch auf den schon heiß ersehnten Brief von Dr. Shirvington in dem endlich stehen soll, ob ein Spenderorgan für Reece zur Verfügung steht. Wir brennen alle darauf endlich diesen Brief im Briefkasten vorzufinden.

Die Zeit vergeht schnell. Der Winter ist inzwischen schon angebrochen und der erste Schnee fällt auf die Erde und bedeckt die Straßen unter seiner ellenlangen, unschuldig-weißen Decke. Ich kann nicht glauben, dass ich schon fast ein halbes Jahr lang hier bin. Und erst recht nicht, dass Reece und ich bereits über zwei Monate zusammen sind und uns immer noch so lieben wie am ersten Tag. Es mag sich kitschig anhören, aber es entspricht der Wahrheit.

Leider ist nicht alles so schön, wie es vielleicht auf den ersten Blick auf andere wirken mag. Wir sind glücklich, aber trotzdem wirft Reeces Krankheit, ob wir wollen oder nicht, einen dunklen Schatten auf unsere ach-so-schöne Beziehung und Zweisamkeit.

Denn inzwischen gibt es keinen Tag, an dem ich nicht mindestens einmal daran erinnert werde. Spätestens dann, wenn ich Reeces Blick bemerke, wenn er denkt, dass ich nicht hinschauen würde. Diese Angst in seinen Augen. Die Angst vor der Zukunft, davor was noch auf ihn zukommen wird. Aber auch Hass. Vielleicht Selbsthass. Hass auf sein Herz. Vor allem aber Trauer. Die Trauer ist so gut in seinen Augen zu sehen, dass ich manchmal das Gefühl habe sie sei fast schon greifbar. Jedes Mal überkommt mich ein elendes Gefühl der Trauer, wenn ich ihn so sehe. Seine Gefühle übertragen sich auf mich. Seine Gefühle sind auch meine Gefühle.

Seit dem Vorfall, vor einem Monat, in der Schule gab es keinen mehr, was vermutlich daran liegt, dass wir alle, aber vor allem Maria und ich, versuchen Reece alles zu erleichtern, damit er sich nicht so viel bewegen muss. Wir versuchen ihm jegliche Aktivitäten, die schwerere Bewegungen beinhalten, zu untersagen und die ihm gegebenenfalls auch abzunehmen.

Reece wollte niemandem von seiner Krankheit erzählen, bis auf ein paar der Lehrer, die es wissen müssen, damit sie für den Fall, dass etwas passiert, Bescheid wissen. So auch Mr. Dawson, Reeces Sportlehrer, der sich daraufhin bei Reece entschuldigt hat, ihn damals so gedrillt zu haben, dass er beinahe ohnmächtig geworden war, nachdem er diese höllischen Schmerzen hatte, auch wenn er gar nichts von seiner Krankheit wissen konnte.

Ich weiß nicht, was Reece den anderen erzählt hat oder ob er ihnen überhaupt etwas erzählt hat, nachdem ihn alle eine Woche später, als er endlich wieder in den Unterricht kam, mit Fragen durchlöchert haben. Er blieb nämlich die restliche Woche nach dem Besuch bei Dr. Shirvington zu Hause. So wollte es Maria. Es war schrecklich eine ganze Woche ohne Reece in die Schule zu gehen, obwohl ich ihn sowieso nur in den Pausen sah, da er ein Jahr über mir war. Ava hat mich Gott sei Dank zur Schule gefahren und auch wieder zurück nach Hause, ansonsten hätte ich den engen und überfüllten Schulbus nehmen müssen. Wahrscheinlich wäre ich die Einzige in meinem Jahrgang, da die meisten bereits einen Führerschein und vermutlich sogar ihr eigenes Auto hatten.

Da ich schon vorher wieder in die Schule musste, war ich das erste Opfer der ganzen Fragen. Aber ich habe dicht gehalten und behauptet, dass ich nichts wüsste und sie Reece fragen müssten. Natürlich hat es mir keiner geglaubt, aber sie haben irgendwann locker gelassen. Nur Ava durfte ich etwas erzählen, meinte Reece, nachdem ich ihm erzählt habe, dass sie mich mit Fragen nur so bombardiert.

Inzwischen gehen Gerüchte über Reece herum, eins dieser sagenumwobenen Gerüchte hat schon überall die Runde gemacht. Diese Menschen glauben, dass er den Anfall wegen seiner Drogensucht gehabt hätte und für eine Woche im Krankenhaus war, damit sie seinen Körper von den Drogen leeren konnten. Manche gehen aber auch so weit zu behaupten, dass er nur kurz im Krankenhaus war und nachdem die Ärzte festgestellt hätten, dass er ein Drogenabhängiger sei, er in U-Haft kam. Ich kann über diese Gerüchte nur lachen, da die meisten von ihnen nicht einmal logisch korrekt sein können, aber sagen tue ich nichts. Denn würde ich einmal den Mund aufmachen, dann würde ich nicht mehr so leicht davonkommen. Und ich muss Reeces Entscheidung, niemandem davon zu erzählen, respektieren.

A Story of Broken HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt