Auch am nächsten Tag ging die Reise bereits sehr früh weiter, denn es gab viel zu sehen. Die Kleinstadt Jinka lag noch in völliger Stille hinter ihnen, als sie alle nach einem kleinen Frühstück zurück in die mit drehbaren Sitzen ausgestatteten Jeeps stiegen. Die vier Briten und die beiden Kameraleute waren noch recht unausgeschlafen, was wahrscheinlich daran lag, dass dies nun bereits der zweite Tag in Folge war an dem sie vor Sonnenaufgang bereits aus den Betten hatten steigen müssen. "Hast du wenigstens etwas schlafen können?", erkundigte sich Natalie dann bei ihrer Schwester als der Jeep nach einigen Startschwierigkeiten endlich angesprungen war und sich auf die Abfahrt in das weite Tal machte, das sie an diesem Tag durfahren wollten.
Jenny hatte tatsächlich kaum geschlafen in der letzten Nacht die Erfahrungen vom Tag, vor allem die Begegnung mit der älteren Frau auf dem Markt hatten sie noch lange beschäftigt. Angst vor dem Schmerz, den es in ihr auslösen könnte, hatte Jenny jahrelang davon abgehalten sich intensiver an ihre Mutter zu erinnern. Bisher, wenn sie an ihre Mutter gedacht hatte, waren immer nur dieselben Bilder hochgekommen, Bilder wie sie an etliche Geräte angeschlossen im Krankenhaus gelegen hatte, vollkommen unterernährt und entkräftet. Doch die letzten Tage hatten in ihr auch andere Erinnerungen wieder geweckt. "Ich musste an unsere Tänze denken.", gab Jenny dann ihrer Schwester doch endlich zurück als die Jeeps langsam die steile Piste hinab schlichen.
"Mom hat es geliebt zu tanzen, einfach bei jeder Gelegenheit.", erklärte Jenny ihrem doch noch eher ratlos dreinblickenden Partner. "Egal ob sie gekocht hat, geputzt hat oder einfach gar nichts tat. Sie hat Musik geliebt."
"So wie du.", schlussfolgerte Tom mit einem weichen lächeln. Er hatte Jennys Mutter natürlich nie kennen lernen dürfen, doch irgendwie konnte er sich vorstellen wie die damals junge Äthiopierin in der Küche am Herd oder mit dem Staubsauger in der Hand dagestanden hatte und dann auf einmal angefangen hatte zu tanzen. "Ja, ich denke die Vorliebe für Musik habe ich von ihr geerbt.", gab Jenny lächelnd zurück.
"Mom hat uns oft, wenn wir unkonzentriert waren bei den Hausaufgaben, einfach von unseren Stühlen gezogen und mit uns getanzt.", erklärte Natalie und ihre Augen leuchteten bei dieser Erinnerung auf. "Sie hat getanzt, bis wir aus der Puste waren, selbst wenn unser Vater böse auf sie war, weil er der Meinung war wir müssten auf unseren Stühlen sitzen bleiben, bis wir die Hausaufgaben beendet hatten.", erinnerte sich nun auch Jenny daran. Sie erklärte Tom, dass gerade sie, was die Schule anging ein eher schwerer Fall gewesen war. Ihre Konzentration hatte immer zu wünschen übriggelassen, zumindest wenn ein Thema sie nicht interessiert hatte. Während den Hausaufgaben war es regelmäßig zu Eskalationen zwischen ihr und ihrem sehr Pflichtbewussten Vater gekommen, weil sie einfach zu verträumt gewesen war, um zu verstehen, dass man viel schneller fertig wurde, wenn man einmal konzentriert bei der Sache blieb. Ihre Mutter hingegen, in Äthiopien aufgewachsen, hatte niemals den Druck und den Zwang hinter der Schule erlebt, sie war glücklich gewesen dieses Privileg zu haben und Hausaufgaben waren etwas das man freiwillig tat, nicht etwas das erzwungen wurde, immerhin gab es für die Kinder dort genug Arbeit zu erledigen sobald sie zu Hause waren, echte Hausarbeit.
Jennys Gedanken wurden jedoch jäh unterbrochen als Jamal den Jeep hinter einem halbhohen Gebüsch anhalten ließ das weniger Meter am Wegesrand stand. Ohne ein Wort zu sagen, zeigte er auf eine Stelle nicht weit entfernt an einem kleinen Felsen. Dort lag eine tote Antilope umgeben von einem Rudel Wildhunde, erkennbar durch ihre einmalige Fellzeichnung. Die Tiere schienen aufgeregt zu sein. Jenny spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken fuhr als sie das Blaffen und Kreischen der Hunde vernahm, die gerade damit begannen, sich über ihre Beute herzumachen. Das Reißen des Fells als die spitzen Zähne der Hunde daran rissen hörte sich beinahe an, als würde ein Klettverschluss geöffnet werden und Jenny merkte, wie sie sich konzentrieren musste, damit ihr nicht übel wurde. Knochen knackten unter den kräftigen Kiefern. Je größer das Loch in der Flanke des Tiers wurde, desto mehr Köpfe verschwanden darin, um sich ihren Teil der Beute zu sichern. Ein besonders kräftiges Tier schaffte es sogar eines der Vorderläufe unter einem schauerlichen knirschen abzureißen.
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When words fail, music speaks
FanfictionJennifer Jones, Musical Supersvisor bei einem der beliebtesten Musicals in London, war darauf gefasst, dass ihr neuer Nebenjob bei einer ITV Produktion anstrengend und spannend werden würde. Sie hatte jedoch sicherlich nicht damit gerechnet, dass si...