Kapitel 4

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Melanie Johnsons Firma war ein traditionsreiches Familien – Elektrounternehmen, das sie von ihrem Vater übernommen hatte. Ihr handwerkliches Geschick mit Strom und Kabeln hatte sie unter Beweis gestellt und trotz der weiterhin gemischten Gefühle bezüglich dieser Frau, obgleich der absonderlichen Wende, die mein Leben erneut genommen hatte, ließ sich nicht leugnen, dass ich ihre Arbeitsmoral und die Hand mit der sie dieses Unternehmen führte, bewunderte.

Ihr Pflichtbewusstsein hatte sie mit dem Präs der Haydes Hells gemeinsam. So schmerzhaft es auch für die Gefühle in mir war, ich erkannte ihn in ihr wieder. Ihr raues Äußeres mit den tätowierten Armen, die anders als bei ihm weitaus mehr Farbe beinhalteten, die Tunnel in den Ohrläppchen, ein Piercing in der Nase. Die vulgäre, offenherzige Sprache, welche sich in der unsanften Rockmusik fand, der sie frönte. Jene Eigenschaften mochten auf unzählige Menschen dieses Landes zutreffen – außerhalb der Grenzen des Chapters, in der breiten Masse der Normalität, gab es weitaus frevelhaftere Erscheinungen, die mich noch vor einem halben Jahr verschreckt hätten – und doch für mich machten sie Reaper und Mel zu einem unverwechselbar ähnlichen Paar. Dem, dass er und ich nie gewesen wären. Eine Erkenntnis, die ich nicht zum ersten Mal hatte, aber die mich immer wieder in Melancholie ertrinken ließ.

Umso mehr bemühte ich mich, bei Melanies Anblick nicht an den großgewachsenen, muskulösen Mann zu denken, der mir Verstand und Sinne gleichermaßen geraubt hatte. Und der mir ununterbrochen Nachrichten schickte, weshalb ich mein Telefon kurzerhand wieder ausgeschalten hatte, da ich nicht der Versuchung erliegen wollte, seine Worte zu lesen. Und mir vorzustellen, wie er sie verfasst hatte. Was er tat. Wie es ihm erging.

Stattdessen verstrickte ich mich in die Endlosschleife aus schlechten Erinnerungen und Wut über ihn. Nur so würde ich ihn vergessen.

Gemeinsam mit ihrem pensionierten Vater, trotz der Übergabe aller Geschäftsabläufe an seine älteste Tochter unterstützte er sie weiterhin, und vier Angestellten versorgte Mel den östlichen Teil Odessas mit Strom. Oder mit dem nötigen Equipment sollte er einmal ausgefallen sein. Im Diner hatte ich an jenem Abend umgehend gekündigt und es wirkte nicht, als würde meine kurze Zugehörigkeit im Team jemand vermissen. Ich war eine Eintagsfliege.

Die Arbeit bei den Johnsons war anders im Gegensatz zur Bar.

Bei all den Aufträgen und der Hektik des Alltagsgeschäfts, die Mitarbeiter waren stets unterwegs, blieb vordergründig die Sauberkeit und Ordnung in der Niederlassung der Firma auf der Strecke. Meine Hilfe war hier tatsächlich von Nöten, darüber könnte ich nicht glücklicher sein. Es war erst der zweite Tag, aber ich fühlte mich willkommener als im Diner – trotz der ungewohnten Umgebung und meiner Vergangenheit mit der Chefin. Womöglich weil ich das Red Goose nicht mehr betreten würde, nachdem es mit Elijahs Aura befleckt war.

Von ihm fehlte seit dem Einzug in Mel's Haus jegliche Spur. Das er weiterhin in Odessa herumlungerte, früher oder später erneut auf die Fährte stoßen würde, die ihn zu mir führte, fühlte ich in jedem Molekül meines Blutes. Es pulsierte kühl.

Er war nicht weit und ich blieb fortwährend auf der Hut.

Mein Arbeitsplatz lag wenige Autominuten vom Haus entfernt, meinen Schlafplatz fand ich im Erdgeschoss dessen auf der ausgezogenen Couch im Wohnzimmer. Ein Fleckchen, das aufgrund der weichen, nicht knarzenden Polster und dem fehlenden Gestank nach Säure und Morast, besser war wie das winzige Bett des Motels.

Eine große Fensterfront dahinter führte in den kleinen Garten, gestern hatte ich ihn kurz in Augenschein genommen und war überrascht über die liebevoll gesetzte und sorgfältig gepflegte Blumenpracht. Hier in der vorstädtischen Zone ließ sich eine saftigere Landschaft züchten wie im kargen Exil der Wüste. Doch der Anblick der in voller Blüte stehenden Büsche weckte nicht das beseelende Gefühl, wie ich es bei Gräsern und kahlen Felsbrocken im Meer aus wirbelndem Sand verspürte.

Burn For You 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt