20. Die Sau rauslassen

95 3 5
                                    

Die Woche vergeht schleppend. Reece und ich reden ziemlich selten miteinander, was wohl daran liegen mag, dass ihm aufgefallen ist, dass ich im Moment einfach Zeit brauche. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Natürlich lächeln wir uns im Gang noch an, ab und zu setzt er sich während der Mittagspause sogar zu Ava und mir, aber mehr ist da nicht. Ich lasse mir Zeit mit meiner Entscheidung, weil ich dieses Mal wirklich alles richtig machen möchte.

Max schleicht manchmal noch in meinem Kopf herum. Ich gehe immer mal wieder die letzten paar Monate in Deutschland durch und bemerke erst jetzt, dass ich vieles einfach übersehen oder gut geredet habe. Zum Beispiel dann, wenn Max mir stundenlang nicht geantwortet hat, wenn er mich stehenlassen hat, nachdem er kurzfristig abgesagt hat. Es gab aber auch wirklich schöne Momente in unserer Beziehung und dann frage ich mich immer wieder, ob das wirklich alles nur gespielt sein konnte. Aber vor allen Dingen frage ich mich warum jetzt? Warum entzünden Jule und Larissa gerade jetzt, eine Woche vor meinem Geburtstag, diese Bombe? Warum nicht später? Warum nicht früher? Warum tun sie es überhaupt? Warum schweigen sie nicht einfach weiter?

Es vergeht eine Woche und die Antworten auf all diese Fragen bleiben mir immer noch verborgen. Es ist Freitag, der Tag vor meinem Geburtstag. Wir haben inzwischen Anfang Oktober und ich kann immer noch nicht fassen, dass ich schon fast vier Monate in Arizona bin.

Das Gespräch mit Maria letzte Woche hat mich unendlich erleichtert. Es hat gutgetan, mir endlich alles von der Seele reden zu können und zu wissen, dass da jemand sitzt, der mir tatsächlich zuhört.

In den letzten Wochen habe ich die Familie Baldon noch besser kennen und lieben gelernt, als ich es ohnehin schon getan habe. Ich habe viel mehr über Maria und Jack erfahren. Zum Beispiel, dass sie für eine pharmazeutische Firma arbeiten, die Medikamente herstellt. Es ist irgendwie traurig, dass ich erst jetzt dazu komme, sie richtig kennenzulernen, aber besser spät als nie.

Am späten Freitagnachmittag klingelt Ava an die Tür. Sie wird von Jack nach oben auf Reeces und mein Zimmer geschickt und reißt breit grinsend die Tür auf. Neben ihr sehen wir beide wohl wie Schlaftabletten aus, denn ich liege immer noch im Pyjama auf dem Bett und lese, während er an seiner Konsole zockt.

»Hallo Leute«, ruft sie übertrieben fröhlich. Reece schaut nur kurz auf und murmelt irgendeine lahme Begrüßung. Ich winke ihr lächelnd zu.

»Reece?«, fragt Ava mit zuckersüßer Stimme. Das tut sie nur, wenn sie etwas möchte. »Würdest du uns vielleicht kurz alleine lassen?«

Verblüfft hebt er die Augenbraue und legt den Controller beiseite. »Wieso?«

»Ich muss das Geburtstagskind ein bisschen schick machen. Umziehen, schminken und so«, erklärt sie, immer noch freundlich lächelnd und inzwischen sogar mit den Wimpern klimpernd. Reece zuckt bloß mit den Schultern und nimmt wieder den Controller in die Hand. »Ich habe nichts dagegen, wenn sie sich hier umzieht.«

Sein Blick streift meinen kurz und ich sehe seine Augen amüsiert aufblitzen. Ich muss lachen. »Ich glaube dir gerne, dass du nichts dagegen hast. Aber ich schon.«

Er wirft mir einen genervten Blick zu, dann aber steht er doch auf, wirft den Controller aufs Bett und verlässt seufzend das Zimmer, während er noch irgendwas vor sich hinmurmelt, dass ich nicht verstehen kann.

Ava knallt hinter ihm die Tür zu und kichert. »Der ist aber gutgelaunt.«

Ich lächle, doch wirklich darauf antworten, tue ich nicht. Reece hat eben manchmal seine Launen, so ist jeder Mensch. Jeder hat doch Tage, an denen er besser oder schlechter drauf ist. Aber es macht mir nicht viel aus, denn ich weiß, dass ich immer auf ihn zählen kann, wenn es hart auf hart kommt.

A Story of Broken HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt