Kapitel 69

307K 11.9K 1.6K
                                    

Jenny und ich verließen den Supermarkt mit mehr Strawberry-Cheesecake-Eis als wahrscheinlich gut für uns war, Schokolade, Erdnüssen und drei verschiedenen Gummibärchen Sorten, obwohl uns natürlich beiden bewusst war, dass wir das alles niemals schaffen würden. Noch dazu hatte sich Jenny nach längerem Überlegen eine Flasche Hugo gekauft, von der ich jetzt schon wusste, dass ich sie nicht anrühren würde. Mein Vater hatte mir Alkohol wohl für immer ausgetrieben. Nicht der schlechteste Weg, Jugendliche vor Trinkgeschichten zu bewahren.
Da hast du wohl was falsch verstanden. DAS IST DEFINITIV DER SCHLECHTESTE WEG!!
Da Jenny bereits 21 war gab es keine Probleme an der Kasse mit dem Alkohol und so jung und nett wie die Kassiererin war, bezweifelte ich eh, dass sie einen Ausweis verlangt hätte. Freundlicher Weise gab sie mir sogar eine Tüte für meine Tasche, sodass ich mir um meine Autositze keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Wie eigentlich immer bekamen Jenny und ich uns dann erstmal fünf Minuten in die Haare, wer von uns beiden nun bezahlen dürfte, bis ich schlussendlich aus meinem Geldbeutel, der glücklicher Weise vor dem Smoothie verschont geblieben war, das passende Geld herausholte und es der Kassiererin in die Hand drückte, bevor ich mir den Arm meiner Freundin schnappte und sie zusammen mit unseren Einkäufen hinausschleppte. Als Revange gewann dafür Jenny den Kampf darum, wer fahren durfte und so landete ich wieder mal in MEINEM Auto auf dem Beifahrersitz.
Bereits auf dem Weg zu mir nach Hause bereute ich es, nicht einen Löffel eingepackt zu haben (wieso auch immer ich einen hätte einpacken sollen), während sich mein Blick keine Sekunde von dem Eis entfernte. Am liebsten würde ich es mir, egal wie, in den Mund stopfen, aber mit 17 konnte ich es mir wohl nicht mehr leisten, wie ein kleines Kind auf verstörende Art und Weise das Eis in mich hineinzuschaufeln.
Daher blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit Jenny und belanglosem Geschwätz bis zu unserer Villa abzulenken.
Mein blonder Engel schien es genauso eilig zu haben wie ich über den Süßkram herzufallen, denn wir sprangen beide in einem unglaublichen Tempo aus dem Auto, sobald die Reifen aufhörten über dem Kies zu knirschen, warfen die Türen hinter uns zu und stürzten über den Vorplatz die Treppen hoch.
Bis ich es geschafft hatte meine Tasche aus der Tüte und aus der Tasche meinen Schlüssel zu angeln, hatte Jenny schon mehrere Male ungeduldig gestöhnt und wir stolperten praktisch gleichzeitig durch den Türrahmen in die Eingangshalle hinein.
"Ich packe die Sachen aus", warf ich ihr schnell hinterher, als sie auch schon zur Küche stürmte und mir nur kurz zu rief: "und ich hole die Löffel!"
Dreißig Sekunden später trafen wir uns wieder im Wohnzimmer, sie mit den Löffeln und ich mit dem Eis bewaffnet.
Ich hatte mir gerade so viel Zeit gelassen, um zu registrieren, dass Kathrin nicht da war und dann einfach die Süßigkeiten auf dem Tisch verstreut. Die Tüte mit meiner Tasche wartete neben dem Sofa, bis ich sie wegschmeißen würde.
Grinsend ließen Jenny und ich uns nebeneinander auf die Couch fallen und nahmen uns erstmal einen gigantischen Löffel der heiligen Eismischung. Gleichzeitig entfuhr uns ein seliges Stöhnen und ich lies mich entspannt nach hinten an die Lehne fallen.
"Oke, meine Sucht ist erstmal besänftigt, jetzt hast du mir so ein paar Sachen zu erklären", ich warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und kratzte mit meinem Löffel wieder etwas Eiscreme aus dem Becher.
"Ich weiß nicht wovon du sprichst". Sowohl ihr piepsiger Tonfall, als auch ihr ausweichender Blick straften ihre Worte Lügen. Aber ich konnte verstehen, weshalb ihr das Thema unbehaglich war, auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen konnte, weshalb es ihr vor MIR unangenehm war.
"Ach komm schon! Vielleicht hat es bei mir tatsächlich etwas SEHR lange gedauert, aber selbst mir ist heute morgen nicht entgangen, wie du darauf reagiert hast, dass Henry jetzt eine Freundin hat."
Jennys Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich zusammen, während sie begann das Eis zu massakrieren. Wenn ich an ihrer Stelle nicht auch ein Ventil für meinen Frust gebraucht hätte, wäre das jetzt der Moment, in dem ich ihr mein heiliges Lieblingseis entrissen hätte, aber wie sagt man so schön: 'sweetheart for sweets'. Okay nein, zugegebener Maßen hatte ich das jetzt gerade erfunden. Und ja, ich hatte kein allzu ausgeprägten Sinn für Neuerfindungen.
"Das stimmt doch gar nicht. Ich freue mich für ihn. Die beiden scheinen echt gut zusammen zu passen."
Mit Gewalt fuhr ihr Löffel auf die kalte, cremige Masse herunter und grub eine tiefe Kerbe hinein. Diese grausame Behandlung meines Schatzes ließ mich genauso zusammenzucken wie der monotone, aufgesetzte Tonfall ihrer Stimme.
"Klaro, ich kann dir die Freunde gerade zu ansehen", lautete meine ironische Antwort, welche mir einen blitzenden Blick einfing.
"Ja, nicht wahr? Es gab noch nie einen freudigeren Menschen als mich!", presste sie zwischen ihren zusammen gepressten Kiefern heraus und umklammerte den Eisbecher mit ihrer Hand so fest, dass ihre Knöchel bereits weiß anliefen.
Okay, mit einer derart aggressiven Jenny bekam man es nicht oft zu tun. Normalerweise war eher ich es , die einen Wutausbruch bekam. Daher fiel mir auch nichts besseres ein, als ihr das anzubieten, was ich immer als Ventil für meine Wut nutzte.
"Lust auf einen Boxsack einzuschlagen?"
Aufgebracht fuhr sie zu mir herum und betrachtete mich mit einem vernichtenden Blick. "Hahaha. Echt, ich lach mich tot!"
Mit Unschuldsmiene zuckte ich nur mit den Schultern, um ihr zu zeigen dass das Angebot sehr wohl ernst gemeint war. Daraufhin schien sie erstmal etwas verdutzt, fasste sich aber schnell wieder und rang sich sogar etwas Ruhe ab, sodass ihre Stimme zumindest teils wieder beherrscht klang.
"Nehm es mir bitte nicht übel, aber ich wollte eigentlich nicht zu einer Kampfmaschine wie dir mutieren, daher: danke, aber nein. Ich habe meine eigenen Wege Luft abzulassen."
Wieder zuckte ich nur mit den Schulten und schnappte mir schnell den Eisbecher, bevor sie wieder anfing ihn zu malträtieren.
Jenny verdrehte die Augen, als sie sah, wie ich zuerst dem nun etwas zerdellten Eisbecher einen Kuss gab, bevor ich ihn an meine Brust drückte, als wäre er ein kleines Kind, das man vor einem Monster beschützen müsste. Trotz dieser genervten Geste entging mir nicht, wie es leicht an ihren Mundwinkeln zuckte und sich ihre Schultermuskulatur wieder entspannte.
Schließlich lies sie sich mit einem schicksalsergebenen Seufzen in die Polster nach hinten fallen und schlug die Hände vor den Augen zusammen.
"Na gut, zum Leugnen ist es jetzt wohl eh zu spät. Also, sag was du zu sagen hast! Ich bin bereit für meine Strafe!"
Nach dieser hochdramatischen Ansage blieb es erstmal still. Entgegen Jennys Befürchtungen hatte ich nämlich nicht vor, sie für irgendetwas zu verurteilen und auf ihre etwas übertriebene Reaktion hin zog ich nur eine Augenbraue hoch, in bester dein-Ernst?-Manier und wartete darauf, dass sie aufschaute.
Natürlich tat sie das auch, allerdings erst als ich schon befürchtete einen Krampf in der Stirnmuskulatur zu haben.
Während ich daher noch damit beschäftigt war, mir die Augenbraue zu massieren, fragte sie mit einem Hauch von Verwunderung und Unsicherheit: "Was, keinen einzigen Vorwurf?"
"Welchen Vorwurf sollte ich dir denn machen, außer dass du mir nichts von deinen Gefühlen erzählt hast? Für dich ist das alles bestimmt schon schwer genug und meiner Meinung nach konntest du ja schlecht beeinflussen, was du für Henry empfindest. Von daher kann man es dir nicht mal vorwerfen, dass du dich für die zwei nicht freust. Um genau zu sein ist es eigentlich sogar beeindruckend, dass du es zumindest versuchst und es schaffst die Situation so zu akzeptieren wie sie nun Mal ist", erklärte ich ihr nüchtern und strich ihr kurz aufmunternd über den Arm.
Stöhnend sackte sie noch ein Stück weiter in sich zusammen. "Na, mach dir lieber nicht so eine hohe Meinung von mir. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich nachher, wenn ich die beiden Turteltäubchen zusammen sehe, nicht doch noch auf deinen Boxsack zurück komme."
Ich knuffte sie in die Seite was mir ein beschwerendes Quicken einbrachte. "Hör du lieber auf, so negativ von dir zu denken! Ich wüsste wirklich nicht wie ich an deiner Stelle ausgerastet wäre."
Plötzlich wich Jenny meinem Blick ganz bewusst aus und murmelte irgendetwas undeutlich in ihre Haare rein. Trotzdem glaubte ich etwas wie, " ich schon", verstanden zu haben, jedoch verstand ich nicht ganz, weshalb sie so etwas gesagt haben sollte.
"Wie bitte?", fragte ich irritiert und neugierig nach und rückte ein Stück auf sie zu.
Errötend schreckte sie auf und starrte mich mit großen unschulds-Augen an. "Nichts, nichts." Für meinen Geschmack war ihre Stimme ein paar Oktaven zu hoch.
Langsam verengten sich meine Augen zu kleinen grünen Schlitzen und ich kam nicht drumherum leicht gereizt zu klingen als ich meine Freundin befehlerisch aufforderte: "Jenny wiederhole was du gesagt hast!"
Mit einem Satz stand sie von der Couch auf und schien fliehen zu wollen, doch noch in der selben Sekunde, in der sie sich bewegte, tat ich es ihr schon gleich und konnte sie daher am Arm zurückhalten.
Quietschend versuchte sie von mir los zu kommen, doch so leicht würde ich es ihr nicht machen! Ich wollte wissen was sie gesagt hatte!
Mit einem Ruck zog ich sie an mich heran und schlang ihr meine Arme um die Taille, sodass ich sie von hinten fest umklammert hielt.
"Jenny!", rief ich laut über ihre Flüche hinweg , doch erst eine halbe Minute später schien sie zu akzeptieren, dass ich gewonnen hatte und ließ langsam ihre Gegenwehr ersterben. "Jenny", wiederholte ich ihren Namen erneut drohend, "du sagst jetzt sofort was du da genuschelt hast und was du damit meintest!"
Störrisch presste sie ihre Lippen aufeinander und reckte ihr Kinn in die Höhe, was ihre Weigerung mehr als deutlich machte.
Okay, sie wollte es so!
Ich schmiss sie auf das Sofa und setzte mich rittlings auf ihre Beine und begann sie durch zu kitzeln.
...Tja allerdings war Jenny einer der wenigen glücklichen Menschen die einfach nicht kitzelig waren. Daher bestand ihre Reaktion aus einem schlichten Augenbrauenhochziehen und brachte mich kein Stück an die gewollte Antwort heran.
Okay, das brachte eindeutig nichts. Ich brauchte irgendein anderes Druckmittel.
Mein Blick glitt suchend durch den Raum und blieb schließlich an der Hugoflasche auf dem Tisch hängen. Zu gegebener Maßen nicht das beste, aber in der kurzen Zeit das einzige, was ich auftreiben konnte.
Mit einem Satz schwang ich mich von Jenny runter, die demonstrativ mit verschränkten Armen zeigte, wie wenig ihr meine Kitzelattacke ausgemacht hatte und umrundete den Tisch, wobei ich mir die Flasche schnappte.
Jenny sprang in weiser Voraussicht ebenfalls auf, mich misstrauisch beobachtend, als würde sie einschätzen wollen, was ich als nächstes vor hatte.
"Wenn du nicht sofort damit rausrückst was du gesagt hast, wirst du diese Falsche nie wieder zu Gesicht bekommen!"
Uns wurde wohl beiden gleichzeitig klar, wie unnötig diese Drohung war. Jedenfalls zeigte sich Jenny ziemlich unbeeindruckt. "Dann kaufe ich mir halt eine neue."
Ich öffnete schon meinen Mund um zu sagen, dass ich ihr ihre Autoschlüssel klauen würde, als ich mich doch um entschied. Bei ihrem Dickkopf würde sie im Notfall zum Supermarkt laufen.
Allerdings hatte mich die Idee mit den Schlüsseln auf ihre Handtasche, die neben dem Sofa stand, aufmerksam gemacht und das wiederum hatte mich auf einen gemeinen Plan gebracht.
Wahrscheinlich ließ mein hinterlistiges Lächeln Jenny schon ahnen, dass ich etwas vor hatte, allerdings hätte sie kaum erraten können was es war und so war ich die erste von uns beiden, die die Tasche zu packen bekam, obwohl sie eigentlich näher an ihr stand und fast im selben Moment los sprang, in dem ich nach vorne stürzte.

behind the screenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt