2. Missverständnis

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Es fühlt sich unbeschreiblich an, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, nachdem man stundenlang im Flugzeug gesessen hat. Meine Erleichterung ist beinahe greifbar, als ich mit meinem Koffer, den ich hinter mir herziehe, an den vielen, fremden Menschen vorbeilaufe, die sich in den verschiedensten Sprachen miteinander unterhalten. Fasziniert schaue ich mich um und nehme hier und da einzelne Wortfetzen aus Gesprächen auf.

Ich folge den Schildern, die mir hoffentlich den richtigen Weg weisen und stehe Sekunden später auf einer Rolltreppe. Mit offenstehendem Mund betrachte ich die Umgebung und Menschen, als wäre ich gerade erst auf die Welt gekommen, als würde ich zum ersten Mal die frische Luft einatmen und das Leben spüren und genauso fühle ich mich in diesem Moment – ich fühle mich wie neu geboren. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ein Gefühl der Schwerelosigkeit, ein Gefühl der Freude und ein Gefühl, das mich an Wunder glauben lässt, daran, dass ich endlich mit meinem stinknormalen und langweiligen Leben abschließen und etwas Neues beginnen kann. Dass ich etwas sehe und erlebe, etwas, wovon ich meinen Kindern und Enkelkindern später noch erzählen kann. Spannende Geschichten, bei denen ihre Augen an meinen Lippen kleben und neugierig auf das warten, was ich noch zu erzählen habe.

In der großen Halle umherschauend, erinnere ich mich zurück an meine Reise hierhin. Als ich Stunden zuvor das Flugzeug bestiegen habe, bin ich eingeschlafen und habe - mit ein paar Ausnahmen – beinahe den gesamten Flug durchgeschlafen. Wie ein Stein habe ich geschlafen und das, obwohl ich unglaublich aufgeregt gewesen bin. Natürlich bin ich ab und zu wach geworden, habe etwas gegessen oder sogar gelesen, doch das war nie von langer Dauer, denn meine Augenlider sind immer wieder zugefallen, sodass ich jedes Mal wieder ins Land der Träume abgedriftet bin. Dennoch empfand ich den Flug als angenehm; die Sitze waren schön weich und es gab keine Komplikationen, doch nach meinem Neun-Stunden-Flug bin ich nur noch fix und fertig.

Am liebsten würde ich stehenbleiben, inmitten dieser Menschenmenge. Ich würde ihnen gerne zuhören, jedem einzelnen, würde gerne ihren Gesprächen lauschen und selbst wenn ich ihre Worte nicht verstehen würde, würde ich dennoch an ihren Lippen hängen. Ich würde gerne die vielfältigen Geräusche aufnehmen, die Kulisse genießen und mich einfach gehenlassen, doch gleichzeitig schreit mein Körper nach einem warmen, weichen Bett, das mich in all seiner Güte aufnehmen wird.

Mein Blick gleitet zu den hohen Fenstern. Der Himmel hat sich leicht dunkel gefärbt, was mir verrät, dass es bereits abends sein muss, als ich schließlich mein Ziel erreicht habe und in Arizona ankomme.

Während ich auf der Rolltreppe stehe, lasse ich meine neugierigen Augen, die jedes noch so kleinste Detail aufnehmen wollen, über die riesigen Flure schweifen. Auf den ersten Blick sieht der Flughafen von Tucson groß und aufgeräumt aus. Die Böden sind so frisch gewischt, dass ich mich beinahe in ihnen spiegeln könnte. Der Zitrusduft des Reinigungsmittels steigt mir in die Nase, umschmeichelt sie mit seinem frischen Aroma. Einem Aroma, das mich an schöne Sommertage erinnert. An grüne Wiesen und gereifte Früchte. An die Sonne, die sich wie eine warme Decke um meinen Körper legt. Alleine dieser wohltuende Duft bringt ungeahnte Gefühle in mir auf. Ich spüre das aufgeregte Auf- und Abhüpfen meines Herzens in der Brust, das zunehmende Klopfen steigt mir bis in die Ohren. Es hört sich an wie ein lauter Bass.

Obwohl meine Augenlider immer schlaffer werden, schaffe ich es nicht, sie für eine Sekunde zu schließen. Alleine das Blinzeln lässt mich im Glauben in dieser Nanosekunde etwas von dem, was ich erleben könnte, zu verpassen. Etwas von den vielen Farben, Menschen und Eindrücken, die ich versuche einzusammeln, zu übersehen. Ich bin müde und erschöpft, befehle meinen Augen dennoch, wachsam zu bleiben und lasse meinen Blick weiter über die untenstehende Masse gleiten.

Als ich schließlich die vielen wartenden Menschen betrachte, macht sich ein weiteres Gefühl in mir breit. Ein Gefühl, das die anderen beiden Empfindungen zurückdrängt. Neben der Müdigkeit und der Neugierde, keimt Unsicherheit in mir auf. Ich fange an, mich nervös in die Luft zu strecken; hebe den Kopf, schaue umher, halte Ausschau nach möglichen Kandidaten, die meine Gastfamilie sein könnten. Gleichzeitig ziehe ich den Kopf wieder ein, fast als wolle ich mich schützen, als würde ich mich wie ein Gefahr witternder Igel zu einer Kugel zusammenrollen, um mich vor Feinden zu schützen.

A Story of Broken HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt