Kapitel 71

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Die Spannung in der Luft war kaum auszuhalten, während ich das Kühlakku, welches mir Tony ausgehändigt hatte, Dyan in die Hand drückte.

Wir standen hinten im Personalraum mit den Spinden, an die sich Dan lässig lehnte, die Knöchel übereinander gekreuzt und die Arme verschränkt.
Dyan hatte ich gezwungen sich auf den Tisch zu setzen, auch wenn er sich beschwert hatte, dass er keines Falles wegen 'so einem kleinen Blauenfleck' nicht mehr in der Lage wäre zu stehen.
Keiner von uns hatte bisher ein Wort verloren, obwohl zwischen den beiden Jungs schon der ein oder andere bedeutungsvolle Blick geflogen war.
Ich selbst wagte es nicht die unangenehme Stille zu unterbrechen, was eventuell daran liegen könnte, dass Dan jeder meiner Bewegungen ganz genau zu beobachten schien, so als würde ich jeden Moment ein Messer aus meinem BH ziehen, die beiden umbringen und dann die Leichen im Kühlraum verstecken. Ich verdrehte Über meinen eigenen Gedanken die Augen, was beide Jungs zu sehen schienen... und vollkommen falsch zu interpretieren schienen.

"Was passt dir jetzt schon wieder nicht, Prinzesschen?", fragte Dan entnervt, als hätte ich ihn die letzten Stunden vollgenölt, worauf Dyan sofort ansprang: "Na wenn du hier schon einen auf Big Brother machst!" 

Er hatte das Kühlakku sogleich wieder von der deutlichen Schwellung an seinem Kiefer genommen und sich vor Dan aufgebaut und um eine weitere Eskalation zu vermeiden ging ich schnell dazwischen: "Hey Jungs! Das gerade eben war schon genug Testosteron für den Monat!"
Energisch drückte ich Dyans Hand samt Kühlpack zurück an sein Gesicht und stellte mich mit in die Hüften gestützten Händen zwischen diese Kampfhennen. Zwischen den beiden muskelbepackten Kerlen kam ich mir zwar etwas hilflos vor, aber im Notfall traute ich es mir zu, sie beide übers Knie legen zu können.
Dan schnaubte und drehte sich von uns weg. Undeutlich glaubte ich zu hören, wie er, "Kann die sich nicht mal aus unseren Angelegenheiten raushalten?", murmelte.
Nur indem ich mich an das erinnerte, was ich vor Jahren verpatzt hatte, konnte ich mir ein Kommentar verkneifen und reckte stattdessen nur herausfordernd das Kinn in die Höhe, doch Dan schien seine Worte nicht nochmal laut wiederholen zu wollen.
"Wieso bist du überhaupt mit nach hinten gekommen?", forderte Dyan sichtlich aufgebracht zu wissen auf.
Mein alter bester Freund stieß ein ironisches Lachen aus.
"Ach, ich kann es doch nicht zu lassen, dass mein Freund eine hinterhältige..."
"Wag es nicht...", unterbrach ihn Dyan und machte drohend einen Schritt nach vorne. Ich zuckte zusammen, jedoch nicht wegen der Beleidigung, die sicherlich gefolgt wäre, sondern wegen der Parallele, die sich in meinem Kopf sofort zu meinem früheren Verhalten zog.
Noch bevor ich genauer darüber nachdachte, griff meine Hand nach Dyans Arm und zog ihn wieder ein Stück zurück.

"Lass es, ich hab's verdient."
Innerhalb von nicht mal einer Sekunde gehörte mir die gesamte Aufmerksamkeit beider und ich konnte mich nicht recht entscheiden, wer von ihnen überraschter wirkte.
Am liebsten hätte ich mich jetzt selbst k.o. geschlagen. Ich hatte vor gehabt das Ganze alleine mit Dan zu bereden, in ein paar Tagen, wenn ich erstmal selbst die Zeit dazu gehabt hatte, mir zu überlegen, was ich Überhaupt sagen wollte. Dass mir jedoch zuvor schon irgendwas herausrutschte, was dazu führte, dass mir gar nichts anderes Übrig blieb, als meine Erklärung und vor allem meine Entschuldigung zu improvisieren, hätte mir auch klar sein können.
Ich schluckte hart und nahm meinen ganzen Mut zusammen, um Dan fest in die Augen zu schauen.
"Mir ist nie klar gewesen, was ich damals getan habe und leider muss ich zugeben auch jetzt noch nicht alles verstanden zu haben, aber du musst wissen, das war nicht meine Absicht."
Für den ersten Moment schien Dan zu verblüfft, um irgendwie zu reagieren, doch das wandelte sich schnell in seinen üblichen Zorn gegenüber mir um und sein Gesicht, dass wie nur allzu zu selten mal etwas von seinen Gefühlen preisgegeben hatte, verschloss sich wieder.

"Ach, du hast es nicht beabsichtigt? Heißt das irgendjemand hat die Kontrolle über deinen Körper übernommen? Warst nicht du es, die sich verhalten hat, wie das letzte Stück Dreck?"
Hätte nicht meine ganze Konzentration darauf gelegen, dieses Gespräch mit Dan nicht in den Sand zu setzen, hätte ich mich sicherlich gewundert - und gefreut - , dass Dyan sich erneut anspannte und für mich in den Ring zu springen wollen schien. Auch wenn ich wirklich niemanden brauchte, der für mich meine Kämpfe austrug. Das konnte ich schon recht gut selbst, auch wenn das nach einer schweren Runde aussah.
"Nein, so meinte ich das nicht...", Dan lies mich nicht mal ausreden. Seine Schultermuskulatur war völlig verspannt uns er schien es auch nicht mehr auszuhalten, sich länger ruhig anzulehnen. Mit einem lautem Scheppern stieß er sich von den Spinden ab und kam auf mich zu. Seine Augen hatten ein solch kräftiges Giftgrün angenommen, wie ich es bisher nur sehr selten gesehen hatte.
"Wie meintest du es sonst? Kannst du mir nur einmal den gefallen tun und ganz deutlich sagen, was du meinst? Könntest du nur einmal aufhören, hinter meinem Rücken etwas völlig anderes zu erzählen, als das was du mir ins Gesicht lägst?
Bitte, denn ich würde gerne mal die wahre Tessa sehen."
Jedes seiner Worte verursachte einen kräftigen Schlag in meinem Kopf, der meine Ohren zum Klingen brachte.
Ich glaube mir wurde zum ersten Mal zumindest bruchteilhaft klar, wie es sein musste, zu glauben, seine jahrelange beste Freundin gar nicht zu kennen. Dabei hatte ich ihm doch nie etwas vorgespielt! Ich hatte nie, oder zumindest nicht so, dass es mir bewusst wäre, wirklich schlecht über ihn hinter seinem Rücken  geredet, als wir uns noch so nahe standen!
"Ich lüge dir nicht ins Gesicht! Und das alles mit Jackie... das... das war mir gar nicht so klar gewesen!"
Die Erwähnung von ihrem Namen schien irgendwas in ihm zum Überlaufen zu bringen.
"Was soll da bitteschön nicht klar gewesen sein?! Was, hm?! Ich hatte das Mädchen gemocht und sie anscheinend auch mich und anstatt mir es zu gönnen, hast du einfach alles drangesetzt, um es mir zu zerstören!", brüllte er los und der gewaltige Wutausbruch lies mich zurück taumeln.
Ich spürte wie meine Augen zu brennen anfingen, verbat mir aber auch nur eine Träne zu verlieren. Das stand mir nicht zu. Immerhin hatte er recht.
"Glaub mir, ich bereue es, dass ich dich nicht unterstützt habe..."
"Nein!", mit einem großen Schritt stand er direkt vor mir, einen Finger warnend gehoben und vor Wut zitternd. "Ich hätte kein Problem gehabt, wenn du mich einfach nur nicht untersützt hättest, das wäre zwar trotzdem schade gewesen, aber noch in Ordnung. Worüber", schwer atmend wich er wieder leicht zurück, als würde er es nicht in meiner Nähe aushalten, "worüber ich nicht hinweg komme ist, dass du so weit gegangen bist, mich bei ihr anzuschwärzen und sie zu bedrohen."
Entsetzt stand ich da, erstarrt und nicht in der Lage mich zu rechtfertigen oder auch nur irgendetwas zu erwidern.
Was... was sollte ich getan haben?!
"Jackie hat es mir erzählt. Oder hast du gedacht, ich würde nicht bemerken, wie verängstigt sie war? Am Anfang hat sie sich nicht einmal getraut darüber zu reden, aber schließlich konnte ich sie soweit beruhigen, dass sie mir verriet, wie hässlich du wirklich bist, Tessa!"
Als ich dieses Mal seinem Blick begegnete, hatte sich das Grün seiner Augen wieder geändert. Moos.
Er war verletzt und verbarg es zum ersten Mal nicht mehr.
Ich sah, wie sich sein Mund bewegte, er weiter sprach, doch ich konnte nichts verstehen. Mein ganzer Körper schien in Panik zu geraten, alles fokussierte sich auf diesen Ausdruck in seinen Augen und reagierte mit Entsetzen auf das was er gesagt hatte, auf das was er von mir hielt.
Immer wieder durchforstete ich mein Gedächtnis, nach dem, was ich angeblich getan haben sollte, doch da war nichts!
War ich wirklich in der Lage einen solchen Verrat zu begehen und ihn dann zu vergessen?
Erst langsam und dann immer schneller begann ich den Kopf zu schütteln. Nein, nein!
Die wenigen Male, die ich überhaupt etwas mit Jackie zu tun hatte, hatte ich niemals etwas derartiges getan. Ja, ich konnte mich erinnern, sie nicht gemocht zu haben, eifersüchtig gewesen zu sein, aber das hatte ich ihr nie offen ins Gesicht gesagt oder sie gar bedroht, um sie von Dan fernzuhalten.
"Wann soll ich das gemacht haben?", platzte es aus mir heraus und Dan hielt mitten im Satz inne. Er bedachte mich mit einem prüfenden Blick, so als frage er sich, was ich mit der Frage bezweckte.
Ich gab mein bestes, ihm genau das zu zeigen, was in mir vorging, mein Blick nicht zu verschließen, sondern ihn sehen zu lassen, mit was er es bei mir zu tun hatte.
Und genau das schien ihn stutzen zu  lassen, bevor er sich wieder fasste und sich leise räusperte.
"An dem Tag, an dem wir uns das erste Mal wirklich offen gestritten haben, hast du Jackie am Morgen im Gang gestumpt und ihr gedroht, dass wenn sie weiter versuche mich zu beanspruchen, du dafür sorgen würdest, dass egal wie viel sie lerne, ihre Noten nicht besser als eine 3 werden würden. Und dass nur die wenigsten mit jemand befreundet sein wollen würden, der es sich mit dir verspielt hatte."
Die Szene, die er da gerade beschrieben hatte, die hatte es nie gegeben! Ich konnte mich zwar erinnern, Jackie einmal auf dem Boden sitzend, mit ihren Büchern um sie herum verteilt, gesehen zu haben, aber ich konnte mich auch erinnern, ihr damals eine Hand angeboten zu haben, die sie dankend angenommen hatte. Wir waren damals ineinander hineingelaufen, da sie mit einer ihrer Freundinnen und ich mit Jenny geredet hatte und niemand auf den Weg geachtet hatte... und tatsächlich war das der Tag, an dem Dan und ich uns später zum ersten Mal heftig gestritten hatten.
Das... das konnte doch nicht sein!  Wie konnte man ein so harmloses Ereignis so verdrehen?!
Ich tat mir schwer damit, meine Wut wieder herunter zu schlucken und ihr nicht freien Lauf zu lassen.
"Das ist niemals so geschehen", widersprach ich mit fester Stimme und blickte Dan aufrecht in die Augen.
Daher konnte ich auch ganz genau sehen, wie er die Mauer wieder hochzog. Statt des flirrendem Grün von eben funkelten seine Augen wieder in dem üblichen Blattgrün mit sandfarbenen Splittern um die Pupille.
"Wieso war es mir eigentlich klar, dass du es leugnen würdest? Wenigstens jetzt könntest du doch dazu stehen, Tessa. Jeder hier im Raum weiß, dass es so war, so langsam wird es peinlich."
Mit diesem Kommentar machte er mich zum ersten Mal wieder auf Dyan aufmerksam, der keinen ganzen Schritt entfernt uns beide beobachtete. Ich war nicht sicher, was ich nun von ihm zu erwarten hatte, doch sein Gesichtsausdruck erschien mir ziemlich neutral, was mir die Hoffnung gab, ihn und ganz ganz ganz vielleicht auch Dan noch von der Wahrheit überzeugen zu können.
Allerdings verstand ich, weshalb sie mir nicht glaubten. Jetzt stand mein Wort gegen Jackies und für Dan war schon klar, wem er glaubte.
Ich atmete tief durch, um nicht einfach auszuflippen und so lange zu schreien, bis sie es ja wohl verstanden haben mussten!
Stattdessen sagte ich ruhig: "ich habe sie nicht geschubst, wir sind zusammen gestoßen und dabei ist keine einzige Drohung über meine Lippen gekommen."
Bevor Dan wieder etwas erwidern konnte hob ich die Hand. "Nein, sag nichts. Ich verstehe es wenn du mir nicht glaubst, aber ihr könnt gerne Jenny fragen, sie war ebenfalls dabei gewesen und wird euch sicherlich nicht anlügen, wenn ihr das befürchtet."
Ich wusste, dass meine Überzeugungskraft an Dan verloren war, doch Dyan warf ich einen  letzten eindringlichen Blick zu, bevor ich den Raum verließ.
Meine Schicht hatte schon vor einer viertel Stunde begonnen und ich hatte noch nichts gemacht, außer Marco und Dyan davon abzuhalten sich gegenseitig zu zerfleischen. Daher beeilte ich mich nun in den Gästeraum zu kommen und die Bestellungen aufzunehmen.
Natürlich entging es mir nicht, dass Dan und Dyan gute fünf Minuten später sich wieder zu ihren Freunden gesellten, beide mit angespannten Gesichtsausdrücken.
Sobald Dyans Augen meine trafen wandte ich mich schnell ab und streifte dabei Jenny, die mit Steven, Henry und inzwischen auch Ciara an der Bar saß und sich unterhielt.
Ob sie sich von Jenny die Wahrheit sagen lassen werden? Ich hoffte es. Vielleicht könnte ich dann endlich wieder mit Dan reden, ohne das einer von uns den anderen am liebsten umbringen würde. Aber wahrscheinlich sollte ich die Hoffnung, dass es vielleicht sogar so wie früher werden könnte, ganz tief begraben, bis ich sie irgendwann vergaß. Ich konnte mich glücklich schätzen, wen unser Verhältnis sich zumindest wieder normalisierte.
Seufzend machte ich mich mit einem Tablett voll mit leeren Gläsern auf den Weg in die Küche.
Dabei war ich heute nicht einmal die einzige mit verwirrten und verletzten Gefühlen. Ob Jenny inzwischen Amanda kennengelernt hatte?
Un wusste Henry, was Jenny für ihn empfand?
Die Armen, dabei schien doch alles so leicht, als Amanda und Henry zusammen kamen.
Wo wir schon von Amanda sprachen, sie kam mir entgegen, als ich die Küche wieder mit einigen gefüllten Tellern beladen verließ und da ich meine Neugier natürlich nicht im Zaum halten konnte, hielt ich sie kurz zurück.

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