Kapitel 6

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Sollte er mich finden.

Inzwischen hatte ich den Überblick darüber verloren, wie oft ich dieses Szenario im Kopf abgespielt hatte, mit hoher Sicherheit ebenso häufig, wie es Möglichkeiten gab, einen Menschen zu quälen. Und was das anging, sprudelte mein Geist vor Kreativität und Erfindergeist.

Rostrotes Eisen an Hand und Fußgelenken, die den von Schlägen, tiefen Hieben, zerrissenen Körper zur Schau stellten, wie ein skurriles Tier auf dem Jahrmarkt. Ohne Hoffnung auf Flucht auf einem einer Bühne aus feuchtem Gestein und kaltem Beton.

Aus den blutig verquollenen Augenhöhlen sah er mich an. Er hatte mich entdeckt, die anderen nicht.

»Sieh mich an!«

Das scharfe Donnern durchfuhr mich wie ein Peitschenstoß. Jener Ton weckte den devoten Gehorsam aus seinem seichten Schlummer.

Doch Beaus Glieder verfügten über keine Unze Kraft. Jegliche Regung glich einer unmöglichen Herausforderung.

Unwürdige Beschimpfungen und Hasstiraden flossen aus dem Mund des Präs. Er sah in seinem Opfer nichts außer dem mickrigen Abbild eines Stück Fleisches. In seiner Hand glänzte der fleckige Schimmer des alten Beils.

Blubberndes Röcheln drang aus Beaus Kehle. Blut, heiß, dickflüssig, sickerte in die Risse zu seinen Füßen.

Die Bilder, lästig wie ein Parasit, schüttelte ich ab und verankerte mich mit gezielten Atemzügen in der Wirklichkeit. Die heranrollende Dämmerung, durch die am Himmel erste rosa Schäfchen erschienen, verkomplizierte dies, denn in der Dunkelheit waren alle Monster mächtig. Besonders die in uns.

Melanie hatte nichts davon mitbekommen, wie meine Gedanken abgeschweift waren. Sie packte weiter den Einkauf in den doppeltürigen Kühlschrank. »Fackel mir bitte nicht das Haus ab. Und wehe du setzt auch nur einen Fuß in mein Schlafzimmer.«

Ihre Warnung war keinesfalls humorvoll gemeint. Auch wenn ich inzwischen annähernd zwei Wochen bei ihr hauste, gab es weiterhin strikte Trennungen, was die Zimmer anbelangte. Für mich vollkommen in Ordnung, denn nach wie vor stand ich ihr für all die Hilfe tief in der Schuld. Ganz gleich wie kühl unser Umgang miteinander von Zeit zu Zeit war. Ab heute musste ihr Alltag langsam wieder ein Maß an Normalität erreichen, dass mich nicht wie ein Klotz an ihrem Bein wirken ließ, um den sich bisher ein Großteil ihres Alltags gedreht hatte.

»Meine Eltern haben mich nachher zum Essen eingeladen. Meine Schwester ist in der Stadt.«, teilte sie mir mit, kaum das wir den Supermarkt verlassen hatten, an dem wir nach der Arbeit noch hielten.

Ihre ältere Schwester lebte mit ihrem Mann und den Kindern in Florida, über diese Geschichte wusste ich Bescheid, weil ihr Vater mir von den sentimentalen Momenten erzählt hatte, als seine erste Tochter für das Wirtschaftsstudium nach Miami zog und nie wieder zurückgekommen war.

Wie nah sich die Schwestern standen, darüber hatte ich keinerlei Informationen, aber im Treppenflur des Hauses hingen zahlreiche Bilder von Mel's Neffen, sowie Zeichnungen und Karten an der Pinnwand in der Küche. Es wurde immer deutlicher, dass in der garstigen, unterkühlten Frau ein leidenschaftlicher Familienmensch steckte. Den restlichen Abend im Kreise dieser Menschen zu verbringen, davon hielt ich sie demnach nicht ab.

In den vergangenen Wochen war sie nachts nicht oft aus dem Haus gegangen, weil es bedeutet hätte mich dort allein zu lassen, wenn draußen ein Psychopath herumlief. Dabei ähnelte sie einem sozialen Schmetterling, der oft und gern von Menschen umgeben war. Ihrem feministischen Beschützerdrang geschuldet, unterband sie das und behielt mich im Auge.

Burn For You 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt