Kapitel 7

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Das Entsetzen über den abgefeuerten Schuss verflüchtigte sich schnell. Zu schnell, sodass ich mich fragte, inwiefern Rages Gnadenlosigkeit ihre Spuren bei mir hinterließ. Aber es war nicht nur der scharfsinnige Bodyguard des Präs, der Einfluss auf meine Person nahm. Die Monate des Aufenthalts im Club hatten mich geprägt, teilweise verändert. Ein Umstand, den ich herbeigesehnt hatte, sobald mir klar wurde, in welcher verblendeten Blase ich zuvor großgezogen wurde, doch dessen Ausmaß nun ein flaues Gefühl hinterließ.

Die Kraft, für mich selbst einzustehen, mich zu beschützen, war die eine Seite, dabei einem Menschen zu schaden, ohne von einem schlechten Gewissen zerfressen zu werden, die andere.

Wie die Gefühlslage aussähe, wenn der Schuss seine Haut nicht lediglich angerissen hätte, darüber weigerte ich mich nachzudenken.

Sobald ich am Dienstag mit Melanie zur Firma aufbrach, vollzog ich den Tagesablauf, als wäre dieser Zwischenfall nie passiert. Reaper hatte mich nicht gefunden und ich daher nie Gebrauch von einer Schusswaffe gemacht. Es half, dass in der Firma einiges an Aufgaben anfiel, die meinen Körper und Kopf beschäftigt hielten. Susann bat mich, Kundenaufträge mit ihr durchzugehen, damit bei den Bestellungen und anfallenden Installationen keine Materialien vergessen wurden. Ich bekam von Drew die entsprechenden Listen mit dem benötigten Equipment, das ich in Kartons sortierte und beschriftete, und ich liebte es. Aufgaben wie diese, reines Sortieren, das Anlegen eines Systems in dem alles meiner Ordnung folgte, war erfüllend. Ein Grund warum ich Spaß bei der Hausarbeit empfand. Es war die Möglichkeit, Chaos zu beseitigen. Das Schaffen von Harmonie.

Drew machte sich nicht nur einmal darüber lustig, wie vergnügt ich Kartons auspackte und den Müll rausbrachte. Das helle Klingeln des kleinen Glöckchens über der Ladentür ertönte und es war mir inzwischen vertraut. Ein Kunde ging, ein anderer kam.

»Hallo, Sir. Wie kann ich Ihnen helfen?« Aus Drews Mund klang die Floskel wie die herzlichste Begrüßung der Welt. Er verstand es, die Kundschaft im Laden zu behalten.

»Mich für einige Minuten mit ihrer Mitarbeiterin allein lassen, wäre schon mal ein Anfang.«

Dem Kunden hatte ich keine Beachtung geschenkt, da ich weiter den Empfangstresen entrümpelte und ich bei den Fachgesprächen ohnehin nicht hilfreich war, doch jetzt sah ich auf.

Gekleidet in dunkelblauen verwaschenen Jeans, den abgetragenen Lederstiefeln, von denen ich mich immer fragte, ob er überhaupt ein anderes Paar besaß, und einem Volbeat-Shirt unter seiner ärmellosen Kutte stand Reaper in seiner vertraut dunklen Gestalt vor mir. Schwarz hatte nie besser zu einem Mann gepasst.

»Bitte«, fügte er hinzu, kaum das sich unsere Blicke trafen. Er tauchte wirklich an meinem Arbeitsplatz auf.

Drew wandte sich sogleich mir zu: »Ist das dieser Stalker?«

Der Präs mochte mir nachstellen und dabei verspürte ich keinerlei Freude, aber mein größter Alptraum verbarg sich für den Rest meiner Tage hinter giftgrünen Augen.

»Nein«, antwortete ich.

Reaper, der bei Drews Frage eine seiner dichten Augenbrauen nach oben gezogen hatte, musterte mich aus unergründlichem Blau. Neulich Abend hatte ich die Details seines Gesichts unter dem schummrigen Licht nicht erkennen können, doch nichts schien sich verändert zu haben. Das hellbraune Haar im richtigen Maß zerzaust nach hinten gekämmt, die Seiten dafür kurz geschoren, um einen nahtlosen Übergang zum Bart zu bilden. Ich fühlte die Stoppel an meiner Handfläche, obwohl ich seine markanten Wangen nicht streichelte. Besonders das gesplitterte Eis seiner Iriden löste die zahlreich gefesselten Erinnerungen. Schöne Erinnerungen, falsche. Dennoch lag in diesen stürmischen Augen nichts als Wärme.

Burn For You 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt