Kapitel 22

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Weder Reaper noch meine durch das turbulente Lebensumfeld des MC angefütterte Fantasie würde mir meine Wünsche – von deren Existenz ich erwarteter Weise nicht mehr wusste - vorerst erfüllen. Denn im Club ging es in der vergangenen Woche drunter und drüber.

Die Nachricht, die Ty dem Präsidenten auf meinem Geburtstag überbracht hatte, stellte sich als Katastrophe dar. Zumindest wuchs sie zu einer Bedrohung heran, die kein Mitglied vorab hätte erahnen können.

Neben rivalisierenden Motorradclubs oder Gangs war der größte Kontrahent für eine kriminell agierende Gemeinschaft eine Verbrecherorganisation, die auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurückblickte, erbaut aus felsenfesten Traditionen, Blutsbande und tödlicher Skrupellosigkeit. Schon vor der Gründung der Haydes Hells durch Reapers und meine Familie hatte die italienische Mafia ihre Finger im Spiel der amerikanischen Wirtschaft. Doch ein einzelner Zweig hatte es sich in den letzten Dekaden zur Aufgabe gemacht, in den südlichen Staaten von New Mexico, Arizona und Texas mit allerlei illegalem Handel zu agieren. Die Familie Saccone streckte ihre Klauen in die Regionen aus, die Reaper und seine Männer dominierten. Eine Gefährdung der Geschäfte war minimal gewesen. Bis vor einer knappen Woche.

Tahoka – zweiter und am weitesten entfernter Stützpunkt der Haydes Hells, der vor etwa zwanzig Jahren aus dem sandigen Boden gestampft wurde – verfügte wie das Hauptchapter über ein Lokal, das als Einnahmequelle diente und gleichzeitig alle Mitglieder und Bewohner versorgte. In dem überschaubaren Restaurant, eine von Mandy iniziierte Hommage an den Wilden Westen, standen Kalbs- und Rinderburger auf dem Menü, die über die Chaptergrenzen hinaus geehrt wurden. Das Fleisch dafür bezog die Speisewirtschaft von örtlichen Farmen, auf denen die Tiere noch vor Ort geschlachtet und auf direktem Wege in die Abnehmerstellen gelangten. Hohe Qualität für einen stattlichen Preis. Doch nach einem anonymen Tipp wurden in den Lieferungen Reste von Alkaloiden vom Gesundheitsamt festgestellt. Ein Bestandteil zahlreicher Betäubungsmittel. Der Hinweisgeber war das zweite gefälschte Puzzleteil, der Fakt, dass die Höfe und auch der Club keinerlei Mittel dieser Art vertrieben oder nutzten, das erste, dass das Misstrauen des Vorstandes schürte.

Der Präs persönlich setzte sich mit seinem Stellvertreter in Tahoka in Verbindung, aber die entscheidende Aufklärung brachte erst der Road Captain vor wenigen Tagen. Ty und drei weitere Biker hatten bei einer Kontrollfahrt einen der Lieferwagen verdeckt begleitet, wodurch sie Zeugen eines ungeplanten Stopps des Trucks wurden. Kleinganoven überreichtem dem Fahrer Bargeld, verpackt in Plastiktüten, in dessen Gegenzug sie Zugriff zur leicht verderblichen Ladung erhielten, das sie mit einer Flüssigkeit einspritzten. Betäubungsmittel, wie der offensichtliche Schluss lautete.

Namen erlangten unsere Männer nicht, benötigten sie auch nicht, denn die Zugehörigkeit der Täter ließ sich aufgrund eines anschließenden Telefongespräches auf die Mafia zurückführen.

Eine hinterhältige Aktion des aus der Toskana stammenden Clans. Eine niederträchtige Aktion, die der Motorradclub nicht auf sich sitzen ließ. Eine heimtückische Aktion, auf die weitere Probleme für uns folgten.

»Dieser elendigen Spagetthifresser«, roher Zorn in Reapers tiefer Stimme, »Ich stopfe ihren polierten Arsch in ihr heißgeliebtes Nudelwasser.« In der Werkstatt war es schlagartig ruhig geworden, sobald der Präs für einen Anruf auf seinem Handy vor das Rolltor trat. Kein gutes Zeichen, da er kaum eines der Telefonate im Geheimen führte außer er war ohnehin allein in seinem Büro.

Die Anspannung auf allen Gesichtern war offensichtlich, selbst mein zum Scherzen aufgelegter Großvater hatte die Werkzeuge, mit denen er mir den Aufbau seiner Harley erklärte, zurück in ihren Kasten geworfen, um aufzustehen.

»Wir haben bis morgen früh Zeit sämtliche Lager und Bestellungen zu räumen. Unsere Freunde kommen für eine Razzia vorbei.«

Besagte Freunde standen auf der anderen Seite des Gesetzes, der einzige friedfertige Gegner, der einem Konstrukt wie dem der Haydes gefährlich werden konnte. Aus diesem Grund besaßen die größeren Clubs einen Informanten innerhalb der Polizeibehörde, um für derartige Überprüfungen und Einmischungen vorbereitet zu sein. Denn immerhin war es eine Frage des Geldes.

Burn For You 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt