Volle Fahrt voraus

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Da das Spiel um 21 Uhr angepfiffen wurde und sie sich um 20:30 Uhr mit ihrer Schwester und Tandele im Bear & Staff verabredet hatte, machte Jenny sich gemeinsam mit ihren Freundinnen in der Umkleide des Lyceum fertig, nur dass sie im Gegensatz zu Keitu und den anderen keine Theaterschminke auf ihr Gesicht strich, sondern ganz normales Make-Up. Sie hatte zwar morgens schon welches Aufgetragen, aber sehr dezent und da es für September immer noch unglaublich warm war und sie den Tag über geschwitzt hatte, hatte sie sich im Theater noch einmal etwas frisch gemacht und dadurch das Make-Up abgewaschen. „Ich denke wir sehen uns später noch.", sagte Tramaine die sich gerade einen Reifrock überzog. „Reece, Kuan, Shak und Du-Wayne wollten sich die Wiederholung des Spiels ansehen und ich und Keitu gehen mit.", erklärte Tramaine weiter und Jenny versprach ihnen nichts zu verraten, wenn sie kamen. Das Bear & Staff war zwar keiner der gewöhnlichen Fußball Pubs, aber er lag direkt an der U-Bahn-Station und hier war die Chance auf Hooligans zu treffen etwas geringer als in anderen, bekannteren Pubs in denen Fußball gezeigt wurde. Außerdem kannte der Wirt seine Stammkundschaft gut und wusste, dass viele von ihnen beim Theater oder Musical arbeiteten, und keine Chance hatten die späten Spiele zu sehen. Er hatte sich angewöhnt bei späten Spielen seinen Pub für Theater Angestellte noch länger offenzuhalten und nach der Liveübertragung das Spiel noch einmal zu zeigen, wenn die Theater und Musicals fertig waren. Es brachte ihm für ein Spiel beinahe doppelte Einnahmen ein. Natürlich war das nicht der einzige Vorteil, denn oft bekam der Theaterbegeisterte Eigentümer dadurch die ein oder andere Gratiskarte. „Hi Paul!", begrüßte Jenny den Barkeeper fröhlich, als sie um kurz nach halb acht durch die Türen des Pubs trat. Paul war nicht nur Barkeeper, sondern auch der Sohn des Eigentümers und genauso Theater begeistert wie sein Vater. Jenny konnte nicht mehr genau aufzählen, wie oft er schon in der ersten Reihe im Lyceum gewesen war, aber es mussten mindestens schon 15-mal gewesen sein. „Machst du mit einen Cider und Fish & Chips fertig?", fügte sie noch hinzu und der junge Mann nickte ihr zu. „Deine Schwester und ihr Freund sind schon da. Deine Sachen bringe ich dir gleich.", informierte er sie und zeigte auf einen Tisch direkt gegenüber des Flachbildschirms an der Wand. Sie bedankte sich bei Paul und ging dann zu ihrer Schwester. Noch war es relativ leer im Pub und nur wenige Tische waren besetzt, wobei die anderen Gäste anscheinend weniger für den Sport, sondern für das Essen gekommen waren, denn die Tische befanden sich im hinteren Teil des Pubs, den man von vorne kaum einsehen konnte. Jenny erkannte nur, dass die Tische besetzt waren, weil sie das Klappern von Besteck gut hören konnte. Sie begrüßte ihre Schwester und Tandele beide mit einer Umarmung und setzte sich dann neben sie. „Dein Bruder ist im Stadion?", fragte Jenny Tandele dessen jüngster Bruder ein guter Freund von Bukayo Saka war. Die beiden hatten wohl als Kinder gemeinsam im Verein Fußball gespielt, wobei schnell klar gewesen war, dass Saka ein Talent hatte, mit dem er seinen alters Genossen im Verein weit voraus war.

Pünktlich zum Anpfiff hatte Jenny dann auch ihr Essen und ihren Cider. Auch wenn sie wenig von Fußball verstand und meistens einfach nur versuchte dem Spiel irgendwie zu folgen. Ohne Kenntnisse der genauen Regeln verstand sie nicht, warum welches Team einen Einwurf hatte, von der Ecke aus schießen durfte oder einen Freistoß hatte. Sie bediente das Klischee, dass Frauen nicht wussten, was Abseits bedeutete perfekt. Immer wieder versuchte sie nachzuvollziehen warum der Schiedsrichter einige Angriffe als Foul beurteilte, während andere, manchmal sogar schlimmere Dinge keinerlei Beachtung fanden. „Ach komm schon! Das war doch ganz klar! Der sollte Rot bekommen!" brüllte dann Tandele neben ihr irgendwann auf und er schien nicht der Einzige zu sein der außer sich war, weil einer der Spieler von ManU anscheinend einen Spieler von Arsenal zu Fall gebracht hatte, während dieser auf dem Weg zum Tor gewesen war. Auch einige der später dazugekommenen Zuschauer waren entrüstet von ihren Sitzen aufgesprungen. Am Ende der ersten Halbzeit stand es dann 0:1 für Manchaster United und man merkte deutlich, dass die Stimmung bei den anwesenden, größtenteils Arsenal Fans, nicht gerade gut war. Sie hörte, wie die Männer sich immer wieder über den Trainer beschwerten und nicht nachvollziehen konnten, dass er den ein oder anderen Spieler nicht eingesetzt hatte aber auch davon hatte Jenny keine Ahnung. Wahrscheinlich hätte man ihr die Namen aller Spieler nennen können und sie hätte keinen blassen Schimmer gehabt, dass es Fußballer waren. Während der Halbzeit unterhielten sich die drei größtenteils über die Eröffnung am Vortag und wie das Café am Morgen quasi von interessierten Kunden überrannt worden war, weil es wohl tatsächlich ein ziemlich erfolgreiches Video des Flashmobs gab, das die Werbetrommel für das Lion's Den gerührt hatte. Das Café war so gut besucht, dass Natalie heute Morgen schon neue Bohnen hatte bestellen müssen, und eigentlich hatte sie eingeplant, dass die Bohnen bis mindestens übernächste Woche ausreichen würden. Jenny war jedoch froh, dass ihre Schwester realistisch genug war, um zu erkennen, dass dieser Ansturm abebben würde, sobald die ersten ein bis zwei Wochen vorbei waren und die meisten ihre Neugierde gestillt hatten. „Meine Schwester meinte wir sollten einen eigenen YouTube Kanal erstellen.", mischte sich Tandele dann ein, nachdem er zuvor eher halbherzig zugehört hatte, da er eher auf die Analyse der ersten Halbzeit im Fernseher konzentriert gewesen war. „Sie meinte, wenn wir dort regelmäßig Videos hochladen, zeigen wie unser Kaffee hergestellt wird, etwas über die Regionen erzählen, aus denen unser Kaffee kommt, dann würden wir vielleicht noch mehr Leute zu uns locken können." Sowohl Natalie als auch Jenny konnten den Sinn dahinter verstehen, doch keiner von den beiden hatte wirklich Zeit noch die Ambitionen auch noch einen YouTube Kanal nebenbei laufen zu lassen. „Oki hat sich bereiterklärt uns dabei zu unterstützen. Sie würde alles Planen und sie würde auch die Videos schneiden und alles. Wir müssen sie nur mit Informationen und gelegentlichen ‚Interviews' füttern.", erklärte Tandele. Seine Schwester Okeja war zwar gerade erst 17, aber Jenny konnte ihr ein gewisses unternehmerisches Verständnis nicht absprechen und wenn sie bereit war die meiste Arbeit zu tun, dann konnte man es zumindest versuchen. So unterhielten sich die beiden Schwestern auch über die Halbzeitpause hinaus über mögliche Themen für ein Video, während sie eher halbherzig dem Spiel folgten. Erst als Arsenal nach einem Ausgleichstor anscheinend die eigene Spielkraft zurückerhalten hatte, schien es spannender zu werden und auch die beiden Frauen beobachteten das Spiel wieder genauer. Am Schluss stand es zur Erleichterung der Arsenal Fans 2:1 und die Mannschaft konnte sich der Unterstützung ihrer Fans sicher sein.

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